Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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wie die Menschheit. Denn zumindest seit wir aufrecht gehen, brauchen wir Hebammen. Durch den Übergang von vier Beinen auf zwei Beine hat sich unser Becken verändert, der Geburtskanal ist enger geworden. Außerdem wurde das Gehirn immer größer, und so benötigen unsere Babys mit den großen Köpfen Hilfe, wenn sie auf die Welt kommen. Zum Glück war der Grund, warum unsere Gehirne so groß wurden, dass wir eine soziale Spezies sind. So war auch Hilfe für Mütter in den Wehen zur Stelle.

      Wenn ich Corinne und Natalie frage, was die wichtigste Aufgabe einer Hebamme ist, fallen ihre Antworten ziemlich ähnlich aus: Hebammen unterstützen die Mütter, damit sie das Geburtserlebnis bekommen, das sie haben wollen. Die moderne Geburtshilfe durch Hebammen ruht auf drei Schlüsselprinzipien: informierte Entscheidung, freie Wahl des Geburtsorts und kontinuierliche Betreuung. Am wichtigsten ist die informierte Entscheidung, und das ist mehr als informierte Zustimmung, denn es bedeutet Stärkung der eigenen Stimme und nicht, dass man sich fügt. Hebammen wollen, dass die Mutter das Gefühl der Kontrolle hat. Natalie sagt, in dem Zusammenhang sei es sehr hilfreich, einen Geburtsplan zu erstellen; dann würden die wichtigen Entscheidungen im Voraus getroffen. Das Letzte, was eine Frau in den Wehen gebrauchen kann, ist ein Schwall von Fragen, die sie beantworten soll. Sie kann auf dem Weg begleitet werden, den sie vorab gewählt hat, und die Hebamme wird ihn ihr erleichtern. Wenn ihre eigene Hebamme im entscheidenden Augenblick nicht verfügbar ist, kann sich eine andere Hebamme nach dem Plan richten.

      Corinne erklärt, die meiste Zeit während der Wehen »ist es unsere Aufgabe, zuzuschauen und abzuwarten. Zu beobachten. Da zu sein und nichts zu tun. Auf die Bedürfnisse der Frau zu reagieren.« Manche brauchen eine beruhigende Hand, andere wollen lieber allein gelassen werden. Manche brauchen Eiswürfel, die sie zerbeißen können, oder etwas Süßes, damit sie durchhalten. Wenn die Geburt voranschreitet, schlagen die Hebammen der Mutter Optionen vor, statt Entscheidungen zu verlangen. Bei Komplikationen erklärt die beruhigende Stimme der Hebamme der Frau, was passiert und war um.

      Wenn etwas die Ruhe unterbricht, kann das die Wehentätigkeit bremsen. Ina May Gaskin, eine Hebammenpionierin in Amerika, der die Wiedereinführung der natürlichen Geburt in den Vereinigten Staaten zugeschrieben wird, hat festgestellt:

      Durch Beobachtung und Erfahrung lernten wir, dass die Anwesenheit einer einzigen Person, die sich nicht gut in die Mutter einfühlen kann, die Wehentätigkeit zum Stillstand bringen kann. Alle Frauen sind sensibel. Manche sind sogar extrem feinfühlig. Anhand der Beobachtung, dass die Wehen schwächer wurden oder aufhörten, wenn jemand das Entbindungszimmer betrat, der nicht achtsam mit den Gefühlen der Mutter war, stellten wir fest, dass wir recht hatten. Wenn der Betreffende das Zimmer wieder verließ, ging die Geburt wieder normal weiter (Gaskin 2017, S. 130).

      Dieses Prinzip steht auch hinter Hypnobirthing. Manche Frauen erlernen in den letzten Monaten der Schwangerschaft Entspannungs- und Atemtechniken, die sie während der Wehen anwenden können. Sie lernen, sich selbst zu hypnotisieren, aber nicht, um in eine betäubende Trance zu sinken. Bei meiner Schwester Ishbel hat es funktioniert; sie war bei ihrer ersten Geburt so ruhig, dass man sie erst gar nicht im Krankenhaus aufnehmen wollte. Das Personal glaubte nicht, dass die Geburt schon so weit fortgeschritten war, und wollte sie wieder wegschicken. Auf ihre Empfehlung hin hat es meine Auberginen-Freundin Belinda auch versucht, mit ähnlichem Erfolg. Die Idee dabei ist nicht, Ängste und Schmerz zu blockieren, sondern die Frau soll sich der Gegenwart stärker bewusst werden, damit sie sich in der aktuellen Situation entspannen kann, statt sich Sorgen zu machen, was wohl passieren wird. Ruhig und zuversichtlich in die Geburt zu gehen hilft, dass die natürlichen Vorgänge die Frau so weit tragen, wie es möglich ist. Medikamente können später immer noch dazukommen. Das wichtigste Medikament produziert der Körper selbst – Oxytocin.

       Oxytocin

      Oxytocin ist der unangefochtene chemische Herrscher bei der Geburt. »Das gute alte Oxytocin«, wie Natalie immer sagt. In den letzten zehn Jahren wurde Oxytocin auch zur »Liebesdroge« und zum »Kuschelhormon« hochgejubelt. Angeblich ist es in großen Mengen vorhanden, wenn Menschen sich verlieben, und in weniger großen Mengen, wenn sie Sex haben oder sich nur umarmen. Bei psychologischen Untersuchungen hat man den Teilnehmern Oxytocin in die Nase gesprüht und dann Aufnahmen ihrer Gehirne gemacht. Die Studien haben ergeben, dass Oxytocin die Empathie steigert, die Introversion reduziert und sogar bei Autismus helfen könnte. Die wissenschaftlichen Grundlagen der meisten derartigen Behauptungen sind bestenfalls »unbewiesen«. Frühere Studien hatten nicht genug Teilnehmer, um verlässliche Aussagen zu machen, oder wurden nicht wiederholt. Es ist noch nicht einmal klar, ob in die Nase gesprühtes Oxytocin überhaupt ins Gehirn gelangt.

      Der mütterliche Oxytocinspiegel steigt in der späten Phase einer Schwangerschaft allmählich an und steigert das Gefühl der Zufriedenheit, Ruhe und Sicherheit neben dem Partner. Bei den Wehen wird Oxytocin in noch größeren Mengen freigesetzt und verstärkt die Kontraktionen. Und noch mehr Oxytocin wird produziert, wenn das Baby auf dem Weg durch den Geburtskanal den Muttermund und die Vagina stimuliert, wodurch eine positive Feedbackschleife entsteht. Wenn die Geburt nicht recht vorangeht, kann es sein, dass die Mutter an einen Oxytocintropf gehängt wird.

      Oxytocin ist nicht der einzige chemische Stoff, der bei einer natürlichen Geburt ins Spiel kommt. Wenn die Wehen sich ihrem Höhepunkt nähern, arbeitet ein komplexer Cocktail von Hormonen und chemischen Stoffen bei Mutter und Baby zusammen. Relaxin entspannt die Bänder der Mutter, und ein Protein namens Noggin sorgt dafür, dass der kindliche Kopf weich und verformbar wird, damit er besser ausgetrieben werden kann. In einem frühen Stadium können die schnell wirkenden Stresshormone Epinephrin und Norepine phrin bei Gefahr die Wehentätigkeit verlangsamen oder zum Stillstand bringen. Und ganz am Ende der Wehen sorgt eine Flut dieser Stoffe dafür, dass Mutter und Baby nach der Geburt wach und aufmerksam sind.

      Auch bei dem langsamer reagierenden Stresshormon Cortisol baut sich während der Geburt ein zehnfach höherer Spiegel als üblich auf. Allem Anschein nach fördert das die Bildung von Rezeptoren für das Stillhormon Prolaktin. Endorphine werden freigesetzt, die es der Mutter erleichtern, Stress und Schmerzen auszuhalten, und eine leichte Bewusstseinsveränderung bewirken. Das führt zu einer Art von Euphorie während der Geburt. Endorphine spielen daneben wohl auch noch die Rolle, die Belohnungszentren im Gehirn von Mutter und Baby vorzubereiten, damit sie beide für Prägung und Bindung gerüstet sind und dafür, zu lernen, wie das Stillen geht. Bei der Mutter stimulieren die Endorphine direkt die Freisetzung von Prolaktin. Prolaktin führt zur Milchproduktion, hat aber noch rund 300 andere Wirkungen im Körper, unter anderem stimuliert es die Synthese von Oxytocin.

      Dieses komplexe Gewebe von Einzelwirkungen und sich selbst regulierenden Kreisläufen wird häufig durch medizinische Interventionen bei der Geburt durchbrochen. Zum Beispiel ist ein Problem bei der Epiduralanästhesie, dass ohne Schmerzen der Anstieg von Epinephrin und Norepinephrin ausbleibt. Im Blut der Mutter gibt es weniger von diesen Hormonen, und weniger gehen auf das Baby über, das deshalb nicht gut für die Entbindung vorbereitet ist. Ähnliche Effekte hat man bei Kaiserschnitten festgestellt: Durch Kaiserschnitt geborene Babys haben weniger Stress bei der Geburt, aber sehr viel mehr eine Stunde später. Ein Kaiserschnitt verlangsamt anscheinend den Prozess der Bindung, doch das hängt auch damit zusammen, dass die Mutter sich erst erholen muss. Eine Geburt ist auf jeden Fall ein sehr kompliziertes System, und die meisten Mechanismen hat man bis heute nicht ganz verstanden. In diesen letzten Abschnitten habe ich versucht, Sarah Buckleys 248-Seiten-Werk zu dem Thema zusammenzufassen, in dem sie selbst die Ergebnisse von 1141 Forschungsarbeiten referiert (Buckley 2015).

      Corinne sagt mir immer, dass Kinder in einer Art von Starre geboren werden. Sie wachen erst auf, wenn die Nabelschnur durchtrennt ist und ihre Lungen sich mit Sauerstoff füllen. »Bevor das passiert, sind sie anders. Ihre Farbe ist anders. Sie schauen nicht nach außen.« Wenn möglich lassen Hebammen die Nabelschnur drei Minuten pulsieren, damit alles Blut aus der Plazenta herausgezogen wird und in das Baby gelangt. Der erste Atemzug verschließt Löcher im Herzen und verändert den Kreislauf so, dass das Blut nicht mehr durch die Plazenta, sondern durch die Lungen strömt.

      Corinne zerstört einen Mythos, bei dem ich mir nie ganz sicher war. Ärzte heben neugeborene Babys nicht an den Füßen hoch, damit ihren Lungen frei werden. Und