Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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töricht, sabbernd, besinnungslos betrunken, wabbelig oder auch ärgerlich betrunken. Wie Sophia der Presse sagte, als dieses jüngste Babyphänomen über sie hinwegschwappte: »Es gibt nichts Herrlicheres als ein zufriedenes, benommenes Baby mit vollem Bauch und einem Milchbart! Das Bild schlägt so ein, weil alle Eltern das kennen und lieben. Es ist fast so, als gehörte man zu einem besonderen Klub!«

      Sophias Geschichte erzählt viel über das Auf und Ab in den ersten Wochen nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus. Für die Eltern wird das Leben nie mehr so sein wie zuvor. Selbst wenn jemand sämtliche Elternratgeber gelesen hat, ist er oder sie auf die Elternrolle nicht vorbereitet. Wie beim Schwimmenlernen bereitet einen die Lektüre eines Buchs nicht auf die praktischen Vorgänge oder den Schock des ersten Mals vor, wenn der Kopf unter Wasser taucht. Und für Eltern geht es die nächsten 18 Jahre so weiter.

      Für die Babys sind die ersten Monate außerhalb des Mutterleibs nicht viel anders als das Leben drinnen. Um ein Baby in diesem Stadium zu beruhigen, wickeln wir es ein und wiegen es sanft und versuchen so, die vertraute Umgebung des Mutterleibs wiederherzustellen. Das ist das »vierte Trimester«. Die meiste Zeit geht es um Schlafen, Essen und Wachsen. Aber es geht auch um sogenannte »Rohgefühle« und darum, Nähe zu den Betreuungspersonen aufzubauen. Die Nabelschnur wurde durchtrennt, und an ihre Stelle sind eine neue Abhängigkeit und ein neues Gefühl der Handlungsfähigkeit getreten. Diese beiden Dinge hängen zusammen und sind wichtig, um die ersten Monate zu verstehen. Jetzt, wo das Baby nicht mehr in einem stetigen Strom mit Nahrung versorgt wird, ist die Spannbreite des Erlebens viel größer. Es hat Hunger. Es hat Durst. Es ist ärgerlich. Es erschrickt. Und es lernt, dass es etwas dagegen tun kann. Mit Unterstützung der Betreuungspersonen ist das der Beginn des emotionalen Lebens und des Selbstgefühls und der Beginn des Glücks.

      Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, innerhalb einer Stunde nach der Geburt mit dem Stillen zu beginnen und es so lange wie möglich fortzuführen. Eine große Überblicksstudie mit dem Titel »Stillen im 21. Jahrhundert«, die 2016 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erschien, kam zu dem Ergebnis, dass Stillen für Mutter und Baby das Beste ist. Es schützt die Kinder vor Infektionen, Diabetes und Übergewicht. Die Mütter schützt es vor Brustkrebs, und es kann das Risiko für Diabetes und Eierstockkrebs verringern. Auch das Risiko eines plötzlichen Kindstods wird durch Stillen reduziert, hingegen scheint es keine positive Wirkung hinsichtlich Allergien oder Asthma zu haben (Victora u. a. 2016).

      In Ländern mit geringen Einkommen sind die Vorzüge des Stillens seit Langem bekannt. Von 1982 an verfolgten Cesar Victora und Fernando Barros, wie es mehr als 4500 Babys erging, die in ihrer Heimatstadt Pelotas im Süden Brasiliens zur Welt gekommen waren. Sie fanden noch nach 30 Jahren Unterschiede zwischen Babys, die gestillt worden waren, und solchen, die Fertigmilch erhalten hatten; unter anderem hatten die gestillten Babys höhere IQs und höhere Einkommen (Victora u. a. 2015). Ihre Untersuchung belegte zahlreiche Vorzüge des Stillens und trug dazu bei, die Einstellung zum Stillen in Brasilien und in anderen Ländern zu verändern. In den reichen Ländern sind die Vorzüge jedoch womöglich nur gering. Meine Kollegin Sophie von Stumm hat das in Großbritannien in einer großen Studie mit vielen Teilnehmern untersucht und kam zu dem Schluss, »Stillen hat wenig Vorteile für die Intelligenz in den frühen Jahren und das kognitive Wachstum vom Kleinkindalter bis zur Adoleszenz« (Stumm und Plomin 2015).

      Die in The Lancet veröffentlichte Untersuchung, eine Zusammenfassung von 28 Überblicksartikeln, plädiert nachdrücklich für das Stillen: Es habe in reichen und armen Ländern gleichermaßen Vorteile. Der Co-Autor Simon Murch, ein britischer Kinderarzt, wird mit der Aussage zitiert: »Muttermilch ist die ultimative personalisierte Medizin für kleine Kinder.«

       Saugen = Essen = Wohlbefinden

      Das Wichtigste beim Stillen ist jedoch die Zeit und nicht die Nahrung. Stillen bedeutet Wohlbefinden und Sicherheit. Für ein Baby liegt das Glück im Land von Milch und Mami.

      Vor allem ganz am Anfang. In ihren ersten Lebenswochen müssen Babys lernen, »Saugen ist Essen, und wenn ich esse, geht’s mir gut«. Dieses Mantra formuliert Penelope Leach in ihrem Buch Die ersten Jahre deines Kindes, einem modernen Klassiker unter den Elternratgebern, von dem über drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Wenn Sie einen praktischen Ratgeber von einer Frau lesen wollen, die sich auch in der Wissenschaft auskennt, ist das meine erste Empfehlung. Das Buch erschien ursprünglich 1977 und wurde viele Male überarbeitet und neu aufgelegt, es ist ein würdiger Nachfolger von Dr. Benjamin Spocks Säuglings- und Kinderpflege aus dem Jahr 1946. Penelope Leach trägt Spocks Gedanken weiter, dass entspannte, souveräne Eltern es leichter haben und glückliche Babys aufziehen. Ihre Ratschläge orientieren sich immer am emotionalen Erleben des Kindes.

      Ein Grund, warum Mütter das Stillen aufgeben, ist, dass das Baby Zeit braucht, um die Situation zu verstehen. Ein hungriges Baby weiß nicht, dass es Hunger hat oder dehydriert ist. Es kann quengelig oder apathisch sein oder wütend und unkooperativ. Das ist verständlich – auch wir Erwachsene werden manchmal unleidlich, wenn wir eigentlich nur eine Tasse Tee und einen Keks bräuchten. Für ein Baby erfüllt die Muttermilch den gleichen Zweck. Die Vormilch, die beim Stillen zuerst kommt, ist relativ wässrig. Sie löscht rasch den Durst. Die Nachmilch, die danach kommt, ist fettreicher. Sie bewirkt, dass das Baby sich am Ende satt und zufrieden fühlt, auch wenn das Ziel nicht immer einfach zu erreichen ist. Ein sehr aufgeregtes Baby kann nicht saugen. Das regt wiederum die Mutter auf, und die Stresshormone können die Milchproduktion hemmen. Beide müssen ruhig und miteinander verbunden sein, damit es mit dem Stillen klappt. Deshalb schärft Dr. Leach ihren Leserinnen und Lesern eines ein: dass Essen für Babys Gefühl bedeutet. Die kindlichen Gefühle sind so komplex, dass die Mahlzeiten kompliziert werden können.

      Mit dem Stillen beginnt die Bindung. Bindung ist mehr als die wachsende Liebe der Eltern zu dem Baby, Bindung geht in beide Richtungen. Professor Ruth Feldman von der israelischen Bar-Ilan-Universität erforscht die Eltern-Kind-Beziehung seit den frühen 1990er-Jahren. Sie sagt, das Herz der Beziehung in den ersten Monaten sei, wie die reifen physiologischen Systeme der Eltern die unreifen Systeme des Kindes bei der Regulierung unterstützen. Und nach Professor Feldmans Ansicht hängt alles am Oxytocin.

      Oxytocin ist alt. Es kommt bei vielen Spezies vor, deren letzter gemeinsamer Vorfahr vor 600 Millionen Jahren lebte. Seit damals gibt es Oxytocin, und es hat sich nicht verändert. Daraus können wir folgern, dass es sehr wichtig ist. Bei Menschen hilft es, die frühe Ausbildung der Verbindungen im Gehirn zu koordinieren, es ist zugleich ein Hormon und ein Neurotransmitter. Als Hormon gehört es zum endokrinen System und hat eine allgemeine Wirkung auf viele Organe und Bereiche des Gehirns. Als Neurotransmitter interagiert es mit Dopamin in unserem Belohnungszentrum und spielt eine zentrale Rolle in der Amygdala, dem emotionalen »Herz in unserem Kopf«.

      Bei der Mutter sendet Oxytocin nicht nur Signale an die Brust, Milch fließen zu lassen (der sogenannte Let-Down-Reflex), es verändert auch das Gehirn. Direkt nach der Geburt eines Babys ist das Gehirn der Mutter so plastisch und anpassungsfähig wie nie mehr in ihrem Erwachsenenleben. Ein »Babygehirn« existiert tatsächlich und ist nützlich. Eine junge Mutter fühlt sich vielleicht vergesslich und unkonzentriert, aber sie wird empathischer, ist besser in der Lage, Gefühle zu spiegeln und zu regulieren. Oxytocin wirkt auch bei Vätern. Je mehr sie sich an der Betreuung des Kindes beteiligen, desto mehr verändert sich ihr Verhalten (R. Feldman 2012). Der Anstieg des elterlichen Oxytocinspiegels führt dazu, dass auch beim Kind der Spiegel ansteigt; allerdings ist die Wirkung bei Babys schwieriger zu messen, weil es keinen nicht-invasiven Test für Oxytocin gibt. Aber wir wissen, dass eine vorzeitige Geburt und Umgebungsstress den Oxytocinspiegel senken und einfühlsame Pflege ihn steigen lässt. Synchronie spielt bei der Einfühlung eine zentrale Rolle. Professor Feldman hat untersucht, wie Eltern und Babys durch Berührung, Augenkontakt, geteilte Gefühle und die Töne, die jeder macht, aufeinander reagieren. Diese Verbindungen sind am stärksten, wenn ein Baby trinkt. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es an der Brust trinkt oder die Flasche bekommt.

      Wenn ein Neugeborenes trinkt, wird es eng am Körper gehalten, genau im richtigen Abstand, dass es den Herzschlag der Pflegeperson hört und ihr Gesicht sieht. Die Synchronie zwischen Elternteil und Baby ist eine Feedback-Schleife.