Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama. Claudia Clark

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Название Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama
Автор произведения Claudia Clark
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991078296



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war, ihre politische Karriere weiter auszubauen. In dieser Zeit war sie für die Organisation der UN-Klimakonferenz in Berlin zuständig, dessen Ergebnis das sogenannte „Berliner Mandat“ war – ein erstes Versprechen der beteiligten Länder, die Emission der Treibhausgase zu reduzieren.42 Merkel war klar, dass sie ihre politische Karriere Helmut Kohl zu verdanken hatte, aber sie wusste auch, dass sie sich von „dem Dicken“ – so wie der korpulente Kanzler in Regierungskreisen genannt wurde – abnabeln muss. Sie drückte es diplomatisch aus: „Ich wusste, dass ich darum kämpfen musste, als Individuum gesehen zu werden. Nicht nur in den Augen von Helmut Kohl, aber in den Augen anderer Leute. Die Menschen hatten bereits eine vorbestimmte Meinung über mich; eine Quotenfrau von links. All das hat mich sehr geärgert.“43

      Merkel sollte bald nicht nur Kohl gegenüber beweisen, dass sie eine echte Bereicherung für sein Kabinett und die Administration war: Als Kohl 1998 die Bundestagswahlen verlor und die oppositionelle Sozial Demokratische Partei Deutschlands (SPD) mit ihrem Parteiführer Gerhard Schröder an die Macht kam, wurde sie von der CDU zur neuen Generalsekretärin gewählt. Nur ein Jahr später kam die CDU-Spendenaffäre: Die Partei von Kohl hatte über Jahre hinweg Gelder von Parteifreunden erhalten, diese Summen oder die Spender jedoch nicht veröffentlicht. Kohl weigerte sich, Namen zu nennen, denn schließlich habe er den Spendern sein Ehrenwort gegeben, sie würden anonym bleiben. Die meisten Mitglieder der CDU wollten den Skandal stillschweigend unter den Teppich kehren, aber Merkel hatte eine andere Meinung dazu, oder, wie einige später behaupteten, konkrete Zukunftspläne: Mit einem vernichtenden Leitartikel, der am 22. Dezember 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, forderte sie den Rücktritt von Kohl und ermutigte ihre Partei, ohne ihn vorwärtszugehen: „Denn nur auf einem wahren Fundament kann ein richtiges historisches Bild entstehen. Nur auf einem wahren Fundament kann die Zukunft aufgebaut werden. Diese Erkenntnis muss Helmut Kohl, muss die CDU für sich annehmen. Und nur so wird es der Partei im Übrigen auch gelingen, nicht immer bei jeder neuen Nachricht über eine angebliche Spende angreifbar zu werden.“44

      Diese Worte waren politischer Sprengstoff und für Merkel hagelte es Kritik: Für viele war ihr Schritt zu opportunistisch oder gar machiavellistisch. Andere sahen mit diesem Artikel eine Frau, die zu viele Male unterschätzt und unterminiert wurde, und die als kompetente Politikerin ihre eigenen Ziele und Bestrebungen verfolgt. Doch alle waren sich einig: Dieser Artikel markierte einen Wendepunkt in Merkels Karriere – der, mit dem sie sich für die Stelle als Kanzlerin positionierte.

      Merkels Beitritt zur CDU hatte von Anfang Verwunderung ausgelöst. Nicht nur besaß die Partei starke patriarchale Züge, ihre Hochburgen lagen im konservativen Westen und Süden Deutschlands, das überwiegend katholische Wurzeln hatte. Merkel jedoch war Protestantin und stammte aus Norddeutschland. Zudem eckte sie mit ihrem Lebensstil an – eine 45-jährige, geschiedene Frau, die mit ihrem ebenfalls geschiedenen Freund zusammenwohnte – und für viele in der Partei kein gutes Beispiel war. Darauf angesprochen gab Merkel zurück, sie sei bereits einmal verheiratet gewesen und wäre nun vorsichtig, nichts zu überstürzen.45

      Trotzdem wurden ihr immer wieder Fragen über ihr Privatleben gestellt – Fragen, von denen Autor Matthew Qvortrup behauptet, die ein Mann niemals hätte beantworten müssen. So stellte Merkel immer wieder klar: „Nein, ich habe nicht entschieden, dass ich keine Kinder haben wollte. Als ich in die Politik ging, war ich 35, und jetzt kommt es nicht mehr in Frage.“46 Angela Merkel war jedoch eine wichtige Persönlichkeit in einer konservativen Partei, die an die Werte Kinder, Küche und Kirche appellierte. Mit einer aufgeklärteren Sichtweise über die Frauenrolle aufgewachsen und zudem eine Karrierefrau, fand Merkel es schwer, ständig mit derartigen Fragen bombardiert zu werden – vor allem, da sie diese für irrelevant hielt. Merkel sah jedoch ein, dass sie – wenn sie auf der politischen Bühne Deutschlands eine Hauptrolle spielen wollte – sich dieser Besorgnis zuwenden musste.

      Von daher gaben Angela Merkel und Professor Joachim Sauer dem gesellschaftlichen Druck nach und sie gaben sich selbst das Ja-Wort: Am 28. Dezember 1998 heirateten die beiden im allerengsten Familienkreis.47 Man kann sagen, dass Merkels Heirat und die Bindung an soziale Normen einhergeht mit dem, was ihre Eltern ihr damals zu Ostzeiten vermittelt hatten: Dass man manchmal so tun muss, als ob man mitmachen oder den Prinzipien folgen würde; allein schon, damit das eigene Leben besser wird.

      Opportunismus und Pragmatismus gehören zu den bewundernswertesten Eigenschaften von Merkel. Es ist diese Kombination, die sie die politischen Ränge hat erklimmen lassen. Der Rechtsgelehrte Guido Calabresi beschrieb Merkel so: „Sie geht in keinen Kampf, den sie nicht gewinnen kann. […] Es gibt da ein paar Leute, die ihr im Weg waren und die jetzt in ihren Gräbern liegen.“48 Kohl war der Erste von vielen Politikern – in Deutschland und weltweit – die Merkel komplett unterschätzten. Auch Gerhard Schröder, Parteivorsitzender der SPD und Bundeskanzler von 1998 bis 2005, hat sie in der Öffentlichkeit als „bemitleidenswert“49 bezeichnet. Merkels großer Tag sollte noch kommen.

      Nach der Spendenaffäre legten sowohl Kohl als auch sein Nachfolger Wolfgang Schäuble ihre Ämter nieder und Merkel wurde am 10. April 2000 als erste Frau zur CDU-Parteivorsitzenden gewählt. Zwar hatte Merkel Ambitionen, bei den darauffolgenden Wahlen zum Bundestag 2002 als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen, doch fehlte ihr die Unterstützung der meisten Ministerpräsidenten und anderen Parteiführern. Im gleichen Jahr, zusätzlich zu ihrer Rolle als Parteivorsitzende, wurde sie Oppositionsführerin im Bundestag.

      Am 30. Mai 2005 stellte die CDU/CSU Angela Merkel als Gegenkandidatin zum amtierenden Kanzler Gerhard Schröder auf. Als es wenige Monate später, am 18. September 2005, zu den Bundestagswahlen kam, sollte Merkel basierend auf Umfragen als klare Siegerin hervorgehen. Doch das Ergebnis war knapp: Die CDU/CSU kam auf 35,2 % der Zweitstimmen und die SPD lag mit nur einem Prozentpunkt, also 34,2 % darunter, sodass sich beide Parteien in der Nacht zum Wahlsieger erklärten. Aber weder die Wunsch-Koalition bestehend aus SPD und Grüne noch die CDU-CSU-Koalition hatte genug Sitze für die Mehrheit im Bundestag.

      Nach dreiwöchigen Verhandlungen erreichten SPD und CDU jedoch ein Abkommen, bei dem Merkel die Kanzlerposition und die SPD 16 Positionen im Kabinett erhalten sollte. Merkel wurde von dem neuen Bundestag mit 397 Ja- zu 214 Nein-Stimmen gewählt. Am Morgen des 22. November 2005 um 11 Uhr 52 wurde Dr. Angela Dorothea Merkel vor dem Deutschen Bundestag als neue Kanzlerin vereidigt. In diesem historischen Moment war Angela Merkel die erste Frau in dieser Position, die zudem aus Ostdeutschland kam, und mit nur 51 Jahren auch die jüngste Amtsträgerin.50

      * * *

      Obamas politische Karriere begann 1996, als ihn die Bürger von Chicagos South Side in den Senat von Illinois wählten. In seiner Amtszeit unterstützte er Gesetze, die Arbeitern mit niedrigem Einkommen größere Steuerfreibeträge zusicherten, er verhandelte Reformen im Sozialwesen und setzte sich für mehr Subventionen für Kinderbetreuung ein. Bis 2002 wirkte Obama im Senat für den Bundesstaat Illinois. Dann musste er seinen ersten Fehlschlag einstecken, als er 2002 gegen den demokratischen US-Kongressabgeordneten Bobby Rush antrat, der bereits seit vier Legislaturperioden dieses Amt innehatte. Die Niederlage fiel sehr knapp aus und Obama fühlte sich gedemütigt, doch bereits im August 2002 trieb er Gelder ein, stellte ein Wahlkampf-Team zusammen und kündigte seine Kandidatur für den US-Senat offiziell im Januar 2003 an.51

      So richtig aufmerksam wurde man auf Obama, als er den Eröffnungsvortrag zur Democratic National Convention, der Parteiversammlung der amerikanischen Demokraten, im Juli 2004 in Boston hielt. In seiner später als „Audacity of Hope“ oder „Die Kühnheit der Hoffnung“ bekannt gewordenen Rede argumentierte Obama mit viel Leidenschaft: „[…] es gibt kein liberales Amerika und kein konservatives Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt kein schwarzes Amerika und kein weißes Amerika und kein Latino-Amerika oder asiatisches Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika.“52 Nur kaum vier Monate später wurde er mit einem erdrutschartigen Wahlsieg in den US-Senat gewählt.

      Aufgrund seiner bewegenden Rede mehrfach dazu aufgefordert, bewarb sich Obama schließlich am 10. Februar 2007 für das US-Präsidentschaftsamt. Er kündigte seine Kandidatur vor dem symbolträchtigen Old State Capitol an, dem Regierungsgebäude in Springfield, Illinois, in dem Präsident Lincoln 1858 seine historische „House Divided“-Rede gehalten hatte. Obama, der erste schwarze Präsidentschaftskandidat,