Das lachende Baby. Caspar Addyman

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Название Das lachende Baby
Автор произведения Caspar Addyman
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956144479



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Bindungen an andere menschliche Wesen sind der Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen dreht, nicht nur im Säuglings-, Kleinkind- oder Schulalter, sondern auch während der Adoleszenz und der reifen Jahre bis hinein in das Alter (Bowlby 1983 [1969], S. 576).

      Ich untersuche das ausführlicher in späteren Kapiteln. An dieser Stelle soll es genügen, Bowlby und Winnicott für das zu würdigen, was sie mit ihrer Arbeit erreicht haben. Sie führten nicht nur die Theorien über die kindliche Entwicklung von den düsteren psychoanalytischen Fantasien Melanie Kleins ein gutes Stück auf den vernünftigeren Weg hin zu Ruth Feldmans Neurobiologie der Liebe, sondern hatten auch großen Einfluss auf das Leben vieler Familien. Dazu zählten jene, denen sie direkt mit ihrer klinischen Arbeit halfen, aber auch viele andere, weil ihre Arbeit die gesellschaftliche Wahrnehmung veränderte, was gute Elternschaft im Großbritannien der Nachkriegszeit bedeutete. Sie halfen Eltern, sich von der Vorstellung zu lösen, eine harte Hand und kühle Distanz seien nötig, um den Charakter des Kindes zu formen und zu große Anhänglichkeit zu verhindern, indem sie sehr klar darlegten, wie wertvoll Nähe, Liebe und Empathie sind. Sie bestärkten Mütter, ihren Instinkten mehr zu vertrauen als Autoritätspersonen. Bowlby und Winnicott hätten sicher als Erste gesagt, dass alle Mütter das meiste ganz allein herausfinden.

      Die irische Romanautorin Anne Enright erzählt in ihrem Erfahrungsbuch Ein Geschenk des Himmels von ihren ersten Erlebnissen beim Füttern. Sie sitzt aufrecht in ihrem Krankenhausbett und wundert sich über ihre neugeborene Tochter, einen »weißen Dracula«, immer hungrig nach Milch, mit einem intensiven Blick und vielschichtigen Gefühlen, die sich im Gesicht spiegeln. Sie ist genauso verblüfft darüber, dass sie Milch produzieren kann, wie darüber, dass ihre Tochter sie aufnehmen kann. In den ersten Monaten erstaunen sie die Geheimnisse der Mutterschaft immer wieder. Erst sehr viel später kommt sie zu dem Schluss:

      Die Mutterschaft fällt mir leicht. Doch ist es eine hart erkämpfte Leichtigkeit, auf die ich ziemlich stolz bin (Enright 2005, S. 244).

       Was ist Vergnügen?

      Ein Rätsel im Zusammenhang mit dem milchtrunkenen Baby haben wir noch nicht vollständig gelöst: Was bereitet dem Baby daran so viel Vergnügen? Wir wissen, dass es isst, um zu wachsen, und dass es, wenn es Nahrung zu sich nimmt, auch emotional wächst. Wir wissen, dass ein voller Bauch den Vagusnerv stimuliert, eine ganze Kaskade chemischer Botenstoffe freizusetzen, wodurch sich die Spiegel von Insulin, Ghrelin, Leptin und anderen Hormonen ändern. Wir wissen, dass diese chemischen Veränderungen den Körper darauf vorbereiten, die Mahlzeit zu verdauen und das Baby in einen glücklichen milchtrunkenen Schlaf sinken zu lassen. Aber wir wissen immer noch nicht, was daran Vergnügen bereitet.

      Wenn wir Gehirnspezialisten fragen, heißt es manchmal »dopaminbasierte Belohnungskreisläufe«. Als Antwort ist das weitgehend nutzlos. Wenn wir einen Psychoanalytiker fragen, hören wir, dass Wunscherfüllung glücklich mache. Das ist ebenfalls überwiegend nutzlos. Für sich allein sind die Antworten nicht falsch, aber sie tragen nicht viel zu unserem Verständnis bei. Warum bereitet uns Freude, was uns Freude bereitet? Warum lacht das eine Baby, wenn es die Treppe heruntergetragen wird, während ein anderes immer die Giraffe Sophie bei sich haben will? Warum mag ich Iron Maiden und Sie mögen Madonna? Warum liebt jemand die Oper?

      Spielt das überhaupt eine Rolle? In den 1890er-Jahren bemerkte der Philosoph William James, es sei unsinnig, Fragen zu stellen wie: »Warum lächeln wir, wenn wir uns freuen, und runzeln nicht die Stirn?« Die meisten Menschen kämen nicht auf die Idee, so etwas zu fragen. Vielleicht lieben wir die Dinge, die wir tun, weil sie nun einmal liebenswert sind. Um es mit den Worten von James auszudrücken: Eine Henne würde es ungeheuerlich finden, wenn irgendein Lebewesen ein Nest mit Eiern nicht für absolut faszinierend und kostbar halten würde.

      Ökonomen und Philosophen machen viel Aufhebens um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein. Die Ökonomen übersetzen heute die meisten Dinge zuerst in Geld und dann in unverständliche Gleichungen. Nicht umsonst bezeichnen sie die Ökonomie auch als die »trübsinnige Wissenschaft«. Und wenn Sie das Gegenteil von Vergnügen wollen, empfehle ich Ihnen, den Artikel über Vergnügen (pleasure) in der Stanford Encyclopaedia of Philosophy zu lesen (Katz 2016).

      Aber wir wollen fair zu den modernen Philosophen und Ökonomen sein: Ihre Ideen sind wahrscheinlich so unklar geworden, weil alle einfachen Gedanken schon formuliert waren. Mit dem Satz »Ich stimme Aristoteles zu« oder durch Abkupfern bei John Maynard Keynes kann man nicht Karriere machen. Aus philosophischer Sicht haben die alten Griechen das meiste bereits gesagt. Plato teilte unsere geläufige Einschätzung, dass Vergnügen die Befriedigung biologischer Begierden und Bedürfnisse ist. Ein hungriges Baby ist nicht mehr hungrig. Ein Erwachsener, dem es zu heiß wird, geht aus der Sonne.

      Aristoteles kümmerte sich nicht um solche animalischen Vergnügungen und meinte, Vergnügen rühre von dem Gefühl her, die Welt zu beherrschen. Ein gefüttertes Baby freut sich, dass es ihm gelungen ist, Nahrung zu bekommen. Eine erwachsene Person genießt Kunst, weil sie weiß, was es bedeutet, »gute« Kunst zu machen. Epikur, dessen Name zum Synonym für das Streben nach Daseinslust geworden ist, vertrat die schlichtere Ansicht, Vergnügen sei Freiheit von Schmerz, Furcht und »Unruhe in der Seele«. Ein Baby, das es warm hat und satt ist, ist glücklich, weil es nicht unglücklich ist, so wie eine Katze, die in der Sonne liegt. Epikur sagt, Vergnügen finde man in Erlebtem, nicht in Gedanken. Oft werden seine Ideen so gedeutet, als befürworte er einen unbekümmerten Hedonismus, aber seine Philosophie ist differenzierter: Er drängt uns, die Gegenwart zu genießen, weil der größte Feind des Vergnügens die Angst im Hinblick auf Vergangenheit oder Zukunft ist.

      Adam Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft, hatte ebenfalls kluge Dinge über das Vergnügen zu sagen. Smiths Ideen zu Freihandel und Marktwirtschaft fußten auf seinen Gedanken über die Menschen und die Gesellschaft. Seiner Ansicht nach war Epikurs Vorstellung von Vergnügen zu vereinfachend und ichbezogen. Im ersten Satz seines 1851 erschienenen Buchs Theorie der ethischen Gefühle erklärt Smith seine gesamte Philosophie:

      Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein (Smith 1977 [1851], S. 5).

      Mit anderen Worten: Es bereitet uns Vergnügen, Sinn für das Wohlergehen von anderen zu haben. Mit diesem Prinzip der »gegenseitigen Sympathie« erklärt Smith Freude, Schmerz, Ärger und Kummer. Ziemlich am Anfang seines Buches stellt er das Leid des Kleinkinds, das nur »das Unbehagen des gegenwärtigen Augenblicks« empfinden kann, dem Kummer der Mutter gegenüber, der daraus erwächst, dass sie sich die Hilflosigkeit und Not ihres Kindes vorstellt.

      Die Glücksforschung steckt selbst noch in den Kinderschuhen. Die Forscher versuchen, unsere kleinen Freuden zu verstehen, und damit rücken die Babys wieder in den Mittelpunkt. Was Glück betrifft, stimmen die Neurowissenschaftler gern Aristoteles darin zu, dass sich zwei Formen unterscheiden lassen: die Lust des Augenblicks und tiefere Befriedigung oder hedonia und eudaimonia, wie die alten Griechen sagten. Die Forschung hat sich größtenteils auf hedonistische Lust konzentriert und weniger auf eudämonistische Lebenszufriedenheit, weil Sinn und Zufriedenheit schwierig zu fassen sind. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Zufriedenheit schwer zu erreichen und noch schwerer festzuhalten ist. Sie ist nicht nur flüchtig, sondern rätselhaft und von einer Person zur anderen komplett verschieden. Außerdem braucht sie Zeit. Etwas ist vielleicht erst rückblickend befriedigend. Deshalb ist es nicht überraschend, dass es bisher noch nicht gelungen ist, Zufriedenheit im Gehirn zu lokalisieren.

      Vergnügen ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl. Die Neurowissenschaftler Kent Berridge und Morten Kringelbach sprechen von einem »hedonistischen Glanz«, der über bestimmten Erfahrungen liege und sie von anderen unterscheide. Außerdem glauben sie, dass zum Vergnügen drei Bestandteile gehören: Wollen, Mögen und Lernen. Mögen ist die Erfahrung des Vergnügens, Wollen und Lernen passieren vorher und nachher,