Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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Woche keinen Schmerz empfinden kann (RCOB 2010).

      Damit jemand Schmerz fühlen kann, müssen Nervensignale des unangenehmen Reizes zu einem Kortex gelangen, der sie verarbeiten kann. Wenn das Signal irgendwo aus dem Körper das Gehirn nicht erreicht, spüren wir nur eine dumpfe Empfindung. So funktioniert eine Lokalanästhesie: Sie blockiert die Nervensignale an der Quelle. Wenn die Signale den Hirnstamm und das Zwischenhirn erreichen, aber nicht an den Kortex weitergeleitet werden, spüren wir nichts. So wirkt eine Vollnarkose: Alle Signale vom Hirnstamm an den Kortex werden blockiert.

      Vor der 24. Woche kann ein Fötus Schmerz nicht empfinden, weil noch nicht alle Verbindungen im Gehirn ausgebildet sind. Vor allem der Thalamus, eine Art Verbindungsstück zwischen Gehirn und Körper, ist noch nicht richtig mit dem Kortex (dem Teil mit den Falten und Rillen, der denkt) verschaltet. Das ist nicht allzu überraschend, wenn man bedenkt, wie kompliziert das Gehirn ist und wie aufwendig die Verschaltung. Jeder Teil muss mit jedem anderen Teil kommunizieren, und die Verbindungen sind lange, schlauchförmige Fortsätze von Gehirnzellen, die sogenannten Axone. Um eine Stelle mit einer anderen zu verbinden, müssen die Zellen in einem Bereich entstehen und zu dem anderen migrieren, dabei ziehen sie den Fortsatz hinter sich her.

      Wie man sich vorstellen kann, ist das kompliziert, und die Verschaltung kann erst stattfinden, wenn es etwas gibt, mit dem sich die Nervenzellen verbinden können. Der Thalamus und der Kortex, ursprünglich die kortikale Platte oder Rindenplatte, wachsen unabhängig voneinander. Eine weitere Gruppe von Zellen entwickelt sich in der sogenannten Subplate unterhalb des Kortex. Von der 12. bis zur 18. Woche gelangen Verbindungen vom Zwischenhirn in die Sub plate und warten dort ab, während die kortikale Platte reift. Um die 24. Schwangerschaftswoche beginnen sie ihre Wanderung, um sich mit allen Bereichen des Kortex zu verbinden, ein Prozess, der bis zur 32. Schwangerschaftswoche weitergeht. Ebenfalls um die 24. Woche migrieren die Nervenzellen der Subplate-Zone selbst in verschiedene Bereiche des Kortex und verbinden diese miteinander. Beide Prozesse sind wichtig für das Schmerzempfinden. Ein 18 Wochen alter Fötus zuckt vor einem Nadelstich zurück und setzt sogar Stresshormone frei, aber er spürt den Schmerz nicht. Die Signale erreichen das Zwischenhirn und möglicherweise die Subplate-Zone, aber weiter kommen sie nicht. Das reflexhafte Zurückzucken und die Hormonfreisetzung gehen vom Hirnstamm aus.

      Ab der 24. Woche gelangen Nervensignale allmählich bis zum Kortex. Die Aufzeichnung von Gehirnströmen bei sehr unreifen Frühgeborenen zeigt ab diesem Zeitpunkt koordinierte neuronale Aktivität als Reaktion auf einen Pieks in die Ferse. Das ist die vom RCGO formulierte Untergrenze für das Schmerzempfinden. Aber wie die Ärzte in ihrem Bericht schreiben, ist das zwar das theoretische Mindestalter, in dem Schmerz empfunden werden kann, aber das Bewusstsein dafür kommt womöglich erst später. Die Aktivität im Elektroenzephalogramm (EEG) ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht kontinuierlich wie bei einem Erwachsenen oder einem Neugeborenen. Es ist nicht klar, wann Schmerz wahrgenommen wird und ob die Erfahrung ein Bewusstsein braucht, das erst noch kommen muss.

      Ab der 24. Woche beginnt sich das Gehirn ernsthaft zu vernetzen. Der sensorische Input durch Hören, Sehen und Berührung dringt zu den entsprechenden Bereichen des Kortex durch. Wechselseitige Verknüpfungen von Kortex und Hirnstamm entstehen ab der 26. Woche. Feedbackschleifen bilden sich, und die Föten können beginnen, willentliche Kontrolle über ihre kleine Welt im Mutterleib auszuüben. Sie hören, fühlen und sehen sogar Dinge, und sie fangen an zu lernen.

      Es ist unwahrscheinlich, dass ein Fötus vor diesem Zeitpunkt etwas wahrnimmt. Aber im dritten Trimester nimmt er erstaunlich viel auf. In Untersuchungen zu Veränderungen der fötalen Herzfrequenz hat man festgestellt, dass ein Fötus ab der 26. Woche auf wiederkehrende Vibrationen reagiert und lernen kann, sie zu ignorieren. Er re agiert auch auf Veränderungen der Beleuchtung außerhalb des Mutterleibs, hört die Stimme der Mutter und spürt ihre Berührung durch die Bauchwand (Marx und Nagy 2015).

      Meine liebste Untersuchung dazu ist die von Peter Hepper von der Queen’s University in Belfast (Hepper 1991). Er testete Neugeborene im Alter von zwei bis vier Tagen, um zu sehen, wie sie auf Musik reagierten, die sie im Mutterleib gehört hatten. Dabei machte er sich die Tatsache zunutze, dass viele Mütter Seifenopern anschauten. Die Hälfte seiner Stichprobe waren Fans der Serie Neighbours, die andere Hälfte nicht. Das bedeutete, dass die Hälfte der Babys im Mutterleib viele Male die eingängige Titelmelodie gehört hatte. Als er sie den beiden Gruppen auf der Säuglingsstation vorspielte, nahmen die Bewegungen und der Herzschlag bei den Babys, deren Mütter Neighbours gesehen hatte, im Vergleich zur Kontrollgruppe ab, sie schienen aufmerksam zu lauschen. Um auszuschließen, dass sie nicht einfach auf beliebige Musik reagierten, spielte er ihnen die Titelmelodie von Coronation Street vor, und es gab keine Reaktion. Ein zweites Experiment erbrachte ähnliche Ergebnisse, aber diesmal bekamen die Babys die Melodien noch im Mutterleib zu hören, über Kopfhörer auf dem Bauch der Mütter. Hepper schreibt, den Babys sei nicht nur die Musik vertraut geworden, sondern sie hätten sie auch mit dem ruhigen, entspannten Zustand in Verbindung gebracht, in den die Mutter beim Anschauen der Serie geraten sei.

      Eine verblüffende Erkenntnis aus all diesen Studien ist, dass es anscheinend keine Rolle spielt, ob der Fötus aktiv ist oder »schläft«. Wie gesagt, ein Fötus ist nur 10 Prozent der Zeit aktiv, und die Phasen der Aktivität sind ein traumähnlicher Zustand, der kaum mit dem wachen Interesse eines neugeborenen Babys vergleichbar ist. Einige Forscher gehen sogar so weit zu sagen, der Fötus verbringe die gesamte Schwangerschaft in einem tiefen Schlaf. Der Bewusstseinsexperte Christof Koch schrieb in Scientific American:

      Ich wette, dass der Fötus in utero nichts wahrnimmt; dass es sich für ihn so anfühlt wie für uns ein tiefer, traumloser Schlaf. Durch die dramatischen Ereignisse bei einer natürlichen (vaginalen) Geburt wacht das Gehirn jedoch abrupt auf. Der Fötus muss seine paradiesische Existenz in der geschützten, wassergefüllten und warmen Umgebung des Mutterleibs verlassen und gelangt in eine feindliche, luftgefüllte und kalte Welt, die seine Sinne mit absolut fremden Tönen, Gerüchen und Anblicken attackiert – ein höchst stressreicher Vorgang (Koch 2009).

      Das ist ein sehr lebendiges Bild, aber ich bin nicht der Meinung, dass das Leben im Mutterleib in einem so sedierten Zustand stattfindet. Die Veränderungen der kindlichen Herzfrequenz in unterschied lichen Studien sprechen dafür, dass sie auf Ereignisse um sie herum reagieren, und ich denke, manche Eindrücke können dem Fötus sogar Vergnügen bereiten. Anekdotische Berichte von Babys, die auf Ultraschallbildern lächelten, gibt es seit 2000, seit die Auflösung der Bilder so gut ist, dass man Gesichtsausdrücke erkennen kann. Die Psychologin Nadja Reissland und ihre Kollegen von der University of Durham haben solche Bilder systematisch untersucht und dabei sieben fötale Gesichtsausdrücke unterschieden. Sie bestätigen, dass sowohl Weinen wie Lachen im Mutterleib »geübt« werden (Reissland, Francis, Mason und Lincoln 2011).

      Reisslands Team nutzte moderne »4D«-Ultraschallaufnahmen mit hoher räumlicher und Tiefenauflösung in Echtzeit und untersuchte zwei Föten mehrfach zwischen der 24. und der 35. Woche. Jedes Mal zeichneten sie zehn Minuten lang den Gesichtsausdruck auf, und was sie sahen, klassifizierten sie mit einem Standardcodierungssystem, um objektive Aussagen zu erhalten. Gesichtsausdrücke können in ihre Mikro-Bestandteile zerlegt werden (gekräuselte Lippen oder angehobene Backen). Das Codierungsschema für sehr kleine Babys wurde angepasst, sodass man Ausdrücke definieren konnte, die ein »weinendes Gesicht« oder ein »lachendes Gesicht« ergaben. Manche wie eine gekrauste Nase gehörten zu beiden Gesichtern. Andere definierten nur Lachen (herausgestreckte Zunge und zurückgezogene Lippen) oder Weinen (heruntergezogene Oberlippe und gerunzelte Augenbrauen). Bei der Kombination der Daten von beiden Föten (zwei Mädchen) stellten die Wissenschaftler fest, dass der weinende Gesichtsausdruck in der Zeit zwischen der 24. und der 35. Schwangerschaftswoche von 0 Prozent auf 42 Prozent zunahm und der lachende von 0 Prozent auf 35 Prozent. Ein fröhlicher Gesichtsausdruck war genauso häufig wie ein kummervoller, und beide tauchen nach und nach auf, wenn der Fötus immer mehr Bewusstsein erlangt. Aus der Sicht des Babys gibt es keine Zeit vor dem Lächeln.

      Deshalb sage ich auf entsprechende Fragen, dass Grimassen und Lächeln von Kindern in utero ab der 25. Woche etwas bedeuten. Ich glaube, da beginnt das fötale Bewusstsein für Freude und Schmerz. Das unterscheidet sich kaum von der Grenze von 24 Wochen im Bericht der britischen Geburtshelfer. Aber ich