Die Bewohner von Plédos. Richard Oliver Skulai

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Название Die Bewohner von Plédos
Автор произведения Richard Oliver Skulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991312833



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Urwesen hervorgegangen seien und zu diesem als seine Kinder zurückgeführt werden sollten. „Bitte, lass mich leben“, schrie der kleine Idan, „ich will noch nicht sterben! Wenn du mich leben lässt, werde ich meinen Vätern auch gewiss keine Schande mehr machen! Bitte lass mich leben! Ich weiß nicht wie, aber du wirst schon irgendeinen Weg finden! Es heißt doch, dass dir nichts unmöglich ist!“

      Idan blickte wieder in den namenlosen Abgrund, der immer neue Felsenformationen freigab, und plötzlich überkam ihn eine nie gekannte, selige Ruhe. Er schloss die Augen und war bald eingeschlafen.

      Als er erwachte – es mochten mehrere Stunden seliger Träume verflossen sein – dauerte die Fahrt noch an. Er durchschwebte zarte Wolken. Und dann – dann nach vielen Minuten innerer Ruhe und vertrauensseligem Ausharren – erkannte er aus mehreren tausend Metern Höhe den Grund der Schlucht. Es bot sich ihm ein Bild der Zerstörung. Der Boden war über und über von wolkigem grauen Staub bedeckt. Der kleine Idan schrie laut auf. Aber es nützte ihm nichts. Er sah dem unabwendbaren Ende entgegen. Idan hatte insgeheim gehofft, dass sich auf dem Grunde der Schlucht der Staub schon meterdick aufgetürmt hätte und dass er mit ein wenig Glück eine weiche Landung haben würde – trotz einer gleich bleibenden Geschwindigkeit von zweihundertfünfzig Stundenkilometern, wie sie Äffchen berechnet hatte. Aber er hatte sich getäuscht. Der Staub berührte den Boden nur hauchdünn und fetzenartig und gab den nackten Lavaboden frei. Und an manchen Stellen war er zu flockigen, Furcht erregenden Gebilden aufgetrieben. Diese aber waren wohl ebenso wenig geeignet seinen Sturz abzubremsen. Vergeblich hielt Idan nach einem Gebilde Ausschau, das dazu vielleicht in der Lage gewesen wäre. Von Äffchen hatte er gelernt, dass es dem aus großer Höhe Fallenden möglich war, den Ort seiner Ankunft selbst zu wählen, wenn er mit Armen und Beinen durch die Luft ruderte. Hätte er solch einen gewünschten Ort erspäht, er hätte es versucht. Aber er fand nichts. Wie er nun abschätzen konnte, war seine Fallgeschwindigkeit schon weitaus höher, als die von Äffchen errechnete, und keine der flockigen Formationen konnte ihn davor bewahren, gänzlich zerschmettert zu werden. Idan rang nach Atem. Der Angstschweiß rann ihm aus allen Poren. Noch einmal erhob er sein Herz flehend zu Gott. Er schrie um Hilfe. Noch war er nur noch knappe tausend Meter vom Ziel seiner Reise entfernt. Da sah er plötzlich zwischen den nebeligen Gebilden aus grauem Staub so etwas wie eine Brunnenöffnung, groß genug für einen Menschen, um sich bequem darin bewegen zu können. Hastig ruderte er mit Armen und Beinen, um möglichst über der Brunnenöffnung zu liegen zu kommen. Da bemerkte der kleine Idan, dass er schräg durch die Luft schwimmen konnte, der kleinen abgrundartigen Öffnung entgegen, die seine letzte Rettung zu sein schien.

      Tatsächlich erreichte er sie. Statt auf dem Grund aufzuschlagen, was sein sicheres Ende bedeutet hätte, raste er durch die brunnenähnliche Öffnung in eine finstere Tiefe hinab. Was er nun hier beobachten konnte, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Der Schacht, den er durchraste, war nicht unbewohnt. An seinen Wänden türmten sich Balustraden empor. Sie waren mit Säulen versehen und Gänge führten tiefer in das Innere der Lavafelsen hinein. Manchmal bekam er auch ihre Bewohner zu Gesicht. Es waren Wesen mit roter, lederner Haut und spitzen Ohren. Einige von ihnen hatten ihn erblickt, wie er durch ihren Schacht fiel. Lächelnd entblößten sie ihre scharfen Reißzähne und grüne, leuchtende Augen blitzten ihn an. Erfinder-Äffchen hatte Idan von einer Hölle erzählt, von der die südländischen Stiefelburger sprachen. In diese Hölle, so glaubten sie, gelangten die bösen Menschen nach ihrem Tod. Niemand wusste genau, wo man sie zu suchen hatte, aber einige vermuteten sie tief unter der Erde. Idan zweifelte keinen Moment: Gewiss passierte er gerade diese Hölle. Es musste so sein! Und wie er tiefer und tiefer stürzte, an all den Balustraden vorbei, die nur ein züngelnder Lichtschein erhellte, fragte er sich, ob er in Wahrheit vielleicht gerade gestorben war. Vielleicht war er am Grunde der Schlucht zerschmettert worden und war nun in Wirklichkeit tot. Möglicherweise führte sein Weg direkt in die unterste Hölle, wo er nun bei all den bösen Teufeln wohnen musste. Bei diesem Gedanken schauderte es Idan gewaltig. Aber er hatte doch das väterliche Urwesen um Rettung gebeten. Konnte es denn sein, dass Gott so unbarmherzig war? Nein, es durfte nicht sein! Vielleicht war dies alles ein Traum!

      Von Balustrade zu Balustrade sah Idan gierige Augen auf sich gerichtet. Der Schacht selber war stockdunkel, aber die Gänge, die von den Balustraden aus in die Wände hineinführten, waren hell erleuchtet, und voll unterirdischer, sie kreuzender Lavaströme, die von den Teufelswesen gebändigt wurden. Idan erkannte dies daran, soweit er es im Vorüberfliegen beurteilen konnte, dass diese Teufel sich an der glühenden Lava zu schaffen machten. Die meisten von ihnen hielten metallene Dreizacke in ihren Klauen bewährten, schuppigen Händen. Manch einer streckte seinen Dreizack in den Schacht hinein, um damit nach Idan zu angeln. Doch sie verfehlten ihn stets. Der Schacht schien kein Ende zu nehmen. Und jeden Moment war sich der kleine Idan der Möglichkeit bewusst, dass er plötzlich aufschlagen und sein Fall ein abruptes Ende nehmen konnte. Dann wäre er, sofern er nicht schon tot war, sicher tot gewesen. Aber auch diese grausame Erwartung sollte sich nicht erfüllen.

      Nach einer bangen Weile hörten die Säulengehänge und Balustraden auf und Idan flog nackte Wände entlang. Jedenfalls zeigte ihm dies seine Taschenlampe, die er im Flug aus dem Rucksack gezogen hatte, weil er die Ungewissheit über den Ort seines Aufenthaltes nicht mehr ertrug. Die Wände des Schachtes waren nun grau und glatt. Und die finstere Tiefe darunter war nicht zu erhellen. Dann durchflog der kleine Idan einen Hohlraum, der vollkommen leer und stockdunkel war. Das Licht der Taschenlampe wurde nicht mehr reflektiert und Idan steckte das Gerät in den Rucksack zurück. Der Zustand dauerte wohl mehrere Stunden, und betend fiel Idan wieder in eine tiefe Betäubung. Diesmal war es die Angst, die seine Ohnmacht erzeugte.

      Als er wieder zu sich kam, war es ihm, als könne er oben und unten nicht unterscheiden. Er hätte nicht sagen können, ob er nach unten fiel, oder ob er einen hohen Schacht hinaufflog. Es schien ihm fast das Letztere der Fall zu sein, obwohl der Verstand ihm sagte, dass es nicht sein konnte. Aber die Balustraden, die er jetzt wieder auf allen Seiten des Schachtes erblickte und auch die zwielichtigen Teufelswesen, die sich bisweilen zwischen den Säulen zeigten, schienen mit ihren Köpfen nach unten zu hängen. Wenn er allerdings den Kopf voran nach unten fiel, kehrte sich die ganze Szene um. Jetzt war er der Fliegende, der alles unter sich zurückließ. Dies konnte Idan daran erkennen, dass ihm die Teufelswesen mit staunend aufgerissenen Glühaugen nachblickten und sie die Köpfe nach oben reckten, um seinem Sturz zu folgen. Der kleine Idan mochte wohl zwei Tage nichts gegessen und getrunken haben und es dürfte wohl keinen wundern, dass er in der entsetzlichen Lage, in der er sich befand, keinen großen Hunger verspürte. Der Appetit war ihm schon lange vergangen. Doch machte sich allmählich großer Durst bemerkbar, denn viel länger als drei Tage kann man ohne Flüssigkeit nicht überleben. Die ganze Mundhöhle war wie ausgetrocknet und die Zunge klebte brennend am Gaumen.

      „Wasser“, rief Idan, „Wasser! Gebt mir doch Wasser!“

      Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass die zähen Lederteufel, die er gleichsam unter sich zurückließ und die ihm sprachlos und ihn offenbar bewundernd hinterher starrten, auch nur ein Wort seiner Sprache verstehen würden. Ob er nun flog oder fiel, das wusste Idan schon lange nicht mehr. Aber er hatte herausgefunden, dass er sich mehr Respekt verschaffte, wenn er mit dem Kopf voran fiel, was im Verhältnis zur Lage der Teufel bedeutete, dass er denselben nach oben hielt. Denn wenn er auf dem Bauch lag oder mit den Beinen voran fiel, verzogen sich die Teufelsgesichter in missbilligendem Mienenspiel. Wenn er aber seinen Kopf nach unten hing, relativ zu den nach unten gerichteten Balustraden, zollten sie ihm Achtung und Respekt. Staunend rissen sie die ledernen Mäuler auf, dass die Reißzähne in ihnen blitzten und manch einer warf sich beim Anblick Idans auch betend nieder, wie vor einem emporstrebenden Gott. Es lag außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, aber offenbar mussten ihn einige dieser Wesen doch verstanden haben. Denn sie holten große metallene, mit Flüssigkeit gefüllte Wasserzuber herbei und huldigten niederkniend Idan, indem sie sie ihm entgegenschütteten. Es war so, als sprengten sie Weihwasser aus, wie solches die Pfarrer in Stiefelburg aus Furcht vor den Teufeln tun. Oler und Äffchen hatten davon erzählt. Idan brauchte nur den Mund zu öffnen und es erreichte ihn labende Flüssigkeit. „Danke! Danke!“, rief er, und ein Strom erfrischenden Wassers traf ihn von oben. Oder sollte er sagen, dass es von unten kam. Das Wasser fiel jedenfalls in die entgegengesetzte Richtung wie er. Flog er tatsächlich nach oben? Hatte sich alles umgekehrt? Was war geschehen?