Die Bewohner von Plédos. Richard Oliver Skulai

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Название Die Bewohner von Plédos
Автор произведения Richard Oliver Skulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991312833



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Waldes vor hunderten Jahren wie durch ein Wunder keiner seiner Bewohner jemals gestorben war, als hätte die hohe Lebensdauer der beiden Riesen auch auf die Tiere abgefärbt, so wusste natürlich niemand, was eine Beerdigung war – bis zu dem Tag, an dem Silena zu Tode kam. Danach hatten die beiden Riesen den Tieren von dem Brauch der Begräbnisse erzählt und es bedauert, dass der Körper der armen Hirschkuh fern von ihren Angehörigen in der Ganganjer-Schlucht verschollen war, statt eine ehrenvolle Beerdigung zu erhalten. Die Tiere hatten den Riesen sofort geglaubt, dass es etwas Herrliches sein müsse, beerdigt zu werden, und forderten nun, Silena müsse geborgen werden. Die Riesen sollten sie ihnen holen. Idan und Oler aber verbaten dies streng. Eine Reise in die Ganganjer-Schlucht sei viel zu gefährlich. Selbst wenn es dem Abenteurer gelänge, all die Gefahren zu überwinden, die auf dem Weg nach unten auf ihn lauerten, so warte dennoch am Grunde der sichere Tod. Denn wie in den schwindelnden Höhen der Berge der Luftdruck stetig abnimmt und man den inneren Druck der eigenen Ohren spüre, so sei am Grunde dieser unbeschreiblich tiefen Schlucht der Luftdruck um ein Vielfaches höher. Kein Wesen aus der oberen Welt könne den Druck überleben. „Bedenkt“, sprach Oler zu den versammelten Tieren, „die Tiefe der Ganganjer-Schlucht übertrifft die Höhe der höchsten Berge um das Mehrhundertfache. Vergegenwärtigt euch, wie bereits auf einem Berg von siebentausend Metern Höhe die Ohren wehtun wegen des geringen Außendruckes. Bär Porbulo, der schon so manche Reise unternommen hat mit seinen Getreuen, kann euch ein Lied davon singen. Nun stellt euch vor, dass in demselben Maße, wie mit zunehmender Bergeshöhe der Luftdruck abnimmt, derselbe mit wachsender Tiefe steigt, so könnt ihr erkennen, welcher immense Druck den Abenteurer am Grunde der Schlucht erwartet.“

      Die Tiere des Waldes bestaunten die Weisheit Olers und glaubten ihm. Sie fügten sich in ihr Schicksal, wohl niemals wieder in den Genuss der glühenden Geweihspitzen Silenas zu gelangen oder ihr ein Grabmal errichten zu können. Auch würde ja sicher Silenas Geweih nicht mehr leuchten, wenn sie nicht lebte, versicherte ihnen der Riese.

      Erfinder-Äffchen aber war anderer Meinung. Es war zu der Erkenntnis gekommen, dass das Geweih Silenas durch einen chemischen Prozess leuchte und singe und dass es einen Weg geben müsse, diesen Prozess auch künstlich in Gang zu setzen, sobald die Überreste der Hirschkuh gefunden würden. Auch ging es davon aus, dass die Ganganjer-Schlucht nur einen schmalen Spalt ausmachen würde im Verhältnis zur übrigen Erdoberfläche. Das Luftmeer könne daher auf diesem nicht auf dieselbe Weise lasten wie auf der Erdoberfläche und es dringe nur ein geringfügiger Teil davon in die Schlucht, der entsprechend verdünnt werde. Diese Luftverdünnung werde wiederum ausgeglichen durch die zunehmende Schwerkraft. Es müsse also möglich sein, am Grunde der Schlucht ganz normal zu atmen und zu überleben. Äffchen hatte diesen Einwand vorgebracht, aber er war von den Riesen Idan und Oler nicht anerkannt worden. Darum hatte es beschlossen, das Unternehmen heimlich und auf eigene Faust zu planen.

      Erfinder-Äffchen hatte heimlich zu einer Expedition in die Ganganjer-Schlucht aufgerufen. Es meldeten sich mehrere Freiwillige. Diese waren der kleine Idan, Kuno Weißhaar und sein Vetter Schwarzschopf und der große Bruder von Erfinder-Äffchen, den man unter dem Namen „Großer-Bruder-Affe“ kannte. Oler und der große Idan durften nichts davon erfahren, denn sie hätten gewiss sofort die Abenteurer an ihrem Unternehmen gehindert. Sämtliche Erkundigungen der Schlucht waren in der Vergangenheit daran gescheitert, dass die Wände zu glatt und zu steil waren. Und niemand kannte ein Seil, das lang genug gewesen wäre, um bis auf den Grund zu reichen. Darum hatte Erfinder-Äffchen anfangs an einen Heißluftballon gedacht, mit dem man hinunterschweben konnte. Aber dessen Herstellung wäre so aufwendig und der Ballon selbst so groß gewesen, dass es den Riesen sicher aufgefallen wäre. Darum hatte sich Erfinder-Äffchen ein neues Strickleitersystem ausgedacht. Dieses bestand aus einer langen ringförmigen Strickleiter, an deren beiden Polen sich künstliche Saugschrauben befanden. Was Saugschrauben waren, das wusste der kleine Idan anfangs auch noch nicht. Es handelte sich um wurmartige Tiere, die sich mit Hilfe extrem starker Saugnäpfe an glatten Wänden empor angeln konnten. Das Geheimnis, wie sich diese Saugnäpfe automatisch wieder lösen ließen, hatte Erfinder-Äffchen herausgefunden. Sie reagierten auf Spannung. Aber dieses Prinzip konnte im Falle der künstlichen Saugschrauben nicht angewandt werden. Erfinder-Äffchen hatte sich etwas anderes einfallen lassen. Es hatte nämlich eine kleine Klappe an der Oberfläche der großen künstlichen Saugnäpfe angebracht, die man öffnen konnte. Und wenn man sie öffnete, drang Luft in den Hohlraum zwischen Saugnapf und angesaugtem Gegenstand, es kam zu einem Druckausgleich und der Saugnapf sprang ab. Der Plan war nun folgender: Die Strickleiter sollte an ihrem oberen Pol mithilfe des Saugnapfes an der Wand des Abhangs befestigt werden. Dann würden die Expeditionsteilnehmer – zwei auf jeder Seite – an der ringförmigen Strickleiter herabsteigen und, unten angekommen, diese mithilfe ihres am unteren Pol angebrachten Saugnapfes an der Wand befestigen. Natürlich musste einer oben bleiben, der, nachdem die Strickleiter unten befestigt war, den oberen Saugnapf mithilfe der Klappe von der Wand lösen musste, und für diese Aufgabe hatte sich der Große-Bruder-Affe bereit erklärt, der sich durch besondere Geschicklichkeit im Klettern und Lianenschwingen auszeichnete. Nachdem er den oberen Saugnapf gelöst hatte, sollte er die Strickleiter an ihrem unteren Pol fassen und sich nach unten schwingen, während sich die anderen vier unten an der Strickleiter festhielten. Natürlich hätte ein solches Hinunterschwingen eigentlich zur Folge gehabt, dass der Große-Bruder-Affe unten mit voller Wucht an die Wand der Schlucht geprallt wäre. Um solches zu vermeiden, trug er an den Füßen große Sprungfedern, mit denen er gezielt auf der Felsenwand aufkommen musste und noch einige Zeit in Ruhe abfedern konnte. Natürlich wurden dadurch die vier anderen am unteren Pol der Strickleiter Hängenden ebenfalls erheblich erschüttert und mit dem Rücken gegen die Wand des Abhangs geschlagen, und um den Aufprall zu dämpfen, trugen sie ebenfalls Sprungfedern auf ihrem Rücken. Wenn sie abgefedert und zur Ruhe gekommen waren, sollten sie wieder – zwei auf jeder Seite – die Strickleiter hinunterklettern, um den einstigen oberen Saugnapf, der jetzt zu unterst hing, an der Felswand zu befestigten. Zur gleichen Zeit sollte der Große-Bruder-Affe nach oben klettern, um den oberen Saugnapf wieder zu lösen. Dieses Verfahren sollte solange wiederholt werden, bis sie unten angekommen waren. Und so wurde es auch gemacht. Da die Reise lange und beschwerlich werden würde und es nicht möglich war, so viele Lebensmittel mitzunehmen, hatte Erfinder-Äffchen ein kleines Gerät mitgenommen, das es „Rückwärtsgang“ nannte. Das war kein gewöhnlicher Rückwärtsgang wie bei einem Kraftfahrzeug – so dachte wenigstens Erfinder-Äffchen. Dieses Gerät sollte dazu dienen, die Zeit umzukehren, wie in einem Film. Erfinder-Äffchen hatte das Gerät aus dem Rückwärtsgang eines tatsächlichen ausrangierten Kraftfahrzeuges entwickelt, das die Kunos aus Gandovir, einer Touristenstadt an der Nordküste, herbeigeschleppt hatten. Es war ernsthaft der Auffassung, dass ein Vorgang, der für den Raum gelte, nämlich das Rückwärtsfahren, sich auch auf die Zeit anwenden lasse. Kuno Weißhaar und sein Vetter Schwarzschopf hatten dagegen eingewandt, dass man die Zeit nicht zurückdrehen könne. Dies sei deshalb nicht möglich, weil es nur Bewegungen, aber keine Zeit an sich gäbe, die man zurückdrehen könne. Aber Erfinder-Äffchen war anderer Ansicht. Wenn man in der Erinnerung zurückgehen könne, dann müsse man das auch in der Wirklichkeit können und dieses Zurückgehen in der Wirklichkeit sei ein Zurückgehen in der Zeit. Der kleine Idan wollte sich an solchen Diskussionen nicht beteiligen. Sie waren viel zu kompliziert für ihn. Jedenfalls hatte Erfinder-Äffchen seine eigene Meinung darüber, was Zeit war. Wenn man die Zeit zurückdrehen könne, so meinte es, dann müsse es möglich sein, einen Vorgang, der sonst Energie erfordere, auch ohne Zufuhr von Energie zu erzeugen. „Wenn ich ein Haus baue, stecke ich viel Energie hinein“, sagte Äffchen. „Wenn ich es zerstöre, brauche ich nur wenig Energie. Wenn ich es aber aus dem zerstörten Zustand wiederherstelle, indem ich die Zeit umkehre, brauche ich so gut wie keine Energie. Ich brauche also nur die Zeit umzukehren, die Träger der Bewegung ist, und schon hat sich die Sache!“ So argumentierte Äffchen.

      „Man kann nicht die Zeit umkehren“, sagte Kuno Weißhaar. „Zeit bezeichnet nur Bewegungsdauer und wenn man etwas bewegen will, dann muss man Energie hineinstecken. Und man braucht mehr Energie, wenn man etwas aufbaut, als wenn man es zerstört. Eine bloße Dauer aber kann man nicht umkehren und wenn man die Sache recht betrachtet, dann gibt es so etwas wie Dauer eigentlich gar nicht, zumindest nicht in unserer Welt. Außer den Ideen hat noch niemals irgendetwas in unserer Welt überdauert. Dauer nennt man also einen Zustand, den wir noch gar nicht kennen. Und den willst