Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama. Claudia Clark

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Название Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama
Автор произведения Claudia Clark
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991078296



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ihm in Chicago Identität; er fühlte sich leer und beschrieb seine Situation als „einer Sprache entzogen, einer Arbeit entzogen, sogar der Fixierung auf Rasse entzogen, an die ich mich gewöhnt hatte und die mich zwang, in mein Inneres zu sehen, wo ich aber nur eine große Leere fand.“33 Auf Anraten seiner Kollegen reiste Obama im Sommer 1988 nach Kenia, um dort sein inneres Vakuum zu füllen und auch, um mit seinem Vater ins Reine zu kommen. Die Begegnungen mit seinem Vater und seiner Familie in Afrika sollten die Grundlage für Obamas Autobiografie Dreams from My Father werden.

      Als Obama im Herbst 1988 wieder in die Staaten zurückkehrte, schrieb er sich als Jura-Student an der Harvard Law School ein. Nach Chicago kam er jedoch in den folgenden Jahren während der Sommermonate immer wieder zurück, um bei der Anwaltskanzlei Sidley Austin als Praktikant zu arbeiten. 1989 wurde ihm dort eine Mentorin zugewiesen: Michelle LaVaughn Robinson. Am 17. Januar 1964 in Chicago, Illinois geboren und aufgewachsen, absolvierte Michelle 1985 die Princeton University cum laude mit einem Abschluss in Soziologie und besuchte anschließend die Harvard Law School, die sie 1988 beendete. Ihre Beziehung zu Obama entwickelte sich im Laufe jenes Sommers und begann mit einem geschäftlichen Mittagessen und einer Gemeindeveranstaltung, auf der Obama sie zu beeindrucken wusste.

      Der Harvard Law Review, eine von Jura-Studenten der Harvard Universität herausgegebene Zeitschrift, wählte Obama 1990 als ersten Schwarzen in ihr Herausgeber-Team. Dies weckte die Aufmerksamkeit der amerikanischen Medien und Obama erhielt daraufhin einen Publikations-Vertrag. Obama nutzte diese Gelegenheit und schrieb für den Harvard Law Review Essays über die Erlebnisse in Afrika, die später die Basis für seine Autobiografie Dreams from My Father wurden.

      Obama absolvierte Harvard 1991 und ging zurück nach Chicago. Dort unterrichtete er von 1992 an Verfassungsrecht an der University of Chicago Law School. 2004 wurde er Mitglied der Anwaltskanzlei Davis, Miner, Barnhill & Galland, einer aus 13 Anwälten bestehenden Firma, die auf Bürgerrechts-Prozesse und Stadtteil-Entwicklung spezialisiert war.

      Was sein Privatleben betraf, so heirateten Michelle und Barack im Oktober 1992. Aus ihrer Ehe gingen zwei Töchter hervor: Malia Ann (geboren 1998) und Natasha (genannt „Sasha“, geboren 2001). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Michelle Obama mit gleich zwei Abschlüssen von US-Elite-Universitäten eine der am besten ausgebildeten First Ladies in der Geschichte der Vereinigten Staaten war. Als Ehemann einer tüchtigen Anwältin, Sohn einer akademisch-geprägten Mutter und Enkelsohn einer geachteten Matriarchin – Madelyn Dunham, sie verstarb nur einen Tag vor seiner Wahl – war Obama von der Anwesenheit intelligenter und gebildeter Frauen offensichtlich alles andere als eingeschüchtert; ein Umstand, der ebenfalls den Respekt und die Chemie zwischen ihm und Angela Merkel erklären könnte.

      * * *

      Angela traf Ulrich Merkel, ihren ersten Ehemann, während des Studiums. Sein Nachname sollte später einer der wichtigsten auf der weltpolitischen Bühne werden. Matthew Qvortrup schreibt in seinem Buch, dass Ulrich seine zukünftige Frau zum ersten Mal in einer Bar sah, wo sie hinter dem Tresen arbeitete. Ihre Beziehung begann, nachdem die beiden 1972 im Rahmen einer studentischen Veranstaltung nach Leningrad reisten. Beide erinnerten sich an ihre gemeinsame Zeit in Leipzig als „sorgenfrei“. Im Rahmen ihrer eingeschränkten Reisefreiheit fuhren sie in Urlaub und gingen in ihrer Freizeit ins Kino oder Theater. Die beiden zogen 1976 in eine kleine Wohnung mit zwei anderen Paaren und teilten sich mit ihnen die Küche und das Badezimmer.34 Ulrich und Angela heirateten im September 1977.

      Sowohl Angela als auch Ulrich arbeiteten an der renommierten Akademie der Wissenschaft der DDR in Berlin, der damals wichtigsten Forschungseinrichtung in Ostdeutschland. Ulrich wirkte als Assistent am Zentralen Institut für Optik und Angela als Assistentin an der Physikalischen Chemie. Beide waren sehr auf ihre Karriere konzentriert, sodass ihre Beziehung darüber zerbrach und nach vier Jahren Ehe Angela unerwartet ihren Mann verließ. Ulrich beschrieb die Umstände wie folgt: „Eines Tages packte sie plötzlich ihre Koffer und ging aus unserer gemeinsamen Wohnung. Sie hat alle Vor- und Nachteile genau analysiert und alle Konsequenzen in Betracht gezogen. Wir haben uns in Freundschaft getrennt. Wir waren beide finanziell unabhängig. Es gab nicht so viele Dinge, die wir zwischen uns aufteilen mussten.“35

      Merkel konnte auf eine erfolgreiche Karriere als Quantenphysikerin blicken und hatte viele wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Jedoch realisierte sie, dass eine wissenschaftliche Laufbahn nicht das war, was sie sich für ihr Leben vorgestellt hatte: „Die Aussicht war nicht sehr reizvoll, für die kommenden 25 Jahre Forschung mit einem kleinen Budget zu betreiben.“36 Doch glücklicherweise begann sich die Welt, so wie sie sie bisher kannte, langsam zu verändern und es sollten sich bald Möglichkeiten ergeben, mit denen sie ihre wahre Berufung finden würde.

      Obwohl es unter der politischen Oberfläche der Ost-Berliner Regierung bereits rumorte, sollte es die missverstandene Arbeitsanweisung eines Parteisprechers sein, welche die Berliner Mauer vorzeitig zum Einsturz brachte – etwas, mit dem niemand gerechnet hatte: Der Sprecher verkündete am Abend des 9. November 1989, dass ostdeutsche Bürger von nun an ohne besondere Papiere problemlos in den Westen reisen könnten. Als Resultat fiel die Mauer und veränderte über Nacht für Millionen von Menschen ihr Leben.

      In seiner BBC-Dokumentation von 2013 The Making of Merkel berichtet Filmemacher Andrew Marr, dass Merkel an jenem Abend ihrem üblichen Donnerstag-Ritual frönte – ein Saunabesuch mit Kollegen und anschließendem Bier.37 Doch ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Fall der Mauer dauerte nicht lange. Sie war gerade mal 35 Jahre alt, also noch „jung genug, dass ein Neubeginn mit einer neuen Karriere möglich war,“38 kommentierte ein ehemaliger Freund und Kollege.

      Der Sprung von der Physikerin zur Politikerin schien zwar unwahrscheinlich, aber er war laut Filmemacher Marr durchaus möglich: „Sie wollte ihre Macht nutzen – vor dem Fall der Mauer war es die Macht über Moleküle, danach wollte sie ihre Macht auf eine größere Bühne bringen.“39 Angela Merkel war in einer Familie aufgewachsen, in der Politik immer eine große Rolle gespielt hatte und der Samen für ein Interesse daran wurde vielleicht unbewusst schon früh ausgesät. Als plötzlich alle Beschränkungen verschwanden und Merkel offen über Politik sprechen konnte, schien sie ihre wahre Berufung gefunden zu haben.

      Merkel begann ihre politische Karriere bei dem Demokratischen Aufbruch (DA), einer politischen mitte-rechts Organisation. Nach eigenen Angaben ist sie einfach in das Büro der DA hineingegangen und fragte, ob sie helfen könnte. Die westdeutsche Regierung hatte zu jenem Zeitpunkt der DA dutzende Computer gespendet, die aus ihren Kartons herausgenommen und angeschlossen werden mussten. Dies wurde Merkels Aufgabe, über die sie später sagte, dass ihr die wissenschaftliche Ausbildung gut zupasskam, um sich mit dem politischen Prozess vertraut zu machen. In einem Interview von 2004 beschreibt Merkel diese Reformation als „Zauber eines neuen Anfangs. Man wird nie wieder so etwas Schönes erleben dürfen.“40

      Merkels politische Karriere sollte sich bald in einem beispiellosen Tempo beschleunigen. Hatte sie gerade erst Kartons ausgepackt, so wurde ihr nur sechs Monate später eine Position im deutschen Kabinett angeboten. Die große Preisfrage, so Dokumentarfilmer Marr, ist daher: Wie gelang es Merkel, von einem normalen Mitglied der ostdeutschen Gesellschaft in kurzer Zeit zu einer führenden Politikerin Deutschlands zu werden? Für Marr gibt es nur eine logische Antwort: Sie war die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort.41

      Im März 1990 wurden in Ostdeutschland die ersten freien Volkskammerwahlen abgehalten. Hierbei ging der konservative Politiker Lothar de Maizière als Wahlsieger hervor und ernannte Angela Merkel zur Sprecherin seiner neuen Regierung – der ersten und letzten frei- gewählten in der DDR. Sehr zur Überraschung vieler trat Merkel jedoch im April 1990 der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) bei. Der damalige Parteivorsitzende war Helmut Kohl, zugleich Bundeskanzler und Anführer der Wiedervereinigungsbewegung in Westdeutschland. Bei der ersten Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung im Dezember 1990 wählten die Bürger in der Region Vorpommern-Rügen Angela Merkel in den Bundestag und die Deutschen wählten Helmut Kohl zum ersten Kanzler des vereinten Deutschlands.

      Kohl wollte für sein Kabinett eine Frau und jemanden aus der ehemaligen DDR. Merkel erfüllte gleich beide Voraussetzungen und Kohl ernannte sie zur Ministerin für Frauen und Jugend. Kohl wurde ihr Mentor, nannte sie oft „mein Mädchen“ und stellte sie auch