Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama. Claudia Clark

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Название Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama
Автор произведения Claudia Clark
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991078296



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des Gipfels wäre ein Dissens für Merkel zur politischen Pleite geworden. Doch Obama griff am Samstag zum Telefon, sprach mit Erdoğan und sagte ihm gewisse Garantien zu – einschließlich Top-NATO-Positionen für die Türkei und den in Dänemark lebenden kurdischen Berichterstatter Roj RV. Dieser kommentierte in einem späteren Spiegel-Artikel: „Der US-Präsident, dessen ursprüngliches Ziel das Beschwichtigen der transatlantischen Beziehungen war, wirkt manchmal wie ein Eheberater.“48

      Obwohl Obama hier einschritt und Merkel vor einer Blamage in ihrem eigenen Land und international bewahrte, so hüllte sich die Kanzlerin Obama gegenüber in Schweigen. Es gab ein Foto mit ihr, lächelnd neben dem französischen Präsidenten Sarkozy auf dem Titelblatt von Der Spiegel, aber keinerlei öffentliche Anerkennung oder gar Dankbarkeit gegenüber Obama. Vielleicht gehörte dieses „Übersehen“ zum Verhaltensprotokoll deutscher Politiker und war nicht unbedingt als Unfreundlichkeit seitens Merkel zu werten.

      Dass die Kanzlerin Bedenken gegenüber dem neuen Präsidenten hatte, insbesondere zum Thema Weltwirtschaftskrise, deutete Merkel bereits in ihrem Interview mit der New York Times vor dem G20-Gipfel an. Doch ihre Bedenken sollten sich mit Obamas überraschenden Zugeständnissen in London sowie seiner Bereitschaft, die Verantwortung für die Finanzmisere zu übernehmen, immer mehr zerstreuen. Auch sein persönlicher Anruf bei Präsident Erdoğan wusste einen desaströsen Ausgang des NATO-Gipfels zu verhindern und zeigte der Kanzlerin, dass Obamas Versprechungen durchaus Substanz hatten. Dies schuf eine aussichtsreiche Grundlage für die Arbeitsbeziehung von Obama und Merkel, die aber in den folgenden Monaten getestet werden sollte.

      Kapitel 3: „Wilde Spekulationen“

      Juni 2009

      Anlässlich des 65. Jahrestages zur Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 2009 befand sich Präsident Obama auch zu Besuch in Deutschland. Er war gerade zwischen zwei Meetings, einem in Ägypten, dem anderen in der Normandie. Während seines Aufenthalts in Kairo hielt Obama seine inspirierende „New Beginning“-Rede an der Universität Kairo. Dabei sprach er über bestimmte politische Maßnahmen, die er bei seinem bevorstehenden Treffen mit Merkel aufgreifen wollte, insbesondere die Notwendigkeit für ein Zweistaatensystem für Israel und Palästina und das Thema Atomwaffen im Iran. Er argumentierte sehr leidenschaftlich für einen Neubeginn zwischen den Muslimen weltweit und den Vereinigten Staaten: „Ein [Neubeginn]basierend auf gegenseitigem Interesse und gegenseitigem Respekt und einer basierend auf der Wahrheit, dass Amerika und der Islam nicht exklusiv sind und nicht miteinander konkurrieren müssen. Sie überlappen sich und teilen die gleichen gemeinsamen Prinzipien – die Prinzipien von Gerechtigkeit und Fortschritt, Toleranz und Menschenwürde.“1

      Obama war klar, dass eine Rede nicht das jahrelange Misstrauen auslöschen würde, aber er forderte die Menschen auf „einander zuzuhören, zu respektieren und voneinander zu lernen, um eine gemeinsame Grundlage zu finden.“2

      In seinen Anmerkungen erinnerte Obama seine Zuhörer daran, dass die Vereinigten Staaten und Israel aufgrund ihrer historischen und kulturellen Beziehungen eine untrennbare Verbindung hätten. Vor dem Hintergrund des jahrelang bestehenden Antisemitismus verstand Obama auch den Wunsch der Juden nach einem eigenen Heimatland.3 Gleichzeitig betonte der Präsident die Wichtigkeit der Diplomatie und ermutigte die Menschen, den Konflikt von beiden Seiten aus zu betrachten. Er erklärte den Israelis, dass eine Ignoranz gegenüber den vielen Palästinensern, die seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern lebten, ebenfalls ein moralisches Dilemma darstelle. Obama argumentierte, dass die einzig sinnvolle Lösung zu dieser jahrzehntelangen Krise ein Zweistaatensystem wäre, in dem sowohl Palästinenser als auch Israelis in Frieden und Sicherheit miteinander leben könnten.4

      Von diesem Kompromiss würden nicht nur die beteiligten Völker profitieren, sondern auch die Vereinigten Staaten und die restliche Welt.5 Mit Nachdruck wies Obama darauf hin, dass die USA den Frieden nicht aufoktroyieren kann, er aber für die notwendige Unterstützung sorgen würde, damit beide Gruppen ihre Ziele erreichen.6 Dabei umriss er eine Reihe von Maßnahmen, die beide angehen sollten, damit Verbesserungen eher früher als später eintreten.7 Obama schlug vor, dass die Palästinenser von Gewalt absehen sollten und die Israelis damit aufhören müssten, den Palästinensern ein Recht auf einen eigenen Staat abzusprechen.8 Der Präsident gestand, dass die Israelis, wenn man mit ihnen privat unter vier Augen sprach, die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates durchaus verstanden. Obama schlug daher vor: „Es ist an der Zeit, dass wir das machen, von dem alle wissen, dass es das Richtige ist.“9

      Der Konflikt zwischen zwischen Israel und Palästina war nicht der einzige Brennpunkt im Mittleren Osten. Obama war klar, dass er auf die Befürchtungen der Öffentlichkeit eingehen musste, der Iran sei im Besitz nunklearer Waffen. Obama brachte daher das Thema in einem historischen Zusammenhang zur Sprache. Er gab zu, dass die Vereinigten Staaten und der Iran eine eher schwache Beziehung zueinander hätten, weil zu Zeiten des Kalten Krieges die USA beim Sturz der demokratisch gewählten iranischen Regierung involviert war. Obama stellte jedoch klar, dass die Vereinigten Staaten und der Iran in die Zukunft, statt in die Vergangenheit blicken sollten. Er sprach über sein Ziel: Eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen, weil „keine einzelne Nation bestimmen soll, welche Nationen nukleare Waffen besitzen dürften“.10

      * * *

      Einen Tag nach seiner Ansprache in Kairo reiste Obama nach Deutschland. Thema seiner Kurzreise war der Besuch von historisch signifikanten Schauplätzen des Zweiten Weltkrieges, zu dem auch ein Abstecher nach Dresden gehörte, einschließlich einer Führung durch das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt Dresden zum Ziel verheerender Bombenangriffe, die von den britischen und amerikanischen Streitkräften durchgeführt wurden. Über 25 000 Menschen kamen bei diesen Luftangriffen ums Leben.11 Aufgrund seiner großen Beliebtheit organisierte Dresden auf dem historischen Marktplatz eine 2-tägige Feier. Die damalige Bürgermeisterin, Helma Orosz, sprach von Obamas Besuch als „bedeutsames Ereignis“12, das in die Geschichtsbücher der Stadt eingehen würde.

      Während die Bürger Dresdens sich über die Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten freuten, löste seine Städtewahl – traditionell wäre ein offizieller Staatsbesuch in der Landeshauptstadt Berlin angebracht – eine Kontroverse auf beiden Seiten des Atlantiks aus: Kritiker in Deutschland interpretierten diese Entscheidung als Affront gegenüber Merkel, denn sie machten die Kanzlerin dafür verantwortlich, dass sich die Beziehung zu den USA seit Obamas Amtsantritt verschlechtert hätte.13 Auch in Washington gab es Schelte: Einer von Obamas schärfsten Kritikern, der konservative Blog Power Line, brachte die Schlagzeile: „Dresden: Die nächste Station bei Obamas Entschuldigungs-Reise“ und bemängelte, dass der Präsident mit seinem Aufenthalt in Dresden die unschönen Momente der amerikanischen Geschichte hervorhob.14

      Trotz der kritischen Worte an beiden Fronten, nutzten die beiden Staatsführer ihre gemeinsame Zeit. Neben Gesprächen standen auf ihrer Agenda der Besuch der Frauenkirche, eine Tour der Gedenkstätte Buchenwald sowie eine gemeinsame Pressekonferenz.

      Zunächst besuchten die beiden Staatsführer Dresdens berühmte Frauenkirche, die während der Bombenangriffe 1945 fast komplett ausbrannte und nach der Wende in den 1990er-Jahren wiederaufgebaut wurde. Diese Kirchentour bot Gelegenheit für die Politiker, die sich zu diesem Zeitpunkt noch fremd waren, einander in einem relativ informellen Rahmen zu begegnen – abseits der Herausforderungen, welche die Formalitäten eines traditionellen Staatsbesuchs sonst mit sich bringen.

      Dann gab es eine Besprechung der beiden Staatsführer, gefolgt von einer gemeinsamen Pressekonferenz. Diese hatte das übliche Format: Beide Politiker hielten eine kurze Ansprache und beantworteten anschließend Fragen aus dem Pressekorps. Scheinbar von den Spekulationen um Obamas Absage an Berlin unbeeindruckt, hieß die Kanzlerin den Präsidenten willkommen und dankte ihm für seinen Besuch: „Es ist sehr schön, dass der amerikanische Präsident Barack Obama zuerst nach Dresden kommt. Dresden ist eine Stadt von hoher Symbolkraft, zerstört während des Zweiten Weltkrieges, dann wiederaufgebaut. […] Die Menschen in den neuen Bundesländern freuen sich sehr, dass der Besuch hier stattfindet; denn das ist auch ein Stück Anerkennung für die Leistung, die in den 20 Jahren nach dem Mauerfall erbracht wurde.“15

      Sollte Merkel tatsächlich darüber