Название | Die Seele im Unterzucker |
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Автор произведения | Mica Scholten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991072393 |
Die nächsten Tage erlebte ich so viel Neues. Ich durfte beim Wickeln und Baden zusehen und ihm zwischendurch auch mal das Fläschchen geben. Er war schon ein putziger kleiner Pfannkuchen. In meinem Zimmer war er von nun an auch gerngesehener Gast. Mithilfe von Kuscheltieren, Filmen und Nintendo-Spielen schaffte ich es immer wieder ihn zum Lachen zu bringen. Sah ich fern, so lag er oft lange auf meinem Bauch und schaute mit. Kopf an Kopf, ein Bild für Götter.
Es dauerte nicht lange, da stand auch schon der erste Besuch von unserer gemeinsamen Omi aus Thüringen an. Natürlich war auch ihre Freude über einen weiteren Enkel sehr groß und wir verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Neben den Aktivitäten mit meinem Bruder, übte meine Omi mit mir für die neue Schule. Nachdem ich gelernt hatte, ganz passabel in Schreibschrift zu schreiben, übten wir das Schreiben von ganzen Sätzen neben meinen herkömmlichen Hausaufgaben.
Es gab Zeiten, da war ich beinah schon etwas eifersüchtig auf meinen neuen kleinen Bruder. Er bekam so viel Zuwendung und Aufmerksamkeit von allen Seiten, stand eigentlich meist im Mittelpunkt. Außerdem war er das gemeinsame Kind von meiner Mutter und Onkel Beck, also musste ihn meine Mutter doch automatisch lieber haben als mich, oder? Es ist wohl weitestgehend normal, dass ein Baby deutlich mehr Beachtung erhält als die schon etwas größeren Kinder. Ich denke trotz allem, dass meine Mutter meine damalige Situation überinterpretierte, indem sie mich als den „verwöhnten Prinzen“ (was ich eindeutig war, keine Frage) bezeichnete, der plötzlich durch den jüngeren Bruder vom Thron gestoßen wurde. Heute denke ich jedoch, dass diese Konstellation in sehr vielen Familien besteht und es eines der natürlichsten Dinge im Leben ist, dass Babys nun einmal mehr Aufmerksamkeit bekommen als die älteren Kinder, welche schon ganz gut auf eigene Faust zurechtkommen.
Zudem kam mittlerweile auch vermehrt Onkel Becks Mutter, Ulla, auf Besuch, um Finn, ihren ersten Enkel, zu besuchen, welchen sie mächtig ins Herz geschlossen hatte. Ich mochte sie nicht besonders, empfand sie sogar gelegentlich als störend und eine Spur ZU emotional. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass ich mich einmal unbewusst mit ihr anlegte, obwohl dies gar nicht meine Absicht war. Sie kuschelte mit Finn und nannte ihn liebevoll „ihren“ kleinen Schatz. Ich nörgelte sie an, dass es nicht IHR kleiner Schatz wäre, sondern er nur meiner Mutter, Onkel Beck und mir gehörte. Das verletzte sie zutiefst. Sie begann zu heulen und verdeutlichte meiner Mutter lautstark, wie frech und ungezogen ich doch wäre. Heulend verließ sie unsere Wohnung und ich bekam einen Rüffel. Dabei hatte ich es doch gar nicht so böse gemeint.
Natürlich war es meinerseits nicht die feine englische Art im Nachhinein betrachtet. Schließlich war sie trotzdem seine Oma, was es zu respektieren galt. Möglicherweise akzeptierte ich sie nicht, weil sie nicht MEINE Oma war. Unsere gemeinsame Oma aus Thüringen, war da schon eine andere Hausnummer, welche uns ja auch verband. Auf der anderen Seite war aber auch ihr Verhalten alles andere als erwachsen. Eine reife Frau ihres Alters hätte über jener kindlichen Aussage einfach drüberstehen müssen und nicht eine derartige Szene an den Tag legen dürfen.
In der darauffolgenden Nacht kam es zu einem Eklat zwischen meiner Mutter und Onkel Beck. Ich wurde von einem lautstarken Wortgefecht geweckt, Onkel Beck war leicht angetrunken und warf meiner Mutter lautstark vor, was ich doch für ein böses, verwöhntes Kind sei und wie ich es hätte wagen können, seine Mutter derartig zu verletzen. Türen flogen, ich hörte Schreie.
Dies war nicht das erste Mal, dass ich nachts von derartigen Szenarien aus dem Schlaf gerissen wurde …
Nächte der Angst
Onkel Beck war schon lange nicht mehr nur der lockere, unkomplizierte Zeitgenosse, als welchen ich ihn anfangs kennengelernt hatte. Die erste große nächtliche Aktion in meinem Beisein fand in jener Nacht vor meinem 7. Geburtstag statt.
Meine Mutter hatte mir am Vorabend liebevoll einen Geburtstagstisch hergerichtet. Onkel Beck begann in der Nacht lautstark mit meiner Mutter zu schimpfen, mein anstehender Geburtstag war der Anlass. Er ärgerte sich im Alkoholrausch darüber, wie man einem „so bösen Kind“ doch einen solch schönen Geburtstagstisch bereiten könne. Als es lauter wurde, schlich ich zur Tür heraus und sah die beiden energisch miteinander streiten. Meine Mutter bat ihn leiser zu sein und vermerkte, dass ich doch Angst hätte. „Soll er ruhig Angst haben!“, nuschelte Onkel Beck unbeeindruckt vor sich hin.
Ich verzog mich wieder in mein Zimmer, in der Hoffnung nun endlich Ruhe und Schlaf zu finden. Trotz allem freute ich mich auf meinen Geburtstag und dieses Gefühl wollte ich mir nicht nehmen lassen. Die Erwachsenen würden sich schon wieder einkriegen, so schlimm konnte es doch bestimmt nicht sein.
Wenige Minuten später hörte ich einen lauten Knall und meine Mutter entsetzt aufschreien. Dies veranlasste mich dazu, noch einmal mein „sicheres“ Bett zu verlassen und nachzusehen. Onkel Beck hatte in Rage meine Geburtstagsgeschenke auf den Boden geworfen. Das brach mir das Herz. Wie konnte mich ein Mensch nur so sehr hassen?
Insgesamt waren es bestimmt zehn derartige Nächte der Angst, welche in meiner Gegenwart zwischen meiner Mutter und Onkel Beck stattfanden. Dass Onkel Beck zum damaligen Zeitpunkt psychisch sehr krank war und nur aus diesem Grunde meine Mutter das alles mit sich machen ließ, verstand ich als Kind natürlich nicht. Der Alkohol verstärkte seinen Gemütszustand nur noch mehr.
In einer weiteren Nacht bestand er darauf, meinen Bruder Finn mit zu sich ins Bett zu nehmen, da er morgens beim Aufwachen gerne mit ihm kuschelte. Meine Mutter wehrte sich dagegen, da sie wusste, dass er spätestens nach 10 Minuten ungemütlich im Eck des Bettes liegen würde. Er sollte lieber in seinem eigenen Bettchen bleiben und ungestört weiterschlafen. Kein Verständnis von Onkel Beck. Durch lautes Geschrei wach geworden, sah ich durch den Türspalt wie Onkel Beck auf meine Mutter einschlug und sie ins Bett meines Bruders schubste. Was diesen natürlich aufweckte und er zu schreien begann. „Nein, nein, NEIN!“ „DOCH, DOCH, DOCH!!!“
Was sollte ich nur tun? Ich war wie gelähmt vor Angst und traute mich nicht zu helfen. Sollte ich meinen Vater anrufen? Selbst das traute ich mich nicht, da ich schnell wieder in mein Zimmer verschwunden war und sich das Telefon irgendwo im Wohnzimmer befand. Ich betete insgeheim, dass die Nacht schnell vorbeigehen würde, ohne dass meiner Mutter etwas Schlimmes passieren würde. Was hätte ich als 7-jähriger Pupser schon tun können? Später hörte ich ein lautes Klirren. Onkel Beck hatte die Schlafzimmertüre mit voller Wucht gegen den Wandspiegel gedonnert, woraufhin dieser zersprang.
In der Schule lief es dagegen sehr gut, allerdings hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Form des Mobbings zu kämpfen. Obwohl ich schon 7 Jahre alt war, mochte ich noch immer die Teletubbies, von welchen ich einige Kuscheltiere, Spielfiguren, VHS-Kassetten und Hörspiele besaß. An der Bushaltestelle erzählte ich einem anderen Kind, wie toll ich die Serie doch fand und dass es sogar zurzeit im V-Markt „Tubbie-Pudding“ zu kaufen gab. Einige der anderen Kinder fanden es jedoch alles andere als cool, dass ich auf eine derartige Babysendung stehen würde und begannen damit, mich systematisch zu hänseln. Sie lachten mich aus und stahlen mir die Mütze. Als jene im Bus herumflog, machte mich zudem noch eine alte, verbitterte Frau dumm an, dass ich meinen Mist gefälligst bei mir behalten solle und bezeichnete mich als Arschloch. Seit diesen Geschehnissen hatte ich schwere Probleme damit, meinen Mitmenschen zu sagen, was mir gefällt. Ganz egal, ob es sich hierbei um einen Lieblingsschauspieler, eine Lieblingsband oder um einen Lieblingsfilm handelte, jene Vorlieben behielt ich fortan für mich. Nie wieder wollte ich zu einer erneuten Zielscheibe dieser Art werden. Diese Hemmung, anderen Menschen offen zu sagen, was mir gefällt, hält bis heute teilweise an.
Einmal verlief ich mich in der neuen Stadt. Ich war mit einer Klassenkameradin nach der Schule zum Kiosk gelaufen, um mir für ein paar Pfennig am Kiosk Süßigkeiten zu kaufen. Daher verpasste ich meinen täglichen Bus, welcher direkt neben meiner Schule Halt machte, und wusste nicht mehr, wie ich nach Hause kommen sollte. Panisch ging ich mit meiner Klassenkameradin nach Hause, welche jedoch auch nicht weiterwusste. Ich wusste zwar meine Anschrift, allerdings wussten die Eltern von Yasmine auch nicht, wie man denn dorthin