Die Bewohner von Plédos. Richard Oliver Skulai

Читать онлайн.
Название Die Bewohner von Plédos
Автор произведения Richard Oliver Skulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991312833



Скачать книгу

nächsten Morgen schon waren die beiden Esel mit neuen Sätteln versehen und darauf ein Proviant mit den vorzüglichsten Speisen aus der Schlangenburg aufgeladen. Schlankerli selbst überreichte dem kleinen Idan eine nagelneue Weltkarte, auf der alle Kontinente abgebildet waren. Der König selbst sprach ihnen den Segen aus. Dann zogen sie mit den Eseln davon. Tausende Schlangenmenschen blickten ihnen nach.

      Der Kyruppengraben

      Auf ihrer Wanderung durch Rüsselschwein durchquerten sie ein unfruchtbares Wüstengebiet und die Freunde waren sich nicht sicher, ob ihre Vorräte ausreichen würden, die sie ihren beiden Eseln aufgeladen hatten. Auch schien die Sonne ziemlich prall herab.

      „Wie lange ist es denn noch bis zur Nordküste?“, stöhnte der kleine Idan. „Ungefähr noch siebenhundert Kilometer bis zum Löwensee“, sagte Kuno Weißhaar.

      „Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen“, erwiderte Idan. „Ich würde gar zu gerne wissen, wo wir jetzt sind.“

      Kuno Weißhaar streckte dem kleinen Idan die Karte hin. „Siehst du, dieser Inselkontinent ist Rüsselschwein. Er heißt so, weil er aussieht wie eine fette Sau, deren Hinterbeine hinter einem Fettwulst versteckt sind und die sich nur noch auf den Vorderbeinen aufrecht hält. Schau, wie sie den hässlichen Rüssel, der oben eine Verdickung trägt, emporstreckt! Der Auswuchs rechts daneben ist ein unförmiges Ohr. Wir haben keinen guten Ruf bei den Bewohnern der anderen Inselkontinente! Unser Image ist ziemlich im Arsch, wenn man so sagen darf.“ Und einige Tränen kullerten seine Wangen hinunter. „Unser Kontinent sieht aus wie eine fette Sau und ich selbst habe eine Schweinsnase und riesige Ohren.“ Kuno Weißhaar schniefte.

      „Ich finde nicht, dass er wie eine fette Sau aussieht“, sagte der kleine Idan. „Was ist denn das blaue Dreieck dort oben in der Mitte des Rüssels?“

      „Das ist der große Löwensee“, erläuterte Kuno Weißhaar. „Dort versammeln sich große Löwenherden, um zu trinken.“

      „Wenn man sich den See als einen Ausschnitt denkt“, fuhr Idan fort, „dann kann man auch eine andere Gestalt darin sehen.“

      „Welche denn?“

      „Eine tanzende Frau mit wehendem Kleid, die mit ihren Armen nach oben greift und mit Pauken zusammenschlägt oder einen Ball hält. Seht ihr: Das Schweineohr rechts ist dann der Kopf der Frau!“

      „Idan hat Recht“, bemerkte Äffchen, „keine schlechte Beobachtung!“

      „So habe ich die Sache noch nie betrachtet“, sagte Kuno Weißhaar. „Kleiner Idan, du hast unser Image gerettet! Du hast das Ansehen unseres Landes wiederhergestellt! Wir werden unseren Kontinent umbenennen! Wir werden ihn umbenennen in ‚musizierende Frau‘!“

      „Nein“, sagte Äffchen, „es muss ein Name sein, der den anderen angeglichen ist, ein Name in einem Wort. ‚Frauentanz‘ wäre geeignet.“

      „Also gut, ‚Frauentanz‘“, stimmte Kuno Weißhaar zu. „Das ist ein guter Name. Aber wir müssen ihn noch populär machen. Erst dann können wir das Ansehen unseres Kontinentes erhöhen!“

      Äffchen kratzte sich nachdenklich an der Stirn.

      „Was ist?“, fragte der Kuno.

      „Mir fiel gerade ein: Mit dem Namen stimmt doch etwas nicht! Im Augenblick komme ich nur nicht darauf, was es ist!“

      „Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte Kuno Weißhaar. „Die Namen der Kontinente beziehen sich auf Dinge, die man sehen und anfassen kann: Haihaupt, Stiefelburg, Totenmund und so weiter. Einen Frauentanz kann man nicht anfassen. Ob ‚Tanzende‘ der richtige Name wäre? Aber dann wäre er nicht aus zwei Wörtern zusammengesetzt. ‚Tanzfrau‘ vielleicht?“

      „Ich weiß noch einen besseren Namen“, sagte der kleine Idan. „Was haltet ihr von ‚Jubelfrau‘?“

      „Ausgezeichnet!“ lobte Äffchen. „Das ist der passende Name. Lasst uns von nun an Rüsselschwein so nennen! Unter uns zumindest!“

      Auf ihren Eselchen zogen sie weiter. Endlich gelangten sie durch bewaldete Gegenden, die aber völlig unbewohnt und menschenleer waren. Der kleine Idan staunte über die vielen bunten Vögel, von denen es zahllose Arten gab. Einige von ihnen hatten Schnäbel, deren unterer Teil wie eine Schüssel oder ein Waschbecken aussah. Wenn sie zu ihren Jungen in ihre Nestbauten flogen, öffneten sie ihren Schnabel und ließen ihre Zöglinge trinken, die das Wasser eifrig aus der Schnabelschüssel becherten. Die Schnäbel anderer Vögel waren sternförmig, glichen Krallen und waren beweglich. Die Vögel fingen mit ihnen große Insekten aus der Luft. Rauschende Bächlein begleiteten die Kameraden. Ein weiteres beliebtes Nahrungsmittel waren die Schwebequallen. Sie bewegten sich mithilfe eines Gases durch die Luft, das sie in ihrem Inneren erzeugten. Oft kreuzten Rollmopskopffüßler ihren Weg. Das waren pelzige, kugelförmige Wesen auf zwei Beinen, die es vorzogen, auf steilen Strecken ihre Gliedmaßen einzuziehen und sich rollend fortzubewegen. Sie hatten einen Saugrüssel, der teleskopartig ein- und ausgefahren werden konnte, und verständigten sich durch pfeifende Töne. Der kleine Idan erwischte einen von ihnen und wollte ihn in seine Reisetasche stecken.

      „Lass das, die sind ungenießbar“, belehrte ihn Kuno Weißhaar.

      „Glaubst du denn, ich will ihn essen?“, fragte Idan mit beleidigtem Gesichtsausdruck.

      „Was sonst?“

      „Ich will doch mit ihm spielen!“

      „Mit Rollmopskopffüßlern kann man nicht spielen, die beißen!“

      „Wie sollten sie denn beißen? Sie haben doch einen Saugrüssel!“

      Aber Kuno Weißhaar hatte Recht, denn schon zwickte den kleinen Idan etwas in seinen Finger.

      „Der Saugrüssel enthält kleine Reißzähnchen“, ergänzte der Kuno, aber es war schon zu spät. Der kleine Idan rieb sich den wunden Finger. Und der Rollmopskopffüßler entwischte.

      Endlich ging die Reise durch eine karge Gebirgslandschaft. Hier wuchsen nur wenige Fruchtbäume, und es gab nur vereinzelte Tümpel und kleinere Seen.

      „Achtung“, sagte Äffchen, „wir nähern uns dem Kyruppengebiet.“

      „Kyruppen? Was ist denn das?“, wollte der kleine Idan wissen.

      „Oh, das sind Wesen, die aussehen wie aufrecht gehende Drachen. Sie sind etwas größer als Menschen – aber nicht sehr viel größer – und sie haben drei Beine. Ihre Füße haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Vogelklauen. Sie haben genau drei Zehen. Die kleinere, hintere Zehe dient ihnen zur Stütze, die beiden anderen sind nach vorn gerichtet. Auch ihre Hände haben nur drei Finger. Sie sind leicht gebaut und schneller als Laufvögel, zu denen sie eine gewisse Verwandtschaft haben. Sie haben scharfe spitze Zähne, aber eigentlich sind das gar keine Zähne, sondern die Ausläufer einer Hornkruste, die zu einem Schnabel gehört. Die Kyruppen sind neben den Plédo-Affen die einzigen Wesen, die eine menschliche Sprache besitzen und so vernünftig wie Menschen denken. Ich meine, wenn man von den Bewohnern des Komponischen Märchenwaldes absieht. Man möchte es eigentlich gar nicht glauben. Aber diese Kyruppen sind weise Wesen. Das Volk der Kyruppen wird von den sogenannten goldenen Drei angeführt. Das sind alles Weibchen. Denn du musst wissen, dass bei den Kyruppen die Weibchen dominant sind.“

      „Was heißt dominant?“, fragte der kleine Idan.

      „Nun, so nennt man jemanden, der über den anderen herrscht. Mit anderen Worten: Bei den Kyruppen herrschen die Weibchen über die Männchen.“

      „Ist das nicht ungerecht, wenn Weibchen über die Männchen herrschen oder umgekehrt?“, fragte Idan.

      „Nun, ob gerecht oder ungerecht – es ist nun einmal so! Bei den meisten höheren Tieren herrschen die Männchen. So sollte es ja auch sein!“

      „Finde ich nicht“, sagte Idan.

      „Das wundert mich“, erwiderte Äffchen. „Du wirst selbst einmal ein Mann sein!“