Название | Die Bewohner von Plédos |
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Автор произведения | Richard Oliver Skulai |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991312833 |
Die Schlangenmenschen posierten hoch aufgerichtet und aufmerksam vor den drei Galgen in einer Reihe.
„Meine Flöte bitte!“, forderte Idan.
„Oh, Entssuldigung! Vergessliss wie iss bin!“, seufzte der König auf. „Ssss! Sssss! Ssssss! Sssssss!“, pfiff er verlegen vor sich hin. Er befahl einem Leibwächter, zur Schlossburg zu eilen und aus dem Arbeitszimmer Schlankerlis die Blockflöte zu holen, die er dort zum Andenken an den wundersamen Knaben aufbewahrt hatte. Der Diener fand sie nicht gleich und musste den Weg einige Male machen. Und mit jeder neuen, ergänzenden Erklärung des Königs kam er der Sache um einige Schritte näher. Doch waren die Erläuterungen Schlankerlis leider nicht in allen Punkten ausreichend, denn der Knecht war ein wenig schwer von Begriff und hatte das meiste wieder vergessen, wenn er oben im Königsgemach angelangt war. Schließlich schrieb Schlankerli dem Knecht die Position der Blockflöte auf, aber der Knappe konnte nicht lesen und so war es wieder nichts. Drauf verfertigte der König eine Zeichnung, aber der Knappe war dreidimensionales Denken nicht gewohnt und konnte die Gegenstände auf der Zeichnung nicht mit den realen Objekten im Arbeitszimmer des Königs in Verbindung bringen. Am Ende eilte der König selbst von dannen. Nach einer Stunde kam er zurück. So waren inzwischen viele Stunden vergangen. Das Schlangenvolk, das begierig auf das zierliche Flötenspiel gewartet hatte, war mittlerweile ermüdet und viele von ihnen an allen Orten des Landes der gespannten Erwartung wegen in eine Art Trance verfallen. Manch einer war zuhause unter seinen Kopfhörern eingeschlafen und in den Reihen der vor dem Galgenplatz Wartenden waren viele in eine gelähmte Erstarrung gefallen. Endlich – es war schon Abend geworden – überreichte König Schlankerli persönlich dem kleinen Idan seine Blockflöte. Dieser prüfte sie, spitzte die Lippen und blies sie einmal kurz durch. Allein schon dieses Lippenspitzen des Jungen erregte das allgemeine Aufwallen einer Begeisterung, die wie ein magisches Licht aus den Augen der Zuschauer strahlte. Noch niemals hatte ein Schlangenmensch die Lippen gespitzt, um einer Flöte Töne zu entlocken. Dazu waren Schlangenmenschen gar nicht fähig. Es war für viele ein unbeschreibliches Wunder. Dann aber fing der kleine Idan an zu spielen. Er begann mit einer Melodie, die der König Schlankerli schon kannte, und Äffchen begleitete ihn mit kehliger Stimme. Die Schlangenmenschen begannen sich rhythmisch zu wiegen und ihre Wirbelsäulen schlängelten sich im Wechsel der Töne. Jetzt änderte Idan allmählich sein Lied. Die wogenden, zuckenden Bewegungen der Wirbelsäulen übertrugen sich unmerklich auf die Arme und schließlich auch auf die Beine der Schlangenmenschen. Die Arme verlängerten sich, verschlangen sich ineinander und bildeten am Ende Knoten ganz in der Nähe der Achselhöhlen, Knoten, die sich nicht mehr lösen konnten. Genau dasselbe geschah mit den Beinen. Solches aber widerfuhr dem ganzen Schlangenvolk im ganzen Schlangenland. Denn alle verfolgten sie Idans Flötenspiel über Kopfhörer und Schallverstärker. Niemand wollte sich die Sensation entgehen lassen, die darin bestand, dem Flötenspiel eines Menschenjungen zu lauschen, der so fein die Lippen spitzen konnte und kurz vor der Hinrichtung stand. Ein menschliches Wesen also, das angesichts des Todes sein Letztes gab, um sich zum Ausdruck zu bringen.
Als Idan endete, gab es ein böses Erwachen. Mit dem letzten ausklingenden Flötenton wurden sich die Schlangenmenschen schlagartig ihrer Situation bewusst. Des kleinen Idan Lied war mit dem letzten Schein der Dämmerung verklungen und die darauf einsetzende Stille führte innerhalb weniger Sekunden zu einem urplötzlichen Erwachen. Ein langes, züngelndes Zischen ging durch die Reihen der Zuhörer: „Sssssss!“ Dann wanden sie sich und versuchten ihre Arme und Beine freizubekommen, was aber nur den Erfolg hatte, dass sie der Länge nach hinstürzten und nicht wieder aufstehen konnten.
„Ssu Silfe!“, rief der König Schlankerli. „Das war ein falsses Sspiel! Man sat uns verarsst! Iss befehle sofort, unsere Fesseln ssu lösen! Iss, König Sslankerli, sabe gesprossen! Meine Besslüsse gelten!“
Aber niemand konnte helfen. Sie waren alle gefesselt. Nun befreite Idan unverzüglich seine Freunde von ihren Stricken.
„Jetzt seid ihr in unserer Gewalt“, sagte der Junge. „Wenn wir wollen, wird euer ganzes Volk in dieser gefesselten Stellung verhungern. Das wird dann eine Diät sein, die wirklich schlank macht! Sollen wir euch verhungern lassen?“
„Nein, bitte nisst! Iss bitte um Gnade!“, schrie Schlankerli.
„Ich habe dich gestern auch um Gnade gebeten und du wolltest sie mir nicht gewähren. Meinst du, dass du nun deinerseits Gnade verdient hast?“
„Versseisung“, lispelte Schlankerli, „Versseisung! Dies war nisst meine Ssuld! Iss sätte dir Gnade gewährt! Das Gesetss sat es verlangt! Iss sätte diss ja sonst als Sklave angenommen! Iss sätte diss leben lassen!“
„Und meine Freunde? Hättest du die auch leben lassen?“
„Wossu? Sie waren nisst nütssliss! Nisst einmal künstleriss!“
„Und du erwartest, dass wir dir Gnade gewähren? Ist es nicht viel gerechter, dass wir dich und dein ganzes Volk in euren Knoten verhungern lassen, ihr herzlosen Schlangenmenschen?“
„Mein Volk kann nissts dafür“, keuchte der König. „Es ist die Ssuld des Gesetsses! Das Volk sat das Gesetss ja nisst gemasst! Iss weiß, nass deiner Meinung sabe iss und alle meine Berater verdient, ssu ssterben. Aber iss bitte um Gnade für mein Volk! Risstet miss und die, die euss verurteilt saben, überlasst uns meinetwegen unserm Ssicksal, doss ssonet das Volk! Es ist nisst ssuldig!“ Bei diesen Worten kullerten dem König große Schlangentränen über die Wangen.
„Ich sehe, du hast doch ein Herz!“, sagte der kleine Idan. „Da können wir, denke ich, Milde walten lassen! Gut! Wir werden euch befreien! Aber nur unter einer Bedingung: Du, als der König dieses Volkes, musst vor allen Anwesenden feierlich versprechen, dass du uns das Leben schenkst und uns ziehen lässt.“
„Ja“, sagte Kuno Weißhaar, „genau das verlangen wir. Außerdem fordern wir Lebensmittel und Verpflegung für unsere weitere Reise. Und – wir fordern eine Weltkarte, eine gute Weltkarte, auf der alle Kontinente von Plédos verzeichnet sind. Willst du uns das versprechen?“
„Iss verspresse es feierliss“, lispelte König Schlankerli, während ihm Idan eines der Mikrofone hinhielt. „Iss leiste den Sswur eines Fürsten! Vor allen diesen Sseugen sswöre iss, dass euss nissts gessehen wird, wenn ihr die Knoten löst. Wir werden alle eure Forderungen sösst getreu erfüllen!“
„Das ist ein Wort“, sagte Idan und begann den König aus seinen Verwindungen zu befreien.
„Vorsicht, Schlangenmenschen lügen“, warnte Erfinder-Äffchen.
„Er wird sich an seinen Schwur halten“, sagte Idan. „Er hat vor tausenden Zeugen geschworen. Er wird die Ehre als König verlieren, wenn er den Schwur bricht.“
„So ist es“, bestätigte Schlankerli.
Endlich hatten die Gefährten sowohl den König als auch seine Diener, Getreuen und Henkersknechte von ihren Verknotungen befreit und die Diener begannen sofort, ihren Volksgenossen zu helfen. Bald waren zahllose Schlangenmenschen wieder bewegungsfähig.
König Schlankerli aber hielt eine große Ansprache über das Mikrofon an alle Genossen seines Volkes.
„Wahrliss, iss salte mein Versspressen“, sagte er, „und iss bin froh darüber. Unter diesen außergewöhnlissen Umsständen ist das Gesetss nisst mehr gültig und das ist auss gut so – sseiß Gesetss – Versseisung! Iss bin froh, dass dieser Menssenbursse nisst ssterben muss! Auss der Affe sat ja ssön gesungen! Und dieser Kuno ist gar ein lustiger Kerl. Mögen sie noss viele Menssen mit Gesang und Flötensspiel beglücken! Iss wünsse es ihnen! Dieser Menssenbursse sat viel Edelmut gesseigt! Er sätte uns alle ssterben lassen können! Er und seine Gefährten sätten uns ausrauben können! In wenigen Tagen wäre das gansse Volk der Sslangenmenssen vernisstet gewesen, vernisstet durss einen einssigen Burssen. Es sätte ihm niemand übel genommen, denn wir sind ja bei den andern Völkern unbeliebt. Er sätte uns einfass versungern lassen können. Sstattdessen sat er uns gessont und einen besseidenen Preis verlangt!“ König Schlankerli schluchzte vor Rührung laut auf. „Dieser Edelsinn ist beißpielhaft! Wir waren selbstsüsstig!