Das lachende Baby. Caspar Addyman

Читать онлайн.
Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



Скачать книгу

Aubergine ist.

      Eine frühere Freundin von mir, Belinda, sagte immer, die weiche und elastische Haut von Auberginen erinnere sie an die pummeligen Ärmchen, Beinchen und Bäuche von Babys. Im Supermarkt konnte sie nicht widerstehen und musste immer die Auberginen drücken. Als ich meine Arbeit mit Babys begann, fragte sie mich häufig: »Wie geht es den Auberginen?« Es wurde unser geheimes Codewort. Vor ein paar Jahren, als Belinda mit ihrer Tochter Rosie schwanger war, bekam ich eine glückselige SMS von ihr, in der sie mir mitteilte, die Schwangerschafts-App auf ihrem Smartphone habe sie informiert, dass nach 25 Wochen ihre Blaubeere die nächste Stufe erklommen habe und sie nun ihre eigene kleine Aubergine im Bauch trage.

image

       Kapitel zwei

      Alles Gute zum Geburtstag

       Neugeborene Babys schreien, weil ihre Eltern sich nicht die Mühe gemacht haben, »Happy Birthday« für sie zu singen.

      Anonymes Posting im Internet

      Sie erinnern sich nicht an Ihren nullten Geburtstag, aber Ihre Mutter erinnert sich ganz sicher daran. In den letzten Monaten der Schwangerschaft brauchte sie keine Smartphone-App, um zu wissen, dass ihr Baby von einer hübschen kleinen Aubergine erst zu einer Honigmelone, dann zu einer Netzmelone und schließlich zu einer verdammten Wassermelone herangewachsen war. Neun Monate lang hatte sie sich diesen Tag ausgemalt. Die Tasche für die Party war schon seit Wochen gepackt. Vielleicht hatte es ein paar Fehlalarme gegeben. Aber dann war es endlich so weit.

      Nun, fast so weit: Babys beeilen sich nicht gern bei ihrem großen Auftritt, auch der Körper der Mutter mag das nicht. Bei einer Erstgebärenden dauert eine normale Geburt etwa acht Stunden, und die Vorgänge laufen weitgehend automatisch ab. Das wichtigste Merkmal der Wehen sind regelmäßige, koordinierte Kontraktionen der Uterusmuskulatur, die wie beim Herz von Schrittmacherzellen kontrolliert werden. Häufigkeit und Intensität der Kontraktionen nehmen nach und nach zu, und der Abstand zwischen ihnen verringert sich von zehn Minuten am Anfang auf zwei Minuten am Schluss.

      Wenn es keine medizinischen Komplikationen gibt, nimmt die Natur ihren Lauf. Aber die Natur kann Angst einflößend und tödlich sein. Von Philippa Gregory, Autorin historischer Romane, stammt der denkwürdige Satz: »Männer sterben im Krieg, Frauen bei der Geburt.« In der Vergangenheit hatten Mütter ein Risiko von eins zu hundert, bei oder nach der Geburt zu sterben. Und in manchen Teilen der Welt ist es immer noch so schlimm oder sogar schlimmer. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2015 betrug das Risiko für ein 15-jähriges Mädchen in Afrika, im Lauf ihres Lebens an einem Problem im Zusammenhang mit der Mutterschaft zu sterben, 1 zu 37. In Europa liegt dieses Verhältnis bei 1 zu 3400.

      Babys sind noch schlechter dran. Weltweit kommt eines von 45 Kindern tot zur Welt. Und von den übrigen erleben 49 von 1000 ihren ersten Geburtstag nicht. Der Gesundheitsstatistiker Hans Rosling hat darauf hingewiesen, dass Mütter und Kleinkinder die verletzlichsten und am wenigsten sichtbaren Opfer von Kriegen, Hungersnöten und anderen humanitären Krisen sind. Der größte Gewinn für die Gesundheit der Menschheit wäre eine bessere Versorgung junger Mütter und ihrer Babys.

      Im Allgemeinen Krankenhaus in Wien gab es in den 1840er-Jahren zwei Abteilungen für Geburtshilfe, die 1. Geburtshilfliche Klinik und die 2. Geburtshilfliche Klinik. Die Frauen wurden tageweise wechselnd in die eine oder andere Klinik aufgenommen. In der 1. Klinik kümmerten sich Medizinstudenten um die Gebärenden, in der 2. Klinik Hebammen. Frauen, die in die 1. Klinik aufgenommen wurden, baten inständig darum, in die 2. Klinik zu kommen, denn nach allgemeiner Auffassung lag auf der 1. Klinik ein Fluch. Die Daten aus den Jahren 1842 bis 1846 zeigten es eindeutig: In der Hebammenklinik war die Zahl der Todesfälle um 60 Prozent geringer. Ein junger Arzt namens Ignaz Semmelweis wurde damit beauftragt, das zu untersuchen. Er stellte keine Unterschiede bei den Kliniken an sich und bei den Entbindungsverfahren fest. Aber er machte den für die damalige Zeit ungewöhnlichen Vorschlag, die Medizinstudenten sollten ihre Hände mit stark gechlortem Wasser waschen. Als sie das taten, ging die Sterblichkeit in der 1. Klinik auf das Niveau der 2. Klinik zurück. Die Medizinstudenten waren oft direkt von Sektionen in ihren Anatomiekursen in die Entbindungsabteilung gekommen. Manchmal wuschen sie sich die Hände, aber nicht immer, und auf jeden Fall desinfizierten sie sie nicht, warum sollten sie? Es gab keinen Grund. Erst Jahrzehnte später bewiesen Louis Pasteur und Joseph Lister die Theorie, dass Krankheiten durch Keime verursacht werden.

      Semmelweis informierte seine Vorgesetzten über das, was er her ausgefunden hatte. Er konnte nicht erklären, warum das Händewaschen half, deshalb folgten sie seinen Empfehlungen nicht. Kurz dar auf wurde er entlassen und kehrte in sein Heimatland Ungarn zurück. In den Krankenhäusern, in denen er arbeitete, gab es ähn liche Verbesserungen, doch seine neuen Kollegen wollten seine Methoden ebenfalls nicht übernehmen. Zwanzig Jahre lang führte er eine immer gereiztere Korrespondenz mit dem medizinischen Establishment in Europa, das ihn weitgehend ignorierte. 1865 starb er besiegt und gebrochen in einer Nervenheilanstalt. Im englischen Sprachraum bezeichnet der Begriff »Semmelweis-Reflex« die Ablehnung einer neuen Erkenntnis, wenn sie bestehenden Überzeugungen oder etablierten Paradigmen widerspricht.

      Erstaunlicherweise könnte heute im Westen, wo es überall Zugang zu fortschrittlichen medizinischen Dienstleistungen gibt, die Lösung, wie Geburten sicherer werden könnten, ebenfalls in mehr Hebammen und weniger Ärzten bestehen. Diese Empfehlung sprachen zumindest Mary Newburn, Leiterin der politischen Abteilung des National Childbirth Trust, und ihre Kollegen in einem einflussreichen Bericht aus, der im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Johanson, Newburn und Macfarlane 2002). Sie argumentierten, die ganze Kultur rund um die Geburt müsse sich so verändern, dass »die Geburt als ein normaler physiologischer Vorgang« wahrgenommen werde, und man müsse ein »Eins-zu-eins-Verhältnis in der Betreuung während der Wehen anstreben«. Dass medizinisches Personal während der Geburt bereitsteht, ist wichtig, aber medizinisches Personal tendiert dazu, alles zu medikalisieren. In Finnland, wo die Geburt als normaler physiologischer Vorgang behandelt wird, erfolgen 11 Prozent der Entbindungen per Kaiserschnitt. In Großbritannien sind es 25 Prozent, in den Vereinigten Staaten 35 Prozent, in Deutschland fast jedes dritte Kind. Die geschätzte medizinische Notwendigkeit liegt bei 5 bis 10 Prozent. Weil die Ärzte Angst vor Prozessen haben und auf Nummer sicher gehen wollen, werden sie immer neue Tests und sogar überflüssige Operationen durchführen. Und das ist noch nicht alles.

      Wenn den Müttern die Geburt als ein medizinisches Problem dargestellt wird, das behandelt werden muss, dann verlangen sie logischerweise mehr Behandlung. Sie haben mehr Angst vor der Geburt. Sie wollen mehr Rückenmarksanästhesien und Schmerzmittel. In einem medizinischen Umfeld ordnen sich die Hebammen den Medizinern unter. Selbst die Geburtshelfer sind der Meinung, dass sie viel zu sehr auf medizinische Verfahren setzen. Wenn die Geburt als ein natürlicher physiologischer Vorgang betrachtet wird, sind die Ergebnisse für Mutter und Baby besser und die Mütter haben ein angenehmeres Geburtserlebnis. Der Bericht empfahl, so oft wie möglich sollten Hebammen die Geburt leiten und nicht Ärzte. Sie sollte in einem nicht-medizinischen Rahmen stattfinden, und die Mütter sollten ihre Hebammen vorher kennenlernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können.

      Ich habe mit zwei befreundeten Hebammen über ihre Rolle gesprochen, um einen besseren Eindruck von der Geburt zu bekommen. Corinne ist energiegeladen und resolut, nicht medizinisch orientiert und matronenhaft. Man würde eher erwarten, sie bei einer Demonstration gegen Ungerechtigkeit zu treffen als in einem Krankenhausflur. Womöglich haben wir uns tatsächlich da zum ersten Mal gesehen. Seit zehn Jahren »holt« Corinne Babys. Natalie ist klein, strahlend und wirkt immer noch ein bisschen holländisch, obwohl sie seit fast zwei Jahrzehnten in London lebt. Wir lernten uns vor 16 Jahren am ersten Tag unseres Psychologiestudiums kennen. Ich erinnere mich, dass sie immer als Erste ihre Studienarbeiten ablieferte und all die Praktikumsberichte schrieb, für die ich nie Zeit fand. Natalie lief zum Spaß Marathon, ein Hobby, das ich damals nicht verstand. Aber wahrscheinlich bereitet einen das gut auf die Aufgaben einer Hebamme vor.

      Das Wort »Hebamme« kommt vom althochdeutschen