Die Bewohner von Plédos. Richard Oliver Skulai

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Название Die Bewohner von Plédos
Автор произведения Richard Oliver Skulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991312833



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ausgegangen waren, rissen sie sich ihre goldenen Knöpfe von den Strickjacken und schleuderten sie auf Idan. Manch einer traf ihn empfindlich, aber die Knöpfe waren zu klein, um größeren Schaden zu verursachen. Unter den Protestrufen der Schreckensgestalten bückte sich Idan bei jedem Wurf, dem er zu entgehen trachtete, sammelte die schon gefallenen Knöpfe auf und steckte sie in seinen Rucksack. Der Wurzelsepp drohte mit seinem Prügel, den er dann endlich auch schleuderte. Er verfehlte Idan nur knapp am Kopf. Der Wurzelsepp heulte vor Wut. Goldene Knöpfe hatte er keine mehr. Schließlich kramte er einige silberne Scheiben aus seinem Rucksack hervor und schleuderte sie – eine nach der anderen – nach dem Jungen. Die Scheiben zischten wie scharfe, sich drehende Wurfgeschosse durch die Luft. Sie verfehlten ihn um Weniges. Idan sammelte sie alle und verstaute sie im Rucksack. Mittlerweile hatte sich der Junge hinter das Geröll am Kraterrand zurückgezogen und hatte die Krateröffnung erreicht. In namenloser Wut sprang ihm der Wurzelsepp entgegen. Die alte Alraunenhexe machte ein Foto von ihm. „Nein, nein, nicht auflesen!“, schrie der Wurzelsepp. „Das gehört mir! Rück es heraus!“ Er wollte Idan, der zurückwich, mit seinen derben Klauen am Hals packen und der Junge stolperte nach hinten und verlor das Gleichgewicht. In diesem Augenblick kam Silena, die Hirschkuh, zurück. Ihr Ehemann war ein gewaltiger Hirschbock und süße, kleine Kinder folgten ihnen. „Halt! Halt! Aufhören! Was macht ihr da!“, rief Silena. Leider aber war der Wurzelsepp der Sprache der Tiere nicht mächtig. Nur wenige Sekunden ließ er von Idan ab, erstaunt über die vermeintliche Zutraulichkeit der wundervollen Tiere und diese mit seinen Kumpanen begaffend, gerade soviel Zeit, wie der Junge brauchte, um sich wieder aufzuraffen. Dann stürzte sich der Wurzelsepp erneut auf Idan.

      „Meine Knöpfe! Meine Silberscheiben! Rück sie heraus! Sie gehören mir!“

      „Herausrücken?“, rief Idan, mutiger geworden durch Silenas Gegenwart.

      „Aber ich kann sie ja nicht aus meinem Rücken rücken, sie sind ja auf meinem Rücken, nicht in ihm!“ Durch solche Scherze glaubte Idan die Atmosphäre ein wenig aufzulockern. Er war überzeugt davon, dass sich das Missverständnis bald aufklären würde, jetzt, da Silena und ihre Familie anwesend waren. Doch leider war dem nicht so. Vielmehr hatte durch Idans Bemerkung der Wurzelsepp jede Beherrschung verloren und versetzte dem kleinen Idan einen solchen Fußtritt, dass er über den Kraterrand flog. Er war bloß froh, dass er sich zuvor satt gegessen hatte. Denn diesmal wusste er, welch lange Reise ihm bevorstand. Es braucht nicht nochmals geschildert zu werden, welche wundersamen Dinge dem kleinen Idan auf dieser Reise begegneten, denn er erlebte sie alle ein zweites Mal, nur diesmal in der umgekehrten Reihenfolge. Die roten Teufel, die ihn zuletzt nach oben hatten emporstreben sehen, sahen ihn nun aus seiner vermeintlichen Höhe fallen und machten vergrämte oder verächtliche Gesichter dazu, zogen Fratzen oder drückten ihre Verachtung durch das Herausspeien von Spucke aus. Leider aber traf ihn diese Spucke nicht, da sie ihm stets hinterher eilte und ihn nie einholte. Und so musste der kleine Idan wieder mindestens zwei Tage durstig sein. Manch einer der Teufelsburschen warf ihm auch einen Götzen aus gebranntem Ton hinterher, der genau die Züge Idans trug und ihnen nunmehr entthront dünkte. Nachdem der Junge den dunklen Hohlraum im Mittelpunkt der Erde passiert hatte, erwartete ihn ein besseres Schicksal. Die Teufel auf den Balustraden der anderen Höllenhälfte sahen den einst Gestürzten fliegen, huldigten ihm und schütteten Weihwasser aus. Da dieses ihm entgegenflog, so konnte er sich erfrischen und seinen Durst stillen. Die einstigen Spötter zollten ihm plötzlich Achtung. Die Nachricht vom Flug des göttlichen Jünglings verbreitete sich wie ein Lauffeuer, wahrscheinlich durch ein ausgeklügeltes Signalsystem. Und als Idan die oberen Stockwerke erreichte, präsentierten ihm die Kreaturen Götzenbilder, die ihm glichen, und verneigten sich vor ihm. In wenigen Stunden hatten die Teufel diese Figuren angefertigt. Wasserfontänen, die als eine besondere Form der Huldigung galten, trafen ihn von allen Seiten, sodass er nicht Durst litt.

      Endlich hatte Idan den Schacht passiert und fiel in die freie Höhe hinauf, den Grund der Ganganjer-Schlucht hinter sich lassend. Er durfte nun hoffen, dass seine Reise ein glückliches Ende nehmen würde. Aber nirgends sah er seine Kameraden. Weder am Grunde der Ganganjer-Schlucht noch irgendwo an ihrer steilen Felsenwand waren sie anzutreffen. Idan strebte den Wolken entgegen. Dabei hatte er streng genommen nicht einmal die Erdoberfläche erreicht. Es dauerte noch einige Stunden, bis er am Rand der Schlucht angekommen war. Idan machte einen Purzelbaum nach vorn, um nicht in die Schlucht zurückzufallen, und überschlug sich im Gras. Dann raffte er sich auf und wanderte in den Komponischen Märchenwald zurück. Dort fand er alle Tiere versammelt in großer Trauer um seinen Verlust. Wie groß war da die Wiedersehensfreude! Erfinder-Äffchen hatte so manche Träne vergossen und alle Tiere des Waldes hatten ihm große Vorwürfe gemacht. Besonders die beiden Riesen hatten es hart getadelt. Sie waren untröstlich gewesen. Jetzt aber waren alle überglücklich. Als Erstes fragten sie ihn danach, ob er die Geweihspitzen der Hirschkuh mitgebracht habe. Als Idan verneinte, waren sie erst enttäuscht. Umso erfreuter zeigten sie sich aber, als er berichtete, dass Silena auf der anderen Seite der Erde in Glück und Frieden lebe. Sie fragten Idan, wo denn das sein könne. Aber dieser wusste es nicht zu sagen. Er zeigte ihnen aber die goldenen Knöpfe, die er aufgelesen hatte. Sie trugen unbekannte Ornamente. Aber auch Oler und der große Idan hatten als Schüler in Erdkunde nie so richtig aufgepasst und konnten nicht sagen, aus welchem Lande die goldenen Knöpfe stammten. Als der kleine Idan seinen Rucksack entleerte, fielen die silbernen Scheiben heraus. Und alle fragten, worum es sich dabei handle. Der kleine Idan konnte es nicht sagen. Aber die Riesen wussten Bescheid. „Das sind Ton erzeugende Scheiben“, sagte der große Idan. Wenn man sie mit dem Loch in der Mitte auf einen Stab setzt und sie zum Schwingen bringt, erzeugen sie Töne. Das wurde dann auch gemacht. Erfinder-Äffchen hatte in seinem Labor einen Stab, den es mithilfe einer Maschine drehen konnte. Und auf diesen Stab setzten sie die Scheiben. Da hörten sie die wunderbaren Lieder, die der Wind in dem Geweih Silenas gesungen hatte und alle Bewohner des Märchenwaldes waren mehr als genug entschädigt für den Verlust der sanften Hirschkuh.

      „Jetzt möchte ich aber noch wissen, wie ihr es geschafft habt, von dem Felsenvorsprung aus wieder nach oben zu kommen“, sagte Idan zu Äffchen.

      „Gewusst wie!“, erwiderte Äffchen stolz und reckte den Zeigefinger in die Höhe.

      „Hast du die Zeit zurücklaufen lassen?“, fragte der kleine Idan.

      „Nein, aber wir haben den beiden Riesenadlern, als sie in ihr Nest zurückkehrten und wir uns vor ihrem Angriff verteidigen mussten, die beiden Enden der Strickleiter mit den künstlichen Saugschrauben um die Hälse gelegt. Sie standen dabei so über ihrem Kopf, dass sie glaubten, echte Saugschrauben würden über ihnen davonfliegen. Und um sie zu erhaschen, jagten sie ihnen nach und nahmen die Strickleiter und uns, die wir daran hingen, mit nach oben.“

      Da lachten alle und umarmten sich. Und sie durchlebten noch schöne Tage.

      Sabut

      Die geplante Reise zur Nordküste wurde zunächst aufgeschoben. Es gab wichtigere Dinge zu regeln. Erfinder-Äffchen musste sein Labor neu einrichten. Außerdem wusste es, dass sich die beiden Riesen Oler und Idan noch im Wald aufhielten und diese hätten sie niemals gehen lassen.

      Eines Morgens rannte der kleine Idan aufgeregt im Wald umher.

      „Heute hat Entchen Geburtstag! Ich muss ihm was schenken!“ Entchen war eine dicke, weißgrüne kleine Wildente.

      Jetzt lief der kleine Idan auf Bär Porbulos Höhle zu – und mitten hinein. Bär Porbulo, der mit seinem stärksten Diener Barli-Bär und seinem Bruder Zotti-Momi noch im Halbschlaf lag, gähnte laut und fragte Idan nach dem Grund seines Kommens.

      „Weißt du denn das nicht? Entchen hat doch Geburtstag. Du musst ihm etwas schenken!“

      „Was ist denn das wieder für ein Quatsch, mit dem du mir da ankommst?“, brummte Bär Porbulo.

      Idan erklärte alles, so gut er konnte. Es war nicht leicht, Bär Porbulo die Bedeutung von Geburtstagen zu erläutern. „Na schön“, brummte der schließlich. Er holte etwas Bräunliches aus seiner Höhle hervor und ging damit zu Entchen. Dort angekommen öffnete er seine Pfoten und man konnte etwas erkennen, das Idan und Entchen zunächst erschrecken ließ. Es war etwas Lebendiges, nur etwa einen halben Meter