Название | Die Seele im Unterzucker |
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Автор произведения | Mica Scholten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991072393 |
Inwieweit hatte diese Krankheit wohl mit meinem Zucker zu tun? Es ist bekannt, dass eine sehr häufige Begleiterkrankung bei Diabetes das sogenannte „Fußsyndrom“ darstellt. Die Füße werden immer schlechter durchblutet, irgendwann überwiegen Taubheitsgefühle und sie verlieren nach und nach die Funktion. Sterben im schlimmsten Fall sogar ab und müssen amputiert werden. Damit konnte es allerdings nichts zu tun haben, mein Blutzuckerspiegel war in Kindertagen dank meiner Eltern stets in Ordnun. Natürlich gab es immer mal wieder leichte Über- oder Unterzuckerungen. Jeder langjährige Typ 1-Diabetiker wird mir zustimmen, dass es von der Theorie her zwar sehr logisch und einfach klingt, es sich aber in der Praxis niemals vollkommen umsetzen lässt.
Es wäre schön gewesen, hätte man die Sklerodermie damals zum vollkommenen Stillstand gebracht. Ein paar Flecken auf der Haut mögen zwar kein Fest für die Augen sein, jedoch schränkten mich die verkürzten Sehnen um einiges mehr ein. Ich konnte nicht mehr allzu weit laufen, nach jeder längeren Belastung schmerzte mein Fuß ungemein. Hinzu kam, dass sich auch die Zehen durch die verkürzten Sehnen nach unten krümmten und die Nägel durch den permanenten Druck brüchig und schmerzempfindlich wurden. Mein Vater sagte einmal, dass ihn mein rechter Fuß an eine Vogelkralle erinnern würde. Charmant ausgedrückt, aber im Grunde hatte er Recht …
Im Sportunterricht in der Schule war ich fortan von der Benotung befreit, nahm aber weiterhin daran teil. So weit es mir eben möglich war. Ich war noch niemals ein Spitzenathlet gewesen, allerdings machte es die Sklerodermie nicht wirklich besser. Dies führte unter anderem zu schweren Minderwertigkeitsgefühlen. Wurde ein dummer Spruch von Mitschülern abgegeben, kränkte mich dies innerlich zutiefst. Selbst wenn es nur ein unsinniger Spaß von Kumpels war. Ganz besonders schlimm war es jedes Jahr bei den Bundesjugendspielen. Es war für mich eine arge Erniedrigung, meine vitalen und sportlichen Mitschüler dabei zu beobachten, wie sie die verschiedenen Disziplinen durchliefen, bei welchen ich inzwischen kaum noch mithalten konnte. Als sie im Anschluss ihre Urkunden bekamen und ich dagegen nur eine mit der Aufschrift „Teilgenommen“ erhielt, fühlte ich mich wie ein aussortierter Sonderling.
Warum hatte ich jetzt noch eine weitere Sonderstellung vom Schicksal aufgebrummt bekommen, war der Diabetes denn nicht schon genug? Ich wollte doch nur so sein wie alle anderen, Sonderrollen tun weh.
Um meine gesundheitliche Situation noch weiter zu verbessern, wurde eine wöchentliche Physiotherapie für mich arrangiert, zu welcher ich nun regelmäßig ging. Frau Treptow war eine sehr nette und kompetente Frau, welche sich fürsorglich meiner annahm. Die Therapie bestand aus speziellen Massagen und gezielten Übungen für die betroffenen Bereiche. Einige davon waren zuweilen sehr anstrengend und ich verlor schnell die Motivation weiter zu machen. Immerhin schaffte ich es nach einigen Sitzungen, die Finger an meiner rechten Hand wieder zur Handinnenfläche herunter zu drücken. Anfangs konnte ich das nicht, sie waren definitiv noch zu steif. Mit Knetball und Co. wurde das gemeinsam mit Frau Treptow erreicht. Allerdings ließ sich die fortschreitende und bereits bestehende Sehnenverkürzung trotz regelmäßiger Krankengymnastik nicht wieder rückgängig machen. Möglicherweise hätte ich zuhause noch mehr Übungen machen müssen. Aber selbst dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich die rechte Seite jemals wieder so hätte bewegen können wie ein „gesunder“ Mensch. Eine Operation mit Verlängerung der Sehnen wurde angedacht, sobald ich ausgewachsen wäre.
Da ich fortan die inständige Angst besaß, meine rechte Hand und mein rechter Fuß würden zunehmend mehr versteifen, übte ich zusätzlich mit links zu schreiben. Ein schönes Gekritzel kam zustande. Aber für den Notfall war ich nun zusätzlich ein bisschen vorbereitet. Von Natur aus bin ich Rechtshänder, allerdings ist meine rechte Hand in so vielen Funktionen eingeschränkt, allein kräftemäßig, so dass ich für viele Dinge im Alltag überwiegend die linke Hand benutze. Ich darf mich also guten Gewissens als „Beidhänder“ bezeichnen … hihi.
Ein Kleeblatt mit vier Blättern gilt als Glücksbringer.
Obwohl es vom natürlichen Vorkommen her eine Missbildung darstellt.
Versuchskarnickel
Nachdem sich durch die Behandlungsmöglichkeit mit der UVA1-Licht-Bestrahlung keine wirklich sichtbaren Erfolge zeigten, wurde diese vorerst eingestellt. Als nächstes sollte aus einem Fleck am Unterschenkel eine Gewebeprobe entnommen und zur genaueren Analyse ins Labor geschickt werden. Diese bevorstehende Tatsache machte mir unendliche Angst und ich flehte, mir diese Prozedur zu ersparen. Es musste jedoch sein, schließlich hofften wir ja alle auf Besserung und darauf, die tückische Krankheit endlich zum Stillstand zu bringen.
An jenem Tag wurde ich morgens von der Schule befreit und fuhr in Begleitung meiner Eltern ins Krankenhaus. Ich wimmerte vor Angst beinahe die ganze Hinfahrt über. Immerhin sollten zwei Stücke in der Größe eines Gummibärchens aus meinem Unterschenkel herausgeschnitten werden. Meine Eltern versuchten mich zu beruhigen. Bis auf einen kleinen Betäubungsstich würde ich rein gar nichts spüren. Die Geschichte erfolgte ambulant unter örtlicher Betäubung per Injektion. Eine Vollnarkose war nicht nötig.
Einige der anwesenden Ärztinnen und Schwestern kannte ich bereits aus vorherigen Besuchen in der Klinik und natürlich von der Bestrahlung. Auf einmal sahen diese so ulkig aus. Alle im türkisfarbenen Kittel mit Mundschutz.
Ängstlich legte ich mich auf der Liege auf den Bauch. Nun sollte es gleich passieren. Mein Vater lenkte mich mithilfe eines lustigen Taschenbuches ab, während mir von hinten eine Betäubung verabreicht wurde. Wie versprochen spürte ich sie kaum und von der eigentlichen Entnahme der Gewebeprobe merkte ich rein gar nichts. Nachdem die Wunde genäht und versorgt war, durften wir die Klinik auch schon wieder verlassen. Als Belohnung von meiner Mutter durfte ich mir im Anschluss zwei Action Figuren aussuchen. Für beide zusammen zahlte sie über 40 DM, was das geplante Budget bei weitem überstieg. Ich freute mich sehr darüber und vergaß beinahe das unangenehme Ziehen der Wunde, welches langsam einzutreten begann, da die Narkose allmählich nachließ.
Über mehrere Wochen hatte ich noch ziemliche Beschwerden beim Sitzen. Der Gang zur Toilette und auch das Sitzen auf den harten Schulstühlen war mehr als unangenehm. Die Wunde musste gut gepflegt werden, damit sie sich in jenem Bereich des geschwächten Bindegewebes nicht noch weiter entzündete. Die Ergebnisse, welche einige Wochen später vorlagen, brachten uns nicht in dem Maße weiter wie wir erhofft hatten. Im Endeffekt war jene Aktion völlig für die Katz. Naja, einen Versuch war es immerhin wert …
Meine Großeltern versuchten mich ständig zu motivieren, NOCH mehr Krankengymnastik zuhause zu betreiben. Vielleicht würde es dann tatsächlich besser werden. Sie selbst litten unter schlimmen arthritischen Beschwerden, ganz besonders in den Kniegelenken. Das mag nicht sonderlich spektakulär klingen, schließlich leiden die meisten Menschen ab einem gewissen Alter an Beschwerden dieser Art. Allerdings war es jedoch auch meine Tante, die Schwester meines Vaters, welche schon in recht jungen Jahren unter massiven Knieproblemen litt und immer wieder operiert werden musste. War ich in dieser Hinsicht familiär zusätzlich belastet? Konnte es diesbezüglich einen Zusammenhang geben?
Ein weiterer Arzt, welcher auf rheumatische Erkrankungen dieser Art spezialisiert war, wurde ausfindig gemacht. Jener befand sich in München, zu welchem ich erstmals gemeinsam mit meinen beiden Eltern fuhr. Bis heute erinnere ich mich ganz bewusst an jenen Tag. Als wir mit dem Auto in die Stadt fuhren, war ich unendlich fasziniert von dem großen bunten Trubel. Die vielen Gebäude und Geschäfte, die vielen Lichter und Plakate … eine echte Großstadt eben. Bei der Rückkehr an jenem Tag stand ein neues Lebensziel für mich fest: Bin ich groß, so ziehe ich auf alle Fälle in die Großstadt. So viele Menschen, so viele Möglichkeiten. Es ist einfach immer etwas los. Viel spannender als ein Leben in einer Kleinstadt, wo wirklich jeder jeden kennt. Bestimmt musste sich hier niemand verstecken, um bloß keinen Puffer für Tratschereien und Spekulationen zu liefern.
Der neue Arzt war mir äußerst sympathisch. Es war ein älterer, gemütlicher Bayer, welcher sich stets viel Zeit für mich nahm, meine Medikamentenkontrolle fortan betrieb und immer mit dem nötigen Rat zur Seite stand. Er hielt