Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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immer umstritten, weil es um sehr viel mehr ging als nur darum, Gesichter zu erkennen. Die Fähigkeit, auf diese Weise nachzuahmen, erfordert nicht nur einen einfachen Schaltkreis für die Gesichtserkennung, sondern einen Gehirnbereich, der in der Lage ist, mehrere Gesichtsausdrücke oder Gesten zu identifizieren. Und all das müsste dann in den Genen verankert sein. Verschiedene Erklärungen in dieser Richtung wurden vorgetragen, zum Beispiel wurde auf »Spiegelneuronen« verwiesen oder auf ein spezielles Gehirnmodul für soziale Imitation.

      Einige Experimente schienen die Ergebnisse zu bestätigen, darunter eines mit neugeborenen Schimpansen. Andere konnten die Effekte nicht reproduzieren. Eine aktuelle Übersicht über alle veröffentlichten Studien zu dem Thema (Oostenbroek, Slaughter, Nielsen und Suddendorf 2013) kam zu dem Schluss, dass sich nur das Herausstrecken der Zunge konstant reproduzieren ließ. Das muss keine Nachahmung sein; möglicherweise strecken Babys ihre Zunge heraus, wenn sie aufgeregt sind, oder es ist einfach ein Reflex, der verschwindet, wenn sie älter werden. Die letzte Erklärung erscheint am ökonomischsten.

      Neugeborene haben eine Reihe von einfachen Reflexen. Wir haben bereits über den Suchreflex oder Breast-Crawl-Reflex gesprochen, durch den sie die Brustwarze für ihre erste Mahlzeit finden. Sie haben auch einen Schreitreflex. Wenn man ein Neugeborenes über eine ebene Unterlage hält, machen die Füßchen ein paar winzige Schritte, die an Gehen erinnern. Und sie haben einen Greifreflex. Sie packen zu und lassen nicht mehr los. Dass ein Neugeborenes in der Lage ist, sich an Mamas Fell festzuklammern, ist für Primaten lebenswichtig, damit sie nicht vom Baum fallen. Alle Affenarten können das, und bei Menschenbabys hat sich dieser Reflex erhalten. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, dass ich in Denis Mareschals Kurs im Grundstudium gelernt habe, man könne ein Neugeborenes an der Wäscheleine baumeln lassen, so fest sei sein Griff. Ich habe allerdings noch nie jemanden kennengelernt, der das ausprobiert hat, und ich empfehle es auch nicht. Wenn Babys das Gefühl haben zu fallen, breiten sie die Arme aus und ziehen sie dann wieder eng heran. Damit vermindern sie erst die Gefahr, zu stürzen, und dann sorgen sie dafür, dass sie besser zupacken können. Dieser sogenannte Moro-Reflex, der Menschenbabys nichts nützt, ist ein angeborenes Überbleibsel aus unserer Primatenvergangenheit.

      Im Anschluss an ihre kritische Übersicht beschlossen Oosten broek und Kollegen, eine endgültige Studie zu kindlicher Nachahmung durchzuführen, um zu überprüfen, ob es sich ebenfalls um einen Reflex handelte. Sie zeigten Neugeborenen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen einer und neun Wochen nach der Geburt elf verschiedene Gesten (Oostenbroek u. a. 2016). Dazu gehörten das Öffnen des Mundes, das Herausstrecken der Zunge, glückliche und traurige Gesichter, einige Fingerbewegungen und ein paar einfache Töne. Die Babys imitierten keine davon. Mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit zeigten sie die entsprechenden Gesten oder nicht. Die Forscher stellten fest, dass das Herausstrecken der Zunge, das Öffnen des Mundes, glückliche Gesichtsausdrücke (Lächeln) und »mmm«-Laute häufig vorkamen. Die Analyse zeigte, dass die Muster früherer Experimente reproduziert werden konnten, wenn nicht alle mög lichen Alternativen eingeschlossen wurden. Aber das ist kein Hinweis auf Nachahmung. Zum Beispiel konnte man die Babys am besten zum Lächeln bringen, indem man »mmm«-Laute vormachte, und nicht, indem man sie anlächelte.

      Das Hauptargument, warum eine so frühe Fähigkeit zur Nachahmung vielleicht doch nicht existierte, war wohl, dass ein starker Effekt beim Lächeln ausblieb. Wenn Sie Mutter Natur wären und entscheiden müssten, welche gewinnenden Nachahmungseffekte ein neugeborenes Baby zeigen sollte, worauf würde Ihre Wahl wohl fallen? Mit einem Lächeln würden Babys vom ersten Tag an Freunde finden und Menschen für sich einnehmen. Aber die Studien förderten das nicht zutage. Sehr bald nach der Geburt lächelten die Babys und streckten ihre Zungen heraus, jedoch nicht als Reaktion darauf, dass jemand anderer das auch tat.

      Ich finde das sehr interessant, weil es dafür spricht, dass das erste Lächeln kein Zeichen von Höflichkeit ist, sondern ein Zeichen von Freude. Babys können schon früh lächeln, aber nur, wenn sie es wollen. Im Übrigen ist das echte Lächeln eines Babys als solches erkennbar. In der Erwachsenenforschung unterscheidet man zwischen Lächeln aus Freude und sozialem Lächeln. In der Psychologie wird das echte Lächeln aus Freude als Duchenne-Lächeln bezeichnet nach dem französischen Wissenschaftler Guillaume-Benjamin Duchenne, der es zuerst beschrieben hat. Beim sozialen Lächeln lächelt der Mund, aber die Augen lächeln nicht mit. Beim Duchenne-Lächeln leuchtet hingegen das ganze Gesicht. Nicht nur der Mund zeigt ein breites Grinsen, sondern ein Muskel rund um die Augenhöhle, der sogenannte Augenringmuskel, sorgt für Fältchen seitlich an den Augen. Das lässt sich schon in den pausbäckigen, verblüfften Gesichtern neugeborener Babys erkennen und auf den Ultraschallbildern von Nadja Reissland.

      Wenn man im Internet den Suchbegriff »lächelnde Neugeborene« eingibt, findet man viele hinreißende Beispiele. Ein berühmtes Bild zeigt eine lächelnde Mutter mit ihrem lächelnden Neugeborenen im Arm. Laut Bildunterschrift ist das Baby gerade sieben Sekunden auf der Welt. Ich verwende dieses Bild oft bei meinen Vorträgen. Die Originalquelle habe ich nie gefunden, aber das Lächeln ist unmissverständlich. Und ich habe mich gefreut, von meiner Forscherkollegin Francesca Cornwall zu erfahren, wie kindliches Lachen in der Ausbildung von Betreuungskräften für kleine Kinder helfen könnte. Sie kennt den Unterschied zwischen echtem und sozialem Lächeln. Natürlich hat sie genau hingeschaut, als ihr Sohn mit drei Wochen zum ersten Mal lächelte. Es war ein breites Grinsen mit voller Aktivierung des Augenringmuskels. Als gewissenhafte Wissenschaftlerin machte sie ein Foto.

      Obwohl bei einem echten Lächeln zwölf Muskeln beteiligt sind und bei einem sozialen Lächeln nur zehn, ist das echte Lächeln leichter und kommt früher. Ein echtes Lächeln ist spontan und unwillkürlich, es signalisiert echte Freude oder Zufriedenheit. Das soziale Lächeln ist schwieriger, weil es eine absichtliche Handlung darstellt, etwas, zu dem wir uns entschließen müssen. Und die Misserfolge der Untersuchungen zur Nachahmung sprechen dafür, dass neugeborene Babys das noch nicht können.

      Das unterstreicht, wie wichtig Lächeln und Lachen sind. Es sind keine sozialen Nettigkeiten. Babys sind von Anfang an sozial, aber der Anfang ist langsam und beginnt mit Authentizität. Das Lächeln, das man auf Bildern aus dem Mutterleib sieht, ist echt. Das erste Lächeln, das Eltern sehen, ist ein echtes Lächeln, es zeigt, dass das Baby glücklich ist. Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?

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      Kapitel drei

      Die kleinen Vergnügungen

       Ich bin völlig vernarrt in ein Wesen, das nur aus Gefühl und Gedärm besteht.

      Anne Enright, Ein Geschenk des Himmels, 2005

       Betrunken von Milch

      Wenn Sie einmal pure Seligkeit sehen wollen, dann schauen Sie sich ein Baby an, das ganz betrunken von der Milch in den Armen seiner Mutter liegt. Wenn Sie wissen wollen, wo Sie solche Bilder finden, dann gehen sie auf Instagram und scrollen durch den Hashtag #MilkDrunk. Laut dem Blog Milk Drunk Diaries gibt es fast 100.000 solche Bilder, jedes zeigt den unmissverständlichen Zustand schläfriger, glückseliger Zufriedenheit, in den kleine Babys geraten, wenn sie es warm haben und bis zum Platzen voll frischer Milch sind.

      Die Begründerin des Blogs, Sophia Walker, hatte maßgeblichen Anteil an der Verbreitung des Hashtags. Aber seinen großen Erfolg verdankt er der Tatsache, dass alle jungen Eltern die Situation erkennen – zumindest wenn sie wissen, was sie bedeutet. Bei Sophia Walker funktionierte das nicht auf Anhieb. Wie sie in einer ihrer Kolumnen schreibt, war die erste Woche zu Hause mit dem Baby ziemlich nervenaufreibend. Sie und ihr Mann googelten jedes Zucken, jedes Schlucken und jeden Laut ihres neugeborenen Sohns, um zu überprüfen, ob alles so war, wie es sein sollte. Und dann passierte es: »Eines Abends, mitten beim Stillen, sackte mein Baby weg und wurde ganz schlaff in meinen Armen. Mein Mann war so alarmiert, dass er den ärztlichen Notdienst rufen wollte, aber Dr. Google kam genau rechtzeitig zu Hilfe und klärte mich auf, was mit meinem Baby los war: Es war betrunken von der Milch!«

      Das