Die Seele im Unterzucker. Mica Scholten

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Название Die Seele im Unterzucker
Автор произведения Mica Scholten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072393



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sozial vollkommen unfähig (stimmt ja auch teilweise) einstufen würde. So käme es mir persönlich wahrscheinlich auch bei anderen Menschen vor.

      Als Kind und Jugendlicher besaß ich die unhöfliche Angewohnheit, ständig dazwischenzureden, wenn mir ein spontaner Gedanke durch den Kopf schoss. Obwohl andere gerade mit mir oder jemand anderem redeten. Völlig aus dem Zusammenhang heraus fiel ich aus dem Nichts ins Wort. Unterbrach die anderen, obwohl sich so etwas wirklich nicht gehört. Auch im Unterricht stellte ich häufig vollkommen blödsinnige Fragen, welche überhaupt nichts mit dem Schulstoff zu tun hatten und unterbrach die Lehrer. Heute glaube ich, dass ich dadurch unbewusst versuchte, mich wiederholt mit lustigen Dingen abzulenken, um nicht an meine Sorgen erinnert zu werden, wenn mir der Unterricht zu langweilig wurde oder ich wieder einmal nicht mitkam.

      Sorry, war niemals eine böse Absicht …

      Ganz anders dagegen stand es mit Themen, welche mich brennend interessierten. Beispielsweise Biografien von prominenten Menschen wie Schauspielern, für welche ich mich schon frühzeitig als alter Film- und Fernsehfan zu interessieren begann. Den Grundstein hierfür legte mein Vater, welcher mit mir als Kind regelmäßig alte Komödien, Schülerfilme, Western, Krimis und später auch Horrorfilme und Thriller schaute. Vieles aus seiner Kindheit zeigte er mir, das meiste gefiel mir recht gut. Ich begann schon früh damit, eine Leidenschaft für diverse Schauspieler zu entwickeln, welche mich besonders ansprachen. Auch ältere Schauspieler, welche schon gar nicht mehr lebten und meiner Generation teilweise überhaupt kein Begriff mehr sind, erhielten meine volle Aufmerksamkeit. Nachdem auch meine Eltern im Besitz von einem hauseigenen PC mit Internetzugriff waren, nutzte ich diesen für stundenlange Recherchen. Ich wollte stets alles ganz genau wissen, wie alt mein momentanes „Vorbild“ aus Film und Fernsehen war, wo er oder sie geboren ist, wie groß und wie schwer sie waren (was mit den damaligen Suchfunktionen noch recht schwer herauszufinden war), ob verheiratet oder nicht und vieles mehr. Teilweise mutierte dieses Verhalten schon zu einer kleinen Besessenheit. Hatte ich eine schlechte Note mit nach Hause gebracht, war natürlich das übermäßige Interesse an meinem Vorbild daran schuld. Alles schien wichtiger als die Schule zu sein. Und das war gar nicht mal so falsch. Viele Kinder sind durch diverse Freizeitaktivitäten außerhalb der Schule abgelenkt. Ich nehme mich da gar nicht aus. Auf jeden Fall war die Recherche über meine diversen Idole ein großes Hobby meiner Kindheit und Jugend. Ich freute mich regelmäßig über Parallelen, welche ich finden konnte. Diese halfen mir schon früh dabei, mein Selbstbewusstsein etwas aufzuwerten.

      Auch im gezielten Auswendiglernen bin ich alles andere als schlecht. Mathematische Formeln zu merken fiel mir niemals schwer. Nur an der konzentrierten Anwendung scheiterte es regelmäßig. So viele Klausuren versemmelte ich durch simple Flüchtigkeitsfehler, für welche ich mich im Nachhinein hätte sonst wo rein beißen können. Der Ansatz war richtig, aber durch Kleinigkeiten war die komplette Formel im Eimer. Vorzeichenregel nicht beachtet, Strich vor Punkt genommen, in der Hektik verrechnet … Die Utensilien für den erfolgreichen Zusammenbau waren gegeben, aber die Betriebsanleitung war mal wieder vom Winde verweht. Permanente geistige Abwesenheit kann mitunter ganz schön nervig sein.

      Mein Vater übte von nun an am Wochenende Mathematik mit mir, bis ich von den vielen Fünfern wenigstens wieder auf einen Dreier-Schnitt gelangte. Das sollte am Ende der Grundschule ausreichen um mich auf die Realschule schicken zu können. Vom ursprünglichen Start in der Schule war stets davon auszugehen, dass ich es einmal, wie auch mein Vater, aufs Gymnasium schaffen könnte. Dem war leider nicht so, was mich anfänglich etwas frustrierte.

      Mein bester Freund

      Als ich in der 3. Klasse war, lernte ich meinen besten Freund kennen. Durch einen lustigen Zufall eigentlich. Ich ging mit Klassenkamerad John, mit welchem mich eine recht gute Kameradschaft verband, nach der Schule nach Hause. Ich lieh ihm eines meiner vielen Nintendo-Spiele aus, damit er mir einen neuen Kampf-Charakter freischalten konnte. John war ein noch weitaus leidenschaftlicherer und besserer Spieler als ich.

      Als wir nach der Übergabe des Spiels noch kurz hinters Haus in den Garten gingen, sah ich aus dem Augenwinkel heraus jemanden auf dem Baum herum klettern. Es war Axel. Ein dünner Junge aus Johns Nachbarschaft, mit welchem John gelegentlich spielte. Wir begrüßten uns und wechselten einige Worte. Er war eine Klasse unter uns und genau ein Jahr jünger als ich. Ich kann den genauen Zusammenhang nach über 18 Jahren selbstverständlich nicht mehr wortgetreu wiedergeben, jedoch bin ich mir sicher, dass wir uns überwiegend über Spiele austauschten. Ich hatte ihn unter den vielen anderen Kindern auf dem Schulhof bestimmt schon öfter in der Pause gesehen, jedoch bis dato nie bewusst wahrgenommen.

      In den nächsten Wochen sahen wir uns häufiger im örtlichen Freibad. Da wir uns nun flüchtig kannten, kamen wir immer weiter ins Gespräch und spielten zusammen im Wasser. Eines Tages klingelte es an unserer Haustür, es war Axel. Ganz überraschend und ohne Anmeldung kam er zu Besuch, was mich überaus freute. Stolz zeigte ich ihm meine Nintendo und meine dazugehörigen Spiele, von welchen ich ihm schon häufiger erzählt hatte. Ohne viele Worte zu verlieren setzten wir uns an die Konsole und begannen „Super Smash Bros 64“ zu zocken. Er kämpfte mit Samus, ich mit Pikachu.

      Es machte unheimlich viel Spaß, sodass die Zeit wie im Fluge verstrich. Als er an jenem Abend wieder nach Hause ging, war der Grundbaustein für eine langjährige Freundschaft gelegt. Noch heute reden wir immer wieder über diesen einen besonderen Tag, welcher quasi zur Geburtsstunde einer unzertrennlichen Freundschaft wurde. Axel bezeichnet jenen Tag noch immer als einen der schönsten seines Lebens. Was ich nur bestätigen kann.

      Auch Axel war wie ich vom Charakter ein wenig „anders“ als die anderen Kinder. Einerseits sehr hyperaktiv, dann jedoch wieder nicht sonderlich gesprächig und ein kleiner, naiver Tagträumer. Und trotz allem immer witzig und gut gelaunt. Seine Gesellschaft munterte mich jedes Mal auf. Im Gegensatz zu mir fiel es Axel jedoch noch niemals schwer, Bindungen und rasche Freundschaften zu seinen Mitmenschen aufzubauen. Ich agierte in dieser Hinsicht viel vorsichtiger und skeptischer.

      Fortan trafen wir uns immer wieder bei mir zuhause und probierten noch viele weitere Spiele durch. Allerdings blieb das Smash immer unser gemeinsamer Favorit. Auch mein kleiner Bruder Finn war regelmäßig mit von der Partie. Für ihn war es als kleiner Hosenmatz stets ein großes Highlight, wenn er uns aufmerksam zusehen durfte. Natürlich nur, wenn er uns vorher ausgiebig mit Schokoriegeln und Joghurts aus dem Kühlschrank bedient hatte. Sorry, Bruder, war nie böse gemeint, ich schätze deine derartige Verausgabung bis heute! *zwinker* *zwinker*

      Anfänglich war meine Mutter alles andere als begeistert von Axel. Sie meinte, er würde doch ohnehin nur zum Nintendo spielen kommen und bezeichnete ihn als dümmlichen Herumtreiber. Dieser erste, eindeutig falsche Eindruck widerlegte sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr und sie erkannte, dass unsere Freundschaft von wahrhaftiger Natur war. Heute verstehen sich die beiden blendend und schwelgen gerne gemeinsam in Erinnerungen.

      Noch strenger urteilten dagegen mein Vater und meine Großeltern, welche ja ohnehin von Natur aus mehr darauf bedacht waren, was denn die Nachbarn denken könnten. Axel wäre weit unter meinem geistigen Niveau und ich solle mich gefälligst mit Kindern umgeben, welche „meinem Niveau“ entsprachen. Das ärgerte und kränkte mich in Axels Namen, ich mochte ihn ganz genau so wie er war. Wer hat bitte das Recht zu beurteilen, mit welchem angeblichen „Niveau“ man sich zu umgeben hat? Axel hatte etwas, was vielen oberflächlichen Bauernkindern in meinem Umfeld fehlte. Verständnis und Loyalität. Und das sind jene Dinge, welche kein Professorentitel dieser Welt jemals ersetzen kann. Er urteilte niemals über meine Handicaps und ich nicht über seine. Wir nahmen uns ganz genau so wie wir waren. Natürlich stritten wir uns auch gelegentlich und tun es bis heute. Aber das ist es ja im Endeffekt auch, was eine wahre Freundschaft ausmacht. Immer nur lächeln und nicken ist zwar bequemer, auf Dauer aber falsch und verlogen.

      Axel wohnte mit seiner Familie, welche aus insgesamt 7 Kindern bestand, in einem großen Doppelhaus am anderen Ende der Stadt. Sie hatten einige Haustiere, Hunde, Katzen, Vögel und Nagetiere. Nachdem wir uns des Öfteren gesehen und er mich häufiger besucht hatte, so lud er mich auch zu sich nach Hause ein, wo ich seine Eltern kennenlernte. Beide waren sehr freundlich zu mir. Ganz besonders Vater Herbert war stets lustig und oft für einen Spaß aufgelegt. Es ist