Название | Der tote Rottweiler |
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Автор произведения | Heike Brandt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948675721 |
Falsches Clownsgesicht.
Falsch. Falsch. Falsch.
Er wird es richtig machen.
Zehn Minuten später versteckt er sein Fahrrad im Gebüsch und biegt auf einen schmalen Pfad ab, der sich durch hohe Bäume und dichtes Gestrüpp bis zu einer Lichtung mit einem kaputten Hochsitz schlängelt. Seit dem tödlichen Sturz von Krügers Paul jagt hier niemand mehr. Man hat nie herausgefunden, was genau geschehen ist. Ein unheimlicher Ort. Die neue Holzhütte auf der anderen Seite der Lichtung wird nicht genutzt.
Doch der Hund ist da. Ein kräftiger, dunkler Rottweiler, angeleint am zugewucherten, moosbedeckten Holzpfosten des eingefallenen Hochsitzes. Der Hund wedelt mit dem Schwanz, längst bevor er den Jungen sehen kann. Die Vorderpfoten aufgestemmt, die Brust breit, den Blick erwartungsvoll auf den Pfad gerichtet, auf dem jetzt der Junge auftaucht.
Der bleibt stehen, atmet einmal tief durch, zieht die Waffe aus dem Hosenbund, geht ein paar Schritte auf den Hund zu, sagt: „Ruhig, ganz ruhig“, streckt den Arm aus, legt den Finger um den Abzug, zielt, drückt ab.
Ein trockener Knall.
Der Hund kippt zur Seite. Blut sickert aus der Wunde.
Der Junge verharrt einen Moment, sichert die Pistole, steckt sie in den Hosenbund, hebt die Patronenhülse auf, lässt den Hund nicht aus den Augen.
Doch der rührt sich nicht mehr. Auch nicht, als der Junge ihn mit dem Fuß anstößt.
Sauberer Schuss. Jetzt gibt es kein Alibi mehr.
Das war’s. Er hat es getan. Er hat es wirklich getan.
Mit zitternden Knien macht er sich auf den Heimweg. Was jetzt wird, liegt nicht mehr in seiner Hand.
1
Julika schwimmt. Bei jedem zweiten Zug dreht sie kurz den Kopf aus dem Wasser, atmet, taucht wieder ein. Ihre Beine schlagen kräftig und regelmäßig, ihre Arme recken sich fast ruckartig nach vorne und strecken ihren kurzen Körper in die Länge. Julika weiß, dass das nicht sehr elegant aussieht, aber das ist ihr egal.
Sie schwimmt ihre Bahnen, nicht sehr schnell, aber ausdauernd. Mit offenen Augen. Verfolgt ihren eiligen Schatten auf dem silbrigen Boden unter sich, verfolgt die vielen kleinen Luftbläschen, die von ihren Händen ausströmen, registriert für den kurzen Moment des Auftauchens die bunte Kugelkette der Bahn neben sich, lauscht dem dumpfen Gurgeln und Glucksen des Wassers um sich.
Irgendwann hat Julika genug vom Kraulen, rollt sich wie ein Seehund auf den Rücken, wieder schlagen ihre Beine kräftig und regelmäßig, wieder pflügen ihre Arme ruckartig durchs Wasser, nur andersherum. Jetzt schaut sie hinauf in den Himmel, versenkt sich in sein klares Blau und die bauschigen weißen Wolkenfetzen dazwischen.
Sobald sie spürt, dass Arme und Beine schwer werden, schiebt sie sich am Beckenrand in den Stütz, steigt aus dem Wasser und streicht ihre kurzen, dunkelblonden Haare aus dem Gesicht. Julika geht fast jedes Wochenende Schwimmen. Irgendwann nach dem Aufstehen braust sie mit dem Rad den Hang hinunter ins Zentrum der kleinen Stadt, den Fluss entlang, durchs Gewerbegebiet in der Flussaue.
Das supermoderne Schwimmbad dort wurde vor ein paar Jahren von der Firma, bei der auch Julikas Eltern arbeiten, gespendet, als Geschenk an die Stadt anlässlich des zweihundertjährigen Jubiläums der örtlichen Kleinwaffenproduktion. Für die Kinder der Angestellten des Werks gibt es kostenlose Dauerkarten. Das findet Julika sehr praktisch.
Nach dem Schwimmen geht sie hinüber zu den Leuten aus ihrer Schule, wo sie vorhin ihre Tasche abgelegt hat. Es ist kein verabredeter Treffpunkt, aber wer vom Otto-Hahn-Gymnasium ins Bad geht, sitzt hier, auf den terrassenartig angelegten Flächen neben den Sprungtürmen. Sie nickt den anderen kurz zu, legt sich auf ihr dunkelrotes Badehandtuch und lässt sich von der Sonne trocknen.
Julika ist dabei und nicht dabei. Mit geschlossenen Augen hört sie zwei Mädchen aus ihrer Klasse zu, die von der Party gestern Abend erzählen, zu der Julika nicht eingeladen war, wie Marko abgestürzt ist und Vivian sich Michael an den Hals geworfen hat …
Kopfhörer auf die Ohren, Smartphone an, Buch aus der Tasche und schon ist Julika raus. Doch so richtig will ihr das nicht gelingen. Nach ein paar Seiten nimmt sie ihr Handy und guckt, ob Clara online ist. Ist sie nicht. Julika schickt ihr eine Nachricht mit einem Foto von der Stelle, auf der Clara jetzt eigentlich sitzen müsste. Wie im vorigen Jahr. Und dem davor. Bis Clara mit ihren Eltern umziehen musste, nach Berlin.
„Vermiss dich“, schreibt sie und schiebt jede Menge Heulgesichter hinterher.
Ohne Clara ist alles nur öde.
Der Heimweg ist deutlich anstrengender als der Hinweg. Aber Julika nimmt das sportlich, klettert mit dem Rad die sich windende Straße hoch, als wäre es eine Alpenetappe bei der Tour de France. Zwanzig Minuten später steht sie schnaufend vor ihrem Zuhause, ein streng geometrisch gestalteter imposanter Neubau mit glatten, weißen Fassaden und großen Fensterfronten. Das Gartentor ist nur angelehnt. Das heißt, ihre Mutter und Bello sind noch nicht zurück.
Julika guckt auf die Uhr und wundert sich. Es ist bald sieben, um sieben gibt es Abendessen. „Einmal in der Woche können wir als Familie doch wohl zusammen essen“, wünscht ihr Vater, der unter der Woche oft auf Dienstreisen ist. Sonnabends kocht er gerne für alle und probiert neue Rezepte aus.
Im Haus riecht es nach Braten.
Julika rümpft die Nase. Sie hat keine Lust auf Braten, keine Lust aufs Familienessen, aber es führt kein Weg dran vorbei. Dass sie kein Fleisch isst, haben ihre Eltern akzeptiert. Aber Extrawürste gibt es deswegen nicht, hat ihr Vater gesagt und gar nicht gemerkt, was für einen Unsinn er da redet. Auf eine Diskussion, warum Julika kein Fleisch essen will, hat er sich nicht eingelassen. Das verwächst sich, meinte er nur, ich hab auch mal an den lieben Gott geglaubt.
Bei solchen Bemerkungen macht sich Julika eine mentale Notiz. Für den Fall, dass sie mal Kinder haben sollte.
Ihr Vater steht am Herd, rührt in der Soße, kostet und nickt, hebt den Deckel vom Topf daneben, prüft den Reis und die grünen Erbsen, nickt wieder, schaltet alle Platten aus und klappt den Ofen auf, in dem eine Ente schmurgelt. Ein Blick zur Küchenuhr zeigt ihm, dass er sehr gut in der Zeit ist. Zufrieden fährt er sich mit der Hand über die hellen Stoppeln seines frisch geschorenen Kopfes und rückt seine Brille zurecht.
Er muss Julika gehört haben. Ohne sich umzudrehen, ruft er ihr zu, sie solle den Tisch decken, die anderen zum Essen holen und Christian in den Keller nach Wein schicken. Dabei stellt er die vorgewärmten Schüsseln und die gehackte Petersilie für die Erbsen bereit. Seine Stimme ist nicht besonders laut, aber wie immer scharf und bestimmt. Für seine Begriffe brauchen Kinder klare Ansagen, sonst können sie sich in dieser immer komplexer werdenden Welt nicht orientieren.
Julika sieht das anders.
Der Tisch ist gedeckt, der Wein geholt, das Essen aufgetragen, die Schürze abgenommen. Julika, ihr Vater und ihr Bruder sitzen vor den dampfenden Schüsseln um den ovalen, rotbraun glänzenden Holztisch im Esszimmer. Und gerade, als Julikas Vater leicht verärgert sagt, sie könnten anfangen, obwohl ihre Mutter noch nicht da ist, schlägt die Haustür auf und gleich wieder zu.
Einen Moment später steht Julikas Mutter im Esszimmer, atemlos, aufgelöst. Ihre braunen Haare, die sie am Morgen noch sorgfältig aufgesteckt hatte, hängen ihr wirr um den Kopf, ihr Gesicht ist rot. Nur der Lidschatten ist nicht verschmiert, registriert Julika. Aber bevor sie den Gedanken weiterverfolgen kann, hat ihre Mutter herausgestoßen:
„Bello ist weg!“
„Wie? Bello ist weg“, fragt Julikas Vater irritiert und macht sich daran, die Ente zu tranchieren. „Was soll denn das heißen?“
„Was schon! Er ist weg, wie vom Erdboden verschluckt!“
Julikas