Die Seele im Unterzucker. Mica Scholten

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Название Die Seele im Unterzucker
Автор произведения Mica Scholten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072393



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neue Therapie der UVA1-Licht-Bestrahlung unterschied sich ein bisschen von der vorherigen Therapie, in welcher ich aufrecht in der Bestrahlungskabine saß. Zuerst musste ich für 30 Minuten in ein spezielles Bad, in welchem eine Folie um mich herum gelegt wurde. Keine Ahnung, was das für eine spezielle Substanz darstellte und was deren Wirkung sein sollte. Anschließend wurde noch 30 Minuten auf einer Liege im Nebenzimmer extra bestrahlt. Wieder mit Solariumbrille ausgestattet, lag ich die ersten 15 Minuten auf dem Rücken und anschließend auf dem Bauch, so dass sämtliche Stellen meines Körpers, welche von den Flecken betroffen waren, durch die Strahlen erreicht werden konnten.

      In diesem Zeitraum waren mir meine Mutter und mein kleiner Bruder Finn, welcher inzwischen etwa 2 Jahre alt war, eine enorme Stütze. Vor allem mein kleiner quirliger Bruder, welcher fröhlich überall herumsprang und alles erkundete (die Schwestern fanden ihn immer sehr unterhaltsam) verkürzte mir die Wartezeit in der Badewanne immer enorm. Er lenkte mich ab, indem er mich zum Lachen brachte und mir ab und zu vereinzelte Gummibärchen fütterte, welche wir zuvor im HappyMeal bei McDonalds bekommen hatten Ich selbst konnte mich in dieser Lage nicht bewegen, um meinen Körper erstreckte sich Folie.

      Diese Prozedur wurde etwa ein halbes Jahr lang viermal wöchentlich durchgeführt. Natürlich auch ein großes Opfer für meine Mutter, welche mich nun immer mittags mit meinem Bruder im Schlepptau von der Schule abholte, um direkt zur Behandlung zu fahren. Hin- und Rückfahrt konnte man über den Daumen täglich mit 100 km rechnen. Auf halber Strecke hielten wir häufig an, um uns Mittagessen bei McDonalds zu holen, was zu diesem Zeitpunkt unterwegs deutlich handlicher war. Am Anfang war das noch ein besonderes Highlight für mich und meinen Bruder, da McDonalds bis dato eigentlich ein Ritual darstellte, welches nicht allzu häufig an der Tagesordnung war. Doch schon nach wenigen Wochen hatten wir beide unser täglich Fast Food wortwörtlich gefressen und keine Lust mehr darauf.

      Ganz besonders schlimm war es für mich im heißen Hochsommer, jeden Nachmittag einmal in das warme Bad zu müssen und anschließend noch auf die „Sonnenbank“. Ich schwitzte mich fast zu Tode und bat die netten Schwestern, mir das Badewasser eine Spur kühler zu machen. Aber das durften sie natürlich nicht, da dies die Behandlung erforderte. Körpertemperatur war angesagt. Einmal schaffte ich es jedoch, meine liebste Schwester auf 35 °C herunterzuhandeln.

      Auf dem Rückweg in diesem heißen Sommer war es ein liebgewordenes Ritual, bei meinen Großeltern abgesetzt zu werden und den Rest des Tages Abkühlung im Schwimmbad zu finden. Dies machte es deutlich einfacher für mich und die ganze Prozedur über freute ich mich darauf.

      Da es für die Erkrankung der zirkumskripten Sklerodermie kein spezifisches Behandlungsschema gab und meines Wissens nach noch immer keines gibt, wurde ich lange Zeit über von Arzt zu Arzt geschleppt, von welchen jeder eine ganz andere Art der Behandlung in die Wege leitete. Ich wurde im Grunde nicht nur behandelt, sondern diente parallel dazu auch als eine Art Versuchskarnickel. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten eine Art russisches Roulette darstellten. Entweder sie wirkten oder eben nicht. Zumindest wurde etwas versucht. Danke Leute, immer wieder gerne! Vielleicht habe ich auf diese Art und Weise wenigstens das eine oder andere Tier gerettet, welches für Forschungszwecke im Labor dafür hätte herhalten müssen. Das wäre es zumindest wert gewesen, eine sehr schöne Utopie!

      Es folgten weitere Therapieversuche in Form einer Laserbehandlung und mit chinesischen Heilkräutern. Jene musste ich tagtäglich trinken. Ich erinnere mich, dass es mir jedes Mal allein nur vom Geruch her beinahe den Magen umdrehte. So kombinierten wir es mit Johannisbeersaft, welcher den widerlichen Geschmack etwas milderte. Die Laserbehandlung war auf dem dünnhäutigen, angegriffenen Fußrücken besonders schmerzhaft. Der Arzt meinte, es würde sich in etwa so anfühlen, als würde man mit einem kleinen Gummiband dagegen schnipsen. Es brannte jedoch wie Feuer. 45 Schübe ertrug ich tapfer. Noch heute sind kleine Punkte von dieser Behandlung auf meinem rechten Fußrücken minimal sichtbar.

      Speziell angefertigte Schienen für Bein und Hand, welche ich jede Nacht zu tragen hatte, wurden bei einem Orthopäden angefertigt. Das war sehr unbequem und nervig. Außerdem wurden Hand und Fuß jede Nacht mit einer speziellen Cortison-Creme eingeschmiert, anschließend mit Plastikfolie umwickelt und so wurde schließlich geschlafen. Ganz besonders im Sommer juckte das unerträglich und ich wachte häufig inmitten der Nacht auf. Kratzen ging jedoch aufgrund der Schienen, welche durch Riemen befestigt waren, nicht. Immerhin hatte ich mir das Sternenmuster dafür aussuchen dürfen. Jackpot!

      Irgendwann kam die Krankheit schließlich von selbst zum Stillstand und es traten keine weiteren Flecken mehr auf.

      Sogar spezielle orthopädische Schuhe wurden für mich maßgetreu angefertigt. Dazu machte man Gipsabdrücke, um sie so komfortabel und bequem wie möglich zu gestalten. Zwar konnte ich mit diesen recht gut laufen, allerdings entsprachen sie alles anderem als meinen optischen Vorstellungen und waren zudem noch äußerst auffällig. Neugierige Blicke blieben nicht aus. Ich zog sie im Großen und Ganzen vielleicht zehnmal an. Danach versauerten sie im Schrank. Ich bevorzugte einen schmerzhaften Gang in meinen schmalen rot-weißen Turnschuhen gegenüber einem bequemen in orthopädischen „Clownsstiefeln“, wie ich sie damals bezeichnete.

      Bitte nicht NOCH eine Sonderrolle und doppelt schief angeguckt werden. Lieber Schmerzen …

      „Darfst du das essen?“ „Schaffst du diese Strecke?“

      Fragen wie diese, welche von anderen Menschen zwar lieb und fürsorglich gemeint waren, belasteten mein Gemüt am meisten.

      Eine Sonderbehandlung ist so furchtbar! Wenn etwas nicht klappt oder eine Unsicherheit besteht, bin ich durchaus in der Lage, dies zu erwähnen.

      In der 1., 2. und 3. Klasse war ich stets ein herausragender Schüler in Bezug auf meine Leistungen gewesen. Vom Wesen her allerdings schon immer etwas auffällig,, geistesabwesend und gelegentlich auch etwas streitsüchtig. Ebenfalls von einer gewissen Egozentrik beherrscht. Was ICH wollte, hatte Priorität. Es endete nicht in Gewaltausbrüchen oder ähnlichem, aber mit rebellischem Verhalten war durchaus zu rechnen. Ich war noch nie ein Mensch, welcher gut mit Kompromissen klarkam. Meine Devise lautete schon sehr früh entweder ganz oder gar nicht – ein Mittelweg bringt es nicht.

      Meine Krankheiten stellten mich zusätzlich in eine eigene Ecke, jedoch denke ich mir heute, dass ein anderes Verhalten meinerseits einige Meinungsverschiedenheiten und Konflikte hätte vermeiden können. Hier bestätigte sich wieder einmal das altbekannte Problem, dass ich mit Konsequenz und Geduld wohl niemals einen Blumentopf in diesem Leben gewinnen werde. Ich bin ein chronischer Hektiker, welcher nicht selten direkt aus dem 1. Impuls handelt, ohne tiefgründiger darüber nachzudenken.

      Nachdem ich aufgrund meiner Therapie bezüglich der Sklerodermie so häufig und regelmäßig zum Arzt und zur Bestrahlung musste, ist es wohl gewissermaßen nachvollziehbar, dass mir in jenem Zeitraum sehr viel im Kopf umher spukte, meine Konzentration noch stärker schwankte als ohnehin schon und sich dementsprechend auch meine Noten verschlechterten. Ganz besonders in Mathe begann ich rapide abzusacken, nachdem die Thematik in Form von Textaufgaben, Bruchrechnung und Geometrie schwieriger zu werden begann. Irgendwann hatte ich den Faden verloren, obwohl ich im Grundrechnen doch stets so gut war. Regelmäßig wurde das Kopfrechnen zusammen mit meiner Oma in unbeschwerten Stunden im Garten geübt. Die Antworten mussten „wie aus der Pistole geschossen“ erfolgen, um den Grundstein für eine erfolgreiche Mathematik zu gewährleisten, wie sie es damals bezeichnete. Als ich schlechter wurde und mich jene aufgrund dessen gelegentlich tadelte, reagierte ich beleidigt und konterte auf meine eigene Art. „Ihr habt doch damals eh nur auf Täfelchen 2+5 zusammengezählt. Richtig anspruchsvolle Mathematik gab es doch damals noch gar nicht!“

      Diese Annahme wurde von ihr glücklicherweise doch schnellstens widerlegt. Ich fühlte mir auf den Schlips getreten, da ich früher doch immer gut war. Meine Niederlage wollte ich mir einfach nicht eingestehen.

      Im Alltag bin ich bis heute gelegentlich ziemlich geistesabwesend. Es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht schon mindestens zehnmal vom Bus überfahren wurde oder sämtliche Knochenbrüche erlitten habe. Dies ist bestimmt sehr vielen aufmerksamen, empathischen Personen zu verdanken, welche in jenen Momenten für mich mitdachten. Meine mangelnde Konzentrationsfähigkeit stellt