Die Seele im Unterzucker. Mica Scholten

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Название Die Seele im Unterzucker
Автор произведения Mica Scholten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072393



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welche mich nach Hause fuhr. Dort hagelte es eine gehörige Standpauke von meiner Mutter, welche ganz krank vor Sorge war. Zudem noch die Tatsache, dass ich mit der Polizei nach Hause gekommen war. Auch Onkel Beck schnauzte mich gehörig an. Die Nacht darauf war erneut gefolgt von einem nächtlichen Desaster zwischen den beiden, an welchem meine Mutter mir die Schuld zuwies. Ich fragte mich nur, was das denn sollte. Dass mich meine Mutter schimpfte, war die eine Sache. Aber jetzt auch noch Onkel Beck, welcher in meinen Augen alles andere als ein Recht dazu hatte. Schließlich war er nicht mein Vater und hatte sich persönlich auch niemals in jener Rolle gesehen, geschweige denn versucht.

      Zu diesen Zeiten war es auch, dass es meinem Vater körperlich und psychisch immer schlechter ging. Er trank nun regelmäßig Alkohol und war auch am Wochenende, wenn ich ihn besuchen durfte, zuweilen recht komisch. Er war mir gegenüber niemals aggressiv oder gewalttätig, so wie dies bei anderen Menschen mit Alkoholproblemen der Fall ist. Aber ich merkte oft, dass er ganz anders war als früher. Geistig etwas abwesend und übertrieben albern. Er vergaß Dinge schneller und redete gelegentlich etwas langsamer und durcheinander.

      Das hatte bestimmt auch mit seiner schweren Depression zu tun, welche nach der Trennung vermehrt auftrat. Wie viel und wann er tatsächlich trank, kann ich nicht sagen. Und die abendlichen ein, zwei Bierchen hatte ich niemals als Bedrohung betrachtet, das hatte er schließlich schon immer gemacht. Gelegentlich durfte auch ich einmal nippen. Auch wenn es mir als Kind nicht wirklich schmeckte. Viel zu bitter. Ich war schon immer ein Fan von eher süßlichen Dingen. Wen wundert das schon bei Zucker? Hihi.

      Als ich meinem Vater erstmals von den nächtlichen Szenarien zwischen meiner Mutter und Onkel Beck erzählte, nahm er es entweder gar nicht wirklich zur Kenntnis oder mich nicht ernst genug. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ihn bat, Mami, mich und meinen kleinen Bruder Finn zurück zu sich nach Hause zu holen. Er entgegnete nur unbeeindruckt, dass er meiner Mutter wohl eindeutig zu langweilig war und „die Weiber eben einen Mann bräuchten, welcher sie anbrüllt und ihnen auch gelegentlich eine verpasst“. Nur das ziehe sie wohl an und hält sie gefügig. Naja, wenn er meinte …

      Im Gegensatz zu meiner Mutter begann er nun vermehrt sie in meiner Gegenwart schlecht zu machen. Nicht mit bösartigen Aussagen, viel eher auf eine ironische Art und Weise. Wie eben jenes Beispiel vom tiefsitzenden Bedürfnis der Frauen nach einem gewalttätigen Mann, welcher sie erniedrigt. Außerdem lästerte er kontinuierlich über seinen Gegenspieler Onkel Beck. Was dieser andersherum jedoch genauso tat. Wiederholt rühmte sich Onkel Beck in der Rolle des unwiderstehlichen Mannes, welchem es gelungen war, meinem Vater die Frau auszuspannen.

      Einen Teil meines Vaters Theorie kann ich in gewisser Weise sogar nachvollziehen. Meine Mutter war von Natur aus schon immer eine Geber-Seele, die es gerne jedem recht machte. Auch wenn sie dafür auf der Strecke blieb. Gerade in jener Zeit, als wir bei Onkel Beck lebten, fiel mir verstärkt auf, dass sie alles dafür gab, es ihm und auch uns Kindern so angenehm und komfortabel wie möglich zu gestalten.

      Vom Wesen her war sie allerdings gelegentlich auch sehr schnell reizbar, wenn etwas nicht nach Plan verlief. Selbst wenn es sich um Lappalien handelte. Diesen Wesenszug habe ich teilweise von ihr übernommen.

      Allerdings war auch mein Vater diesbezüglich nicht immer die Ruhe selbst. Ganz besonders dann, wenn er seinem Beruf nachging und das Innenleben von Fernsehern und Receivern reparierte, kam es regelmäßig zu Wutausbrüchen und Flüchen. Was ich sehr gut nachvollziehen kann, für ein Gefummel dieser Art würde mir persönlich auch die Geduld fehlen. Wurde Dreck im Haushalt gemacht, so folgte Kritik und Meckerei. Auch bestand er darauf, sich täglich zu duschen. Häufiges Händewaschen war seinerseits ebenfalls erwünscht. Was mich als Kind gelegentlich ziemlich nervte. Seine Wohnung war stets wie geleckt, Ordnung und Sauberkeit das höchste Gebot. Meine Mutter war diesbezüglich deutlich lockerer. Bei uns zuhause war es auch recht ordentlich, jedoch niemals so klinisch rein wie bei meinem Vater.

      Mein Vater hatte in dieser Zeit noch einmal eine kurz andauernde Beziehung zu einer Frau namens Gitti. Auch ich lernte sie kennen und durfte mit dabei sein, als er ihr beim Umzug mit unserem Geschäftskombi half. Er fragte mich des Öfteren im Spaße, ob ich mir denn vorstellen könnte, dass diese Gitti meine „zweite Mami“ werden würde. Ich mochte sie zwar soweit ganz gerne, hätte sie aber niemals als zweite Mutter betrachtet. So wie ich auch Onkel Beck niemals als zweiten Vater gesehen habe. Ich hatte zwei Eltern, warum bräuchte ich noch welche auf Reserve? Falls mal ein Reifen platzt, oder was?

      Die Beziehung hielt nicht sehr lange, irgendwann machte Gitti mit meinem Vater Schluss. Die Begründung lautete unter anderem, dass er seine Freizeit viel lieber mit mir, seinem Kind verbrachte, anstatt mit ihr. Das erzählte mir mein Vater später einmal und sorgte somit für ein schlechtes Gewissen bei mir. Es ist schon wahr, dass mich mein Vater vergötterte und die meiste Zeit am liebsten mit mir als Kind verbrachte. Aber ist ihm dies zu verdenken? Ganz besonders nach der Scheidung, wo er mich doch ohnehin nicht mehr täglich sah? Inwieweit sie damit übertrieb oder ob es tatsächlich begründet war, kann ich nicht beurteilen.

      Anfang 2000 war das Zusammenleben mit Onkel Beck endgültig Geschichte. Nachdem er in einem weiteren nächtlichen Wutanfall gedroht hatte, meinen Bruder Finn aus dem Fenster zu werfen (bei diesem Vorfall war ich gerade bei meinem Vater auf Besuch), zog meine Mutter ein für alle Mal einen Schlussstrich. Sie schnappte sich meinen Bruder und fuhr weg. Unterkunft fanden sie bei einer guten Freundin, während ich solange bei meinem Vater blieb. Meine Mutter befand sich sehr schnell auf der Suche nach einer neuen Wohnung in meiner alten Heimatstadt und wurde auch schon bald fündig. Der Einzug erfolgte einige Tage später. Die Wohnung lag nur fünf Häuser weit weg von der meines Vaters, gegenüber auf der anderen Straßenseite. Für mich war das mehr als perfekt, so konnte ich ihn jederzeit besuchen und mich auch wieder regelmäßig im Geschäft aufhalten und auf der Konsole spielen. Sogar unter der Woche. Ich hatte allerdings nie Gelegenheit gehabt, mich von meiner alten Klasse und meinem Lehrer zu verabschieden. Von heute auf morgen hieß es, dass wir wieder zurückziehen werden. Ein komisches Gefühl, schließlich hatte ich doch bereits einige Freundschaften geschlossen. Aber die Tatsache, dass ich einige alte, bekannte Gesichter in der neuen Schule wiedertreffen würde, welche ich bereits aus Kindergartentagen kannte, machte es mir deutlich leichter.

      Rückkehr nach Hause

      Onkel Beck hatte eindeutig übertrieben. Auch wenn er im Grunde für seinen Gemütszustand nichts konnte, war es verantwortungslos von ihm, meine Mutter und uns Kinder in eine derartige Situation der Angst zu versetzen. Nachdem meine Mutter den Mut hatte, die Sache trotz Liebe und allem Verständnis zu beenden, machte er sich wohl doch Gedanken. Er reduzierte seinen Alkoholkonsum und begann eine Psychotherapie. Nach einer Weile Funkstille führten die beiden auch über die nächsten Jahre ihre On-Off-Beziehung weiter. Nur eben in getrennten Wohnungen. Ein Zusammenleben war definitiv nicht mehr möglich. Und meine Mutter hatte auch gar nicht mehr den Wunsch danach. Nachdem sie mit mir und Finn die neue Wohnung bezogen hatte, wurde ihr klar, dass sie allein viel besser klarkam. Nach eigenen Angaben wollte sie keinen Mann mehr im Hause haben. Weder Onkel Beck noch meinen Vater. Was mich anfänglich etwas bedrückte, hoffte ich doch noch immer heimlich, dass sich meine Mutter und mein Vater wieder zusammenraufen würden.

      Heute habe ich Onkel Beck schon seit langer Zeit vergeben, auch wenn mir jene Bilder von damals für immer im Gedächtnis bleiben werden. Laut Erzählungen meiner Mutter hatte er in frühester Jugend ebenfalls eine Art Trauma erlebt, nachdem ihn seine Mutter Ulla (welche ebenfalls ein eindeutiges, psychisches Problem hatte) im Alter von 16 Jahren allein zurückließ und mit einem Liebhaber durchbrannte. Also nur verständlich, dass Onkel Beck aufgrund dessen und womöglich noch vielerlei anderer Faktoren, von denen ich nichts weiß, von massiven Verlustängsten geplagt war. Er wollte meine Mutter ganz für sich allein. Und sie natürlich auch in seinem männlichen Stolze dominieren.

      Ich lebte mich sehr schnell in meiner neuen Klasse ein. Ich hatte eine sehr nette Klassenlehrerin und auch mit den anderen Kindern, welche ich zum Großteil schon aus Kindergartentagen kannte, verstand ich mich gut. Niemals war ich ein sonderlicher Gruppenmensch, schon immer etwas eigen und anders als die anderen. Ich hatte immer zwei, drei enge Freunde, mit welchen ich am meisten machte, in der Pause spielte, nach Hause lief und ähnliches. Treffen am Nachmittag gab