Die Bewohner von Plédos. Richard Oliver Skulai

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Название Die Bewohner von Plédos
Автор произведения Richard Oliver Skulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991312833



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lange Zeit nichts mehr. Die Balustraden und Säulengehänge an der Wand des Schachtes hatten aufgehört. Um ihn herum war nur noch schwarzes, massives Lavagestein.

      In der Ferne konnte Idan so etwas wie einen kleinen blauen, leuchtenden Teich erkennen, in den der Schacht zu enden schien. Die Balustraden mit den Teufelswesen hatten nun längst aufgehört und ein mildes Tageslicht, das von dem Teich zu kommen schien, erleuchtete die Wände des Schachts. Er stürzte oder flog geradewegs auf diesen Teich zu. Der kleine Idan fürchtete schon, dass er in kaltes Wasser fallen und unweigerlich ertrinken musste, denn aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um einen unterirdischen Gebirgsbach. Er würde den Aufprall auf die Wasseroberfläche wohl nicht überleben. Und selbst wenn er ihn überlebte, so hatte er doch keine Möglichkeit, jemals wieder nach oben zu gelangen. Vorsichtshalber kramte er jetzt doch die kleine Atemmaske aus seinem Rucksack, die er von Äffchen bekommen hatte und die für den Fall vorgesehen war, dass der Luftdruck mit zunehmender Tiefe doch immer stärker werden würde. Eigentlich hätte er sie bei der Tiefe, die er erreicht hatte, schon längst aufsetzen müssen, aber es war nicht nötig gewesen. Jetzt tat er es. Vielleicht nützte sie ihm etwas, wenn er in den Teich fiel. Idan schloss die Augen. Er raste direkt auf den Teich zu. Hinter den geschlossenen Lidern schien es taghell. Wider allem Erwarten kam es zu keinem Aufprall. Als Idan die Augen öffnete, fiel er mitten in den blauen Himmel hinein. Er blickte zurück und unter ihm gähnte ein rauchender Krater. Noch ehe er sich von seinem Schrecken erholt hatte, wurde er plötzlich abgebremst. Der Sturz in den Himmel hörte auf und er purzelte unsanft auf das karge Moos am felsigen Kraterrand. Idan raffte sich auf und blickte sich um. Der Krater, aus dem er gekommen zu sein schien, war äußerst ausgedehnt. Gelbe Schwefelschwaden stiegen auf. War dies nun die unterste Hölle? Immerhin sah der blaue Himmel über ihm viel freundlicher aus als die vielen Balustraden, an denen er vorübergeflogen war. Idan erkundete die Gegend. Unterhalb des Kraterrandes lag eine ausgedehnte, grüne Wiesenlandschaft. Nein, das konnte nicht die Hölle sein. Sein erster Gedanke war, dass er – so unwahrscheinlich es klang – mitten durch den Planeten hindurch gefallen sein musste. Eine andere Erklärung gab es nicht. Ganz in der Nähe weideten Hirsche und Rehe in einer idyllischen Landschaft. Jetzt erst nahm Idan seine Atemmaske ab, die er die ganze Zeit getragen hatte. Und – er traute seinen Augen nicht: Ja konnte es denn sein? – da sah er Silena. Er erkannte sie sofort an ihren sanften Augen. Die Spitzen ihrer Geweihfortsätze leuchteten selbst in der Nachmittagssonne ein wenig. An den Rändern des Kraters sah Idan einige wandernde Feriengäste. Etliche von ihnen deuteten mit dem Finger auf ihn und sprachen mit aufgeregter Miene zueinander. Da sie so weit entfernt waren, konnte Idan nichts verstehen. Aber das kümmerte ihn nicht weiter.

      „Silena!“, rief Idan. „Bist du es wirklich?“

      Die Hirschkuh drehte sich um. „Idan“, sagte sie in ihrer sanften, kaum hörbaren Gefühlssprache, die der Junge verstand, „der kleine Idan! Wie kommst du denn hierher?“

      „Das frage ich dich!“, erwiderte der Junge. „Sind wir denn beide gestorben und befinden uns in einem jenseitigen Land?“

      „Nicht, dass ich wüsste“, sagte Silena. „Ich bin durch die Mitte der Erde hindurchgefallen. Du auch?“

      „So scheint es gewesen zu sein“, sagte der Junge kleinlaut. „Ich habe es mir fast gedacht. Aber es schien mir so unwahrscheinlich, dass ich eher glaubte, ich müsste gestorben sein.

      „Ich weiß, dass ich noch lebe“, sagte Silena.

      „Ich wusste gar nicht, dass man von der anderen Seite der Erde nicht herunterfallen kann“, grübelte Idan. „Wo sind wir denn hier?“

      „Weiß nicht!“

      „Hast du denn gar keine Lust, nach Hause zurückzukehren? Wir alle haben so große Sehnsucht nach dir.“

      „Oh, nein! Mir geht es hier gut! Ich habe genug zu fressen und ich habe einen stolzen Mann gefunden und viele kleine Kinder bekommen.“

      „Da wir gerade davon sprechen“, sagte der kleine Idan. „Ich habe großen Hunger bekommen, denn ich habe wohl ganze vier Tage nichts mehr gegessen. Ob ich hier wohl etwas Essbares finde?“

      „Komm mit“, erwiderte Silena. „Ich will dir zeigen, wo es was zu fressen gibt.“ Und sie führte ihn auf eine grüne, saftige Wiese, die sich zu Füßen des aufgeworfenen Kraterrandes nach allen Seiten ausbreitete. Hier fand Idan herrliche Obstbäume, deren Früchte er mit ausgestreckter Hand leicht pflücken konnte. Sie schmeckten ihm köstlich. Danach ruhte er sich im Schatten der Bäume aus. Silena war inzwischen weggegangen, um ihre Familie zu holen. Die wollte sie dem kleinen Idan zeigen. Mittlerweile waren die Feriengäste, die Idan in der Ferne gesehen hatte, immer näher gekommen und er konnte jetzt ihre Stimmen deutlich vernehmen und unterscheiden. Idan war gerade ein wenig eingedöst, erschöpft von der langen Reise, als ihre Worte deutlich an sein Ohr klangen und ihn aus seinem Schlummer rissen. „Verfluchter Junge“, schrie einer, „er hat die Hirschkuh vertrieben! Das wird er teuer bezahlen!“

      „Die hat doch immer so schön mit ihrem Geweih gesungen und hat am Abend geleuchtet!“, hörte er eine andere, weibliche Stimme kreischen.

      „Er hat sie verjagt, der Lump!“, hörte er eine dritte. „Wer weiß, ob die wiederkommt!“

      „Wahrscheinlich nie mehr im Leben!“, rief die erste Stimme. „So abscheulich hässlich, wie der ist! Ich habe ihn durch meinen Feldstecher beobachtet. Es handelt sich zweifelsohne um einen Menschen!“

      „Mein Gott! Ich kenne keinen Menschen, der tierlieb ist!“, sagte die weibliche Stimme. „Die fressen ja Tiere! Was für Barbaren!“

      „Und habe ich es nicht gesagt? Er ist tatsächlich einer! Habt ihr gesehen: Als er hier auftauchte, hatte er eine Maske auf!“

      „Wahrscheinlich, um seine Hässlichkeit zu bedecken!“, rief der zweite.

      „Jedenfalls führt er etwas im Schilde“, mutmaßte der dritte. „Und jetzt fühlt er sich sicher. Er hat sich hingelegt. Auf die faule Haut seiner Übeltaten. Na, das wird wohl ein böses Erwachen!“

      Als Idan die Augen öffnete, schrak er zusammen. Das hätte er nicht erwartet. Die vier Gestalten, die über ihm standen, waren abscheulich hässlich. Er hätte eigentlich viel eher schöne Gesichter erwartet, denn das wäre logisch gewesen, wenn sie das seine als hässlich empfanden. Aber ihr Begriff von Schönheit schien verkehrt zu sein. Ihre Köpfe waren struppig und die Gesichter schrecklich aufgedunsen, zäh und lederartig und ihre Zähne groß und abstoßend. Die Haut war graugelb bis graubraun und faltig wie Baumrinde und offenbar durfte man ihre Körperkräfte nicht unterschätzen.

      „Er hat Angst vor uns, der Lump!“, krächzte das alte Weib und verpasste Idan eine pfeifende Ohrfeige. „Und dieses war nur der erste Streich!“

      „Ja“, bestätigte ein anderer, der aussah, als sei er aus Wurzeln zusammengesetzt, mit der Stimme des ersten, der die anderen aufgehetzt hatte, und verabreichte dem Jungen einen klatschenden Hieb auf die andere Backe. „Ich wollte neue Tonaufnahmen machen vom Gesang der Hirschkuh. Wozu habe ich denn meine Tonträger mitgebracht? Ich bin Hobbyforscher und möchte Vergleiche anstellen, ob sich die wunderbaren Eigenschaften dieses Tieres ändern. Gestern habe ich Tonaufnahmen gemacht und heute wollte ich es wieder tun. Jedes Jahr reise ich extra hierher. Ohne die Hirschkuh ist doch mein ganzer Urlaub versaut! Wer weiß, wann sie wiederkommt!“

      Die Wange des Jungen brannte. Sofort machte er sich auf seine Füße, raffte seinen Rucksack auf die Schultern und wollte davonrennen. Aber die Schreckensgestalten zupften ihn von hinten an seinen Kleidern und wollten ihn am Rucksack fassen und festhalten. Idan verhinderte dies, indem er einen Purzelbaum schlug. Als er wieder auf die Füße kam, waren ihm die schrecklichen Gestalten von Neuem dicht auf den Fersen. Das seltsame wurzelartige Wesen, dem die Stimme des Hetzers gehörte, fuhr ihm mit einem schwarzen Holzknüppel zwischen die Füße und versuchte ihm ein Bein zu stellen. Idan stolperte wieder zu Boden und raffte sich wieder auf. Dann duckte er sich vor ihren Griffen und lief davon. Die Feriengäste aber begannen mit Gegenständen nach ihm zu werfen. Sie holten