Название | Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama |
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Автор произведения | Claudia Clark |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991078296 |
Die deutsche Kanzlerin wählte ihre Worte sehr diplomatisch. Aus persönlicher Sicht hatte sie eine gute Beziehung zu Bush, aber auf professioneller Ebene war sie sich der Herausforderungen bewusst, die sich aus einigen seiner politischen Maßnahmen ergaben. Von daher gelang es ihr, die Verhängnisse der Bush Administration zu diskutieren, ohne dabei seinen Namen zu nennen und ihn öffentlich bloß zu stellen. Merkel zählte ganz einfach heiße Themen auf wie Afghanistan, Iran und die Beziehung zu Russland, die dringend Aufmerksamkeit bedurften, und verdeutlichte: „Ich hoffe, dass unsere Kooperation dadurch gekennzeichnet sein wird, dass wir einander zuhören und darauf basiert, dass ein einziges Land alleine die Probleme dieser Welt nicht lösen kann, sondern wir es nur gemeinsam tun können.“6
Merkel gab zu, dass die Situation in Afghanistan zukünftig problematisch sein würde und bot für diese Region nichtmilitärische Unterstützung an. Sie machte jedoch klar, dass sie nicht von ihrem Standpunkt abweichen würde, keine militärischen Truppen zu schicken: „Wir haben dieser Entscheidung unsere Kapazitäten und Fähigkeiten zugrunde gelegt – nicht wer Präsident ist.“7 Obwohl es damals Spekulationen der Medien und anderer Politiker gab, dass Obama auf mehr militärische Unterstützung seitens seiner europäischen Verbündeten pochen würde, war das nicht der Fall.
Ein später veröffentlichtes Spiegel-Interview vom 2. Februar 2009 diskutierte die scheinbare Gleichgültigkeit der Kanzlerin gegenüber dem neu gewählten Präsidenten und den Konflikt der beiden Staatsführer in Bezug auf den Verbleib der Guantanamo-Insassen. „Es gibt nicht die kleinste Spur von Enthusiasmus für den Mann, auf dessen Schultern momentan die Hoffnung der ganzen Welt ruht. Merkel ist nicht darauf vorbereitet, den Amerikanern bei ihrem ersten konkreten transatlantischen Anliegen schnell entgegenzukommen, nämlich der Aufnahme von Häftlingen aus Guantanamo.“8 Dafür, dass Merkel in dieser Angelegenheit eine derart starke Meinung besaß, hätte man aus der Perspektive der USA ihre Unterstützung bei der Schließung der Anstalt durchaus erwarten können.
Präsident Obama und Kanzlerin Merkel hatten ihr erstes offizielles Telefongespräch in der letzten Woche im Januar 2009. Während ihrer 25-minütigen Unterhaltung sprachen sie über brisante Themen wie die Wirtschaftskrise, Iran und Afghanistan. In einem Spiegel-Artikel war später darüber zu lesen, dass Obama jede Möglichkeit genutzt habe, der Kanzlerin zu verdeutlichen, dass er sie nicht mit Forderungen bombardieren, sondern sie stattdessen überzeugen wolle.9 Merkel berichtete später ihrem Stab, dass Obama während des Telefonats nicht eine einzige Forderung gestellt habe – noch nicht einmal die nach mehr Truppen für Afghanistan. Zudem gäbe es zwei neue Bestandteile: Obamas Ton und seine Pausen zwischen seinen Sätzen. Im Gegensatz zur vorherigen Administration, die dazu tendierte, nur Ansprüche an die Verbündeten zu stellen, habe Obama auch zugehört. „Das Weiße Haus von Barack Obama ist ein Haus mit zwei Knöpfen, und nicht nur eines mit einem ‚Versenden-Knopf‘“, sagte Jackson Janes, ein vom Spiegel befragter Deutschland-Experte an der Johns-Hopkins-Universität in Washington. „Amerika möchte nicht mehr länger das Stinktier auf der Gartenparty sein.“10
Die Kunst des Zuhörens im Gegensatz zum bloßen Stellen von Forderungen sollte Obama noch häufig im Verlauf seiner Präsidentschaft an den Tag legen und eine Eigenschaft sein, die Merkel sehr schätzen und respektieren würde. Trotz ihrer höflichen Gespräche miteinander waren beide Politiker zunächst sehr zögerlich, wie sie einander einschätzen sollten. Merkel befürchtete, dass die große Begeisterung der Deutschen nichts weiter wäre als „ein allzu hastiger Ausdruck der Verehrung für den neuen Präsidenten, der – so sagen es die Leute – einfach besser sein muss als sein Vorgänger.“11 Sie vertrat in puncto Obama eine „Abwarten-und-Tee-trinken“-Haltung. Gegenüber der damaligen Außenministerin Hillary Clinton beschrieb Journalist und politischer Berater Sidney Blumenthal Merkels Skepsis wie folgt: „[…] sie mag nicht das atmospährische Umfeld, das mit dem Obama-Phänomen einhergeht; das steht komplett im Gegensatz zu ihrer Vorstellung von Politik und wie man sich allgemein benimmt. Sie würde eine Beziehung mit Ihnen begrüßen, die sich mehr auf Dialoge aufbaut.“12
Auf der anderen Seite des Atlantiks hatten der amerikanische Präsident und sein Stab eine ähnlich zurückhaltende Meinung über die Kanzlerin. Merkels ablehnende Antwort in Bezug auf Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor verstärkte zunächst seine Skepsis. Zudem wurde laut Spiegel ihre Absage, den Präsidenten in Washington nach seiner Amtseinführung zu besuchen, von Obamas Mitarbeitern als „taktlos und unhöflich“ angesehen.13 Auch lehnte Obamas Administration die von Deutschland durchgeführte „Scheckbuch-Diplomatie“ ab: Die Bundesregierung hatte 50 Millionen Euro für einen Treuhandfond bewilligt, der zum Aufbau und zur Ausbildung einer afghanischen Armee genutzt werden sollte – statt selber Truppen in den Süden Afghanistans zu schicken; etwas, was die Amerikaner als „einen Freikauf aus der Verantwortung ansahen.“14
Doch war zu jenem Zeitpunkt die Wirtschaftskrise der größte Streitpunkt. Merkel hatte bei ihren Kollegen den Ruf, alles immer auf die lange Bank zu schieben, weil sie eine Situation überanalysierte. Viele Politiker, sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands, empfanden diese Art von „Verschleppung“ als sehr lästig. Die Wirtschaftskrise war genauso eine Situation. Vertreter in Washington glaubten, dass Merkels Mangel an politischer und wirtschaftlicher Kompetenz diese Verzögerungen auslöste, was das Problem nur noch verschlimmerte. Hier sei anzumerken, dass Obama in der Anfangsphase in diesem Punkt die gleiche Meinung wie seine europäischen Kollegen vertrat. Doch in den folgenden Jahren sollte es gerade jener analytischer Entscheidungsprozess sein, den beide bevorzugten und etwas werden, was Obama an Merkel am meisten schätzen würde.
Die große Rezession begann im Dezember 2007, als der zu einem Wert von 8 Billionen Dollar aufgeblasene amerikanische Immobilienmarkt plötzlich zusammenbrach. Die wirtschaftlichen Folgen waren nicht nur für die USA desaströs, sondern auch für die restliche Welt. Vor der Katastrophe lag die Arbeitslosenquote in den USA bei bescheidenen 4,9 Prozent; doch bis zum Oktober 2009 stieg die Zahl auf 10,1 Prozent.15 Diese Werte waren ähnlich in Europa, wobei Spanien von der Arbeitslosigkeit mit 18,7 Prozent und 37 Prozent bei den Jugendlichen am härtesten betroffen war.16 Trotz der weltweit spürbaren Folgen der Rezession, blieb der Euro stabil, wobei Deutschland hier eine entscheidende Rolle spielte.
Trotzdem versuchte die deutsche Regierung mehrere Wochen lang im Vorfeld des G20- Gipfels, die „Charter for Sustainable Economic Activity“ zu verabschieden. Hierbei ging es darum, die Verschuldung von Staaten einzuschränken: Länder dürfen sich nur so stark verschulden, wenn gewährleistet ist, dass sie sich finanziell wieder erholen können. Deutschland und Frankreich kämpften für strengere wirtschaftliche Regulierungen. Insbesondere die europäischen Politiker forderten eine Überwachung der Banken auf europäischer Ebene, erweiterte Hedgefonds-Regulierungen und für Banken eine größere Summe an Eigenkapital. Die Regulierung von Hedgefonds und Steuern wurde zum größten Streitpunkt zwischen den Amerikanern und Europäern. Obwohl die Amerikaner zögerlich in Bezug auf die vorgeschlagenen Reformen blieben, erwartete die deutsche Regierung, dass Obama sich der Finanzreform des G20-Gipfels anschloss.
Bereits vor dem G20-Gipfel in London trafen sich mehrere führende EU-Politiker in Brüssel, um an einer Strategie zur Bewältigung der Finanzkrise zu arbeiten. Dies ging auf Merkel zurück, die darauf bestand, dass die EU mit einer gemeinsamen Stimme sprechen sollte. Die Gruppe kam zu der Entscheidung, dass es keine weiteren Finanzhilfen geben sollte, und dass die EU eine Führungsrolle in der Reform der Weltfinanzmärkte einnehmen wollte.17
Die EU-Politiker waren in hartnäckiger Opposition zu weiteren Konjunkturprogrammen und zunehmend über die Position der USA beunruhigt – insbesondere nachdem sie erfuhren, dass Obamas Finanzminister die Empfehlungen des International Monetary Fund (IMF) unterstützte; hiernach sollten alle Nationen 2 % ihres Bruttoinlandproduktes in ein Stimulus-Paket einzahlen.18 Die Regulierung der Hedgefonds und die Steuern wurden zur größten Streitfrage zwischen den Amerikanern und den Europäern. Denn die Amerikaner waren der Meinung, dass Gelder durch die Förderprogramme einen besseren und nachhaltigeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten würden als bloße Regulierungen.
Einem durchgesickerten Dokument zufolge, das für US-Außenministerin Hillary Clinton bestimmt war, hatte Merkel „tiefe Befürchtungen, dass die Obama-Regierung sich auf