Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama. Claudia Clark

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Название Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama
Автор произведения Claudia Clark
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991078296



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Politikern im Rahmen des 60-jährigen Bestehens der NATO. Die Konferenz begann gleich am nächsten Tag und fand am 3. und 4. April 2009 in Baden-Baden und im französischen Straßburg statt. In Baden-Baden gab es das erste bilaterale Treffen mit anschließender gemeinsamer Pressekonferenz.

      Gemäß dem Protokoll für den Besuch eines ausländischen Würdenträgers, wurden der amerikanische Präsident und First Lady Michelle mit vollen militärischen Ehren empfangen. Dieser Besuch lockte viele Menschen auf die Straßen, die den Präsidenten und die Kanzlerin begrüßten. Sie riefen begeistert „Obama“ und schwenkten deutsche und amerikanische Fahnen. Die zwei Staatsführer posierten mit ihren Ehepartnern für das offizielle Pressefoto und schüttelten den Schaulustigen die Hände. Dies entspricht in jeder Hinsicht dem, was zu erwarten ist, wenn ein Staatsoberhaupt einer verbündeten Nation zu Besuch kommt – insbesondere für jemanden so populärem wie dem amerikanischen Präsidenten.

      Der Ehemann der Bundeskanzlerin, Professor Sauer, nahm ebenfalls an der Zeremonie teil. Dies sprach von der Bedeutung dieses Ereignisses, denn normalerweise blieb er den öffentlichen Veranstaltungen seiner Frau fern – selbst bei der Vereidigung seiner Frau zur ersten deutschen Bundeskanzlerin hatte er sich nicht einmal freigenommen.35 Weil Sauer das öffentliche Rampenlicht mied und er Merkel lediglich zu den Bayreuther Festspielen begleitete, nannte ihn die deutsche Boulevardpresse das ‚Phantom der Oper‘.36 Wie bei vielen „ersten Malen“ in der Beziehung zwischen Merkel und Obama, war es das erste Mal, dass Professor Sauer einen öffentlichen Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung mit dem US-Präsidenten hatte, es sollte aber nicht der Letzte sein.

      Nach dem Militärempfang und dem Bad in der Menge auf der Straße hielten Merkel und Obama eine gemeinsame 30-minütige Pressekonferenz, bei der beide eine Erklärung abgaben und sich den Fragen der Presse stellten. Die Begeisterung und Sympathie der Deutschen für den amerikanischen Präsidenten gingen an der Kanzlerin nicht unbemerkt vorbei. Ihre einleitenden Worte sollten das reflektieren: „[…] wir möchten Sie wirklich sehr herzlich willkommen heißen. Ich denke, dass Sie gesehen haben, dass die Presse Sie auch sehr herzlich willkommen geheißen hat; und Sie haben ja auch die Leute entlang des Weges gesehen, die mit ihren kleinen Fähnchen stundenlang auf Sie gewartet haben; und wir freuen uns, dass Sie da sind.“37

      Nach dieser Begrüßung fasste sie die Themen zusammen, über die sie und Obama in ihrem privaten Meeting diskutiert hatten. Dabei ging es hauptsächlich um Afghanistan und die Ergebnisse vom G20-Gipfel. Als sie den andauernden Konflikt in Afghanistan ansprach, unterstrich Merkel die weitere Unterstützung aus Deutschland in dieser Angelegenheit und „Verantwortung“ für eine Lösung. In Bezug auf den G20-Gipfel in London sprach sie von einem produktiven Treffen, weil „[…] auch die Vereinigten Staaten ihre Kooperationsbereitschaft demonstrierten […] Ich denke, dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist, Allianzen in diesem Moment der Kooperation zu formen, da diese transatlantische Beziehung uns helfen kann, die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen.“38

      Zwischen den Zeilen ist hier zu erkennen, dass Merkel die von Obama auf dem G20-Gipfel gemachten Zugeständnisse würdigt. Die Kanzlerin berichtete von der Wichtigkeit und der langen Freundschaft und Partnerschaft der beiden Länder und hoffte, Obamas Versprechen, die getrübte Beziehung zwischen Deutschland und den USA wiederherzustellen, sei aufrichtig. Obwohl ihr Lob über die Freundschaft und die Beziehung zu Amerika offen und ehrlich war, schien ihr Kommentar über den Präsidenten eher höflich und deutlich reserviert. Sie schien immer noch skeptisch, aber das Eis fing langsam an zu schmelzen.

      Während Obamas zehnminütiger Ansprache berichtete er von unangenehmen Nachrichten, von denen er kurz zuvor erfuhr: Eine aktuelle Statistik aus den USA zeigte den Verlust von 663 000 Arbeitsplätzen im Vergleich zum Vormonat, was die Arbeitslosenquote auf 8,5 % katapultierte – die höchste Zahl in den letzten 25 Jahren. Insgesamt haben 5,1 Millionen Amerikaner seit Beginn der Finanzkrise ihre Arbeit verloren.39 Trotz der Schwere dieses Themas, gelang es dem Präsidenten, die Situation ein wenig aufzuhellen: Auf die Frage eines Reporters in Bezug auf die Wirtschaft antwortete Obama: „[…] die USA will der größte Verbrauchermarkt bleiben und wir werden sicherstellen, dass er offen bleibt […] Es ist nicht die Schuld der Deutschen, dass sie gute Produkte herstellen, welche die Vereinigten Staaten kaufen möchten; und wir müssen sicherstellen, dass wir Produkte herstellen, die die Deutschen kaufen wollen.“40 An dieser Stelle brach die sonst eher reservierte Kanzlerin in kurzes Gelächter aus.

      In seinem Statement sprach Obama auch über die NATO und erkannte an, dass es das erfolgreichste Staatenbündnis in der modernen Geschichte sei, aber fügte hinzu: „Wenn die NATO alles wird, dann ist sie nichts.“41 Zudem bedankte er sich bei Merkel und den Deutschen für die Unterstützung der Aktivitäten in Afghanistan: „Sie haben gerade gehört wie Kanzlerin Merkel betonte, dass das, was die NATO in ihrem Kern so effektiv gemacht hatte, auf dem Prinzip von Artikel 5 beruhte – wenn ein Verbündeter angegriffen wird, dann kommen alle Verbündeten zusammen, um sich dem Problem zu stellen […] Das ist das Wesen einer erfolgreichen Allianz.“42

      Es gab auf beiden Seiten des Atlantiks Spekulationen, dass Obama in Bezug auf Afghanistan nach mehr Ressourcen fragen würde und dass es dazu von den europäischen Alliierten Widerstand geben würde. Aber sowohl in Merkels als auch Obamas Kommentaren war nichts über einen möglichen Konflikt über Truppen in Afghanistan zu spüren. Merkel, als Verbündete und NATO-Mitglied, war sich darüber bewusst, dass Deutschland die amerikanische Mission dort so gut wie möglich zu unterstützen hatte.

      Obama und Merkel unterschieden sich von Anfang an in einer Sache: nämlich wie sie mit den Fragen von Journalisten auf Pressekonferenzen umgingen. Merkel gab normalerweise kurze und präzise Antworten. Obama hingegen besaß die Rhetorik eines typischen amerikanischen Politikers, nämlich um den heißen Brei herumzureden und alles andere als die gestellte Frage zu beantworten. Seine Antworten waren normalerweise recht lang und detailreich und enthielten allerlei Zahlen und Daten. Obama, der sich dieses Talents bewusst war, genoss diese besonderen Momente der Pressekonferenz. Ein deutscher Reporter hakte nach: „Was bedeutet das konkret für die Europäer und für die NATO?“43, worauf Obama sagte: „Ich glaube, das ist ein Hinweis darauf, dass meine Antworten zu lang waren. Also werde ich diese jetzt kürzer geben.“44

      Etwas, was in den späteren Pressekonferenzen und anderen Auftritten immer offensichtlicher wurde, war die Zuneigung der beiden Politiker füreinander und das Verteilen von Komplimenten. Von Anfang an bezeichnete Obama Angela Merkel als seine „Freundin“, ein Kompliment, das Merkel erst später zurückgab: „Ich möchte Merkel für ihre Führung, ihre Freundschaft danken […] Ich habe recht viel Zeit mit Merkel verbracht und ich bin weiterhin von ihrer Weisheit, Führungskraft und ihrem Fleiß in Bezug auf das Verfolgen der Interessen ihres Volkes beeindruckt.“45

      Hierzu kommentierte der Wissenschaftler für deutsche Geschichte Hans W. Gatzke: „Amerikaner sind eher bereit, das Wort Freundschaft zu benutzen als die meisten Deutschen.“46 Auch die Journalistin Lisa Schwesig bietet eine Erklärung mit Bezug auf typisch deutschen Umgangsformen: „Das Verteilen von Komplimenten deckt sich nicht unbedingt mit dem Wesen der Deutschen […] Die Deutschen lernen, demütig zu sein und sich nicht zu entblößen.“ Außerdem, so Schwesig, könnten Komplimente missverstanden werden und ergänzt: „Viele befürchten, dass sie jemanden mit einem Kompliment kränken oder zu nahetreten.”47 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Obama seine Freundschaft gegenüber Merkel offener zum Ausdruck brachte.

      Nach ihrem gemeinsamen Auftreten in Baden-Baden hatten Merkel und Obama gleich danach erneut Gelegenheit auf dem NATO-Gipfeltreffen in Straßburg zusammenzuarbeiten. Die Spannungen zwischen den beiden Politikern, so die Experten, waren immer noch groß. Doch Obama intervenierte im Namen von Merkel und half somit, ein politisches Desaster zu verhindern: 27 NATO-Mitglieder waren bereit, den Dänen Fogh Rasmussen als neuen NATO-Generalsekretär des transatlantischen Militärbündnisses zu wählen. Doch die Wahl muss aufgrund der Statuten einstimmig ausfallen und die Türkei weigerte sich, dem Nominierten ihre Stimme zu geben. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan begründete seine Entscheidung damit, dass 2005 in einer dänischen Zeitung ein politischer Cartoon über den Propheten Mohammed veröffentlicht wurde und Rasmussen daher für diese Position nicht infrage käme. In einer für sie eher unüblichen Aktion hatte Angela Merkel am Freitagnachmittag