Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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und abrupt gegen die Welt draußen eintauschen. Der 24-Stunden-Zimmerservice, der so luxuriös ist, dass sogar das Atmen für das Baby erledigt wird, muss einmal enden.

      Die neunmonatige Schwangerschaft bei Menschen ist ein Kompromiss. Ein Baby würde im Mutterleib bleiben, wenn es könnte, aber es muss fliehen, solange es noch geht: das sogenannte Geburtsdilemma. Der Preis dafür ist, dass die ersten drei Monate draußen sich nicht sehr vom Leben drinnen unterscheiden. Das Baby setzt seine intrauterine Routine aus Schlafen, Essen und Wachsen fort.

      Ein Grund, warum Babys so früh zur Welt kommen, ist eine Unzulänglichkeit der Natur. Der amerikanische Comedian Penn Jillette drückt es drastischer aus: »Niemand, der gesehen hat, wie ein Baby geboren wird, glaubt noch eine Sekunde an Gott … Die Natur will uns umbringen.« Die Evolution muss mit dem arbeiten, was da ist, und auf dem aufbauen, was früher war, und das führt zu allerhand Improvisation und Kompromissen. Kein intelligenter Designer würde die Geburt so gefährlich machen und versuchen, Babys mit großen Köpfen durch das starre Korsett des Beckens zu pressen. Die Evolution hat das vor vielen Millionen Jahren so entschieden, und wir müssen damit leben. Bei Vierbeinern mit kleinen Köpfen hat es funktioniert. Sogar unsere engsten Verwandten, die Schimpansen, kommen ziemlich gut damit zurecht.

      Die Energie, die eine Mutter für die Schwangerschaft aufbringen muss, ist eine weitere Beschränkung. Immer größer zu werden und ein großes Gehirn zu versorgen sind Vorgänge, die viel Energie verbrauchen. In jüngster Zeit wurde die Theorie aufgestellt, wenn Föten noch größer würden und die Schwangerschaft noch länger dauerte, könnte die Mutter nicht genug Energie für sich selbst und ihr Baby zur Verfügung stellen (Dunsworth, Warrener, Deacon, Ellison und Pontzer 2012). Über das Stillen kann Energie viel effizienter zugeführt werden als über die Plazenta, weil die Kalorien direkt in das Kind gelangen. Es ist sinnvoll, die Kinder zu dem Zeitpunkt zur Welt zu bringen, an dem wir es tun.

       Soziale Wesen von Anfang an?

      Hilflos und zu früh geboren sind Menschenbabys wie keine andere Spezies von ihren Eltern abhängig. Aber sie haben ein paar Tricks in ihren winzig kleinen Ärmeln, damit es mit der Bindung klappt. In den ersten Stunden nach der Geburt sind Babys wach und können kommunizieren. Sie mögen es, wenn man sie hält und leise mit ihnen spricht. Es scheint sogar, als würden sie das Gesicht ihrer Mutter anschauen, die sie hält. Aus zwei Gründen ist das bemerkenswert. Erstens sehen sie nach der Geburt so unscharf, dass ein Gesicht für sie nicht viel mehr ist als ein Dreieck mit drei schwarzen Flecken für Augen und Nase. Zweitens haben sie nie zuvor ein Gesicht gesehen, trotzdem fasziniert es sie mehr als jeder andere Reiz.

      Wissenschaftlich wurde das erstmals in den 1970er-Jahren nachgewiesen (Goren, Sarty und Wu 1975), aber bis 1991 blieb die Erkenntnis unbeachtet. Dann wiederholten zwei britische Forscher das Experiment. Mark Johnson und sein Mitarbeiter John Morton bestätigten das ursprüngliche Ergebnis und lieferten eine Erklärung für das, was da wohl passierte (Johnson, Dziurawiec, Ellis und Morton 1991; Johnson und Morton 1991). Sie glauben, dass es um die Interaktion von zwei Gehirnsystemen geht, einem für Erkennen und einem für Lernen.

      Sie hatten die Studie in Angriff genommen, weil Mark Johnson wissen wollte, ob Menschenbabys sich von frisch geschlüpften Küken unterscheiden. Zu Beginn seiner Karriere als Biologe arbeitete Johnson bei Professor Gabriel Horn an der Cambridge University. Gemeinsam untersuchten sie die Gehirnmechanismen, die der Prägung zugrunde liegen, dem Prozess, bei dem kleine Vögel lernen, eine Bindung an ihre Mütter herzustellen. Küken folgen ihrer Mutter oder allem, was entfernt wie ihre Mutter aussieht. Das weiß jeder, der schon mal eine Schar Entenküken beobachtet hat, die der Entenmutter hinterhermarschieren. Erstmals untersucht hat die Prägung Konrad Lorenz in den 1930er-Jahren. Er brachte Gänseküken dazu, ihm hinterherzulaufen, wenn er mit seinen Gummistiefeln vorausging. Dafür bekam er den Nobelpreis. Ich glaube, die nobelpreisgekrönten Gummistiefel sind in dem Museum zu besichtigen, das in seinem ehemaligen Wohnhaus im österreichischen Altenberg eingerichtet wurde. Wie bei Iwan Pawlow und seinem Nobelpreis für das Füttern von Hunden steckte auch hinter Lorenz’ Forschungen mehr, als der erste Blick vermuten lässt.

      Lorenz teilte sich 1973 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin mit Niko Tinbergen und Karl von Frisch. Mit dem Preis wurde ihre Rolle als Begründer der Ethologie, der Verhaltensforschung bei Tieren, gewürdigt. Karl von Frisch ist bekannt durch seine Entdeckung des Schwänzeltanzes der Bienen. Niko Tinbergen untersuchte wie Lorenz instinktive Verhaltensweisen und kritische Phasen in der Entwicklung von Tieren. Die Küken, die ihrer Mutter folgten, zeigten, dass bestimmte Verhaltensweisen von Natur aus angelegt sind, aber dass sie auch einem Paar Gummistiefel nachliefen, beweist, dass der Mechanismus flexibel ist. Der entscheidende Punkt bei diesen Forschungen war, dass sie evolutionäre Erklärungen für tierisches Verhalten lieferten, die auf dessen Bedeutung für das Überleben basierten.

      Immer wieder werden die Leser in diesem Buch auf die »Nature-Nurture-Debatte« stoßen, auf den Gedanken, dass manche Fähigkeiten angeboren (nature) und andere erlernt sind (nurture). Jeder, der sich mit Entwicklungspsychologie beschäftigt, erkennt an, dass beides eine Rolle spielt, aber dennoch gibt es eine Kluft zwischen denen, die meinen, die Gene seien für das meiste verantwortlich, und den anderen, die den größten Anteil beim Lernen sehen. Die Arbeit von Johnson und Morton war wichtig als Beleg dafür, dass wir immer von »Natur plus Lernen« sprechen sollten.

      Was die Fähigkeit von Neugeborenen angeht, Gesichtern zu folgen, hat die Natur zwei Gehirnsysteme ausgewählt: einen Kreislauf tief im Innern des Gehirns, der sich rasch auf Muster ausrichtet, die Gesichtern ähneln, und den allgemeineren, höherrangigen Kortex, der aus allem lernt, was er zu sehen bekommt. Dieses Lernen ist nurture. Weil Babys viele Gesichter sehen, werden sie Experten für Gesichter. Sie lernen, Personen zu unterscheiden und männliche Gesichter von weiblichen. Weil sie ihre Eltern häufiger sehen als alle anderen, erkennen sie sie am schnellsten. Dabei spielen Gene, Umwelt und Verhalten zusammen. Johnson und Morton legten mit ihrer Theorie eine mechanistische Darstellung dieses Zusammenspiels vor. Johnson nennt den Prozess »interaktive Spezialisierung« und entwickelte die Theorie zusammen mit Kollegen in einem sehr einflussreichen Buch mit dem Titel Rethinking Innateness weiter (Elman u. a. 1996).

      Dieses Experiment war auch direkt dafür verantwortlich, dass ich mich der Babywissenschaft verschrieb. Aufgrund dieser Forschungen stellte die Birkbeck University in London Mark Johnson 1998 als Professor an und schlug ihm vor, das Centre for Brain and Cognitive Development zu gründen, auch bekannt als Birkbeck Babylab. Als einen der ersten Mitarbeiter rekrutierte er meinen Doktorvater Denis Mareschal, dessen Anfängervorlesungen über die kindliche Entwicklung mich auf das Forschungsgebiet gelockt hatten. Auf Mareschals Empfehlung hin las ich Rethinking Innateness, und von da an wollte ich auch Babyforscher werden.

       Ein Witz auf Kosten der Wissenschaftler

      In meiner liebsten Studie aus der Zeit, als ich mit meiner Doktorarbeit beschäftigt war, wurde eine ähnliche frühe Fähigkeit von Neugeborenen untersucht. 1977 veröffentlichten Andrew Meltzoff und Keith Moore (Meltzoff und Moore 1977) einen bemerkenswerten kurzen Artikel, in dem es darum ging, dass Neugeborene kleine Witzbolde sind. Ihr Artikel enthielt eine wunderbare Bilderserie, die den Kern des Experiments zum Ausdruck brachte. Die erste Reihe zeigte drei Bilder von Meltzoff, wie er die Zunge herausstreckte, den Mund weit öffnete und die Lippen zurückzog. In der Reihe darunter waren drei Bilder von drei sehr kleinen Kindern zu sehen, die ihn nachahmten. Die Kinder waren zwischen 14 und 17 Tage alt, und alle schienen ein Blitzen in den Augen zu haben. Ich hatte das Bild lange als Hintergrundbild auf meinem Computer. Ein Blick darauf hob unweigerlich meine Laune. Leider hat die Studie den Test der Zeit nicht gut bestanden.

      Es schien, als wären Meltzoff und Moore über Johnson und Morton hinausgegangen und hätten gezeigt, dass Babys noch viel erstaunlichere Dinge tun, als ihre Köpfe einem Gesicht zuzuwenden. Die Babys von Meltzoff und Moore ahmten einen Erwachsenen nach. Sie konnten Gesichtsausdrücke imitieren, ohne jemals ihr eigenes Gesicht gesehen zu haben und lange bevor sie aus positivem Feedback etwas gelernt haben konnten. Die ursprüngliche Studie setzte auch ungewöhnliche Gesten mit der Hand ein. Die Babys schienen die