Schiffbruch. Andres Bruetsch

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Название Schiffbruch
Автор произведения Andres Bruetsch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783724525196



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seinen Nacken gekühlt hatte.

      «Grossartig», sagte er viel zu laut.

      «Obwohl oder weil Sie fast gescheitert wären?»

      «Es kann nur einer gewinnen.» Dazu lachte er jovial.

      «Und Sie wollen nun primär dafür sorgen, dass die Stadt, oder vielmehr die Industrie ihren Autobahnanschluss hat?»

      «Das hat oberste Priorität – richtig. Allerdings nicht primär wegen der Industrie, viel mehr wegen unseren Bürgerinnen und Bürgern.» Patrick war gelandet, wo er sich sicher fühlte.

      «Ah ja, nun, dann wünschen wir Ihnen viel Glück. Eine ganz andere Frage: Wie Sie wissen, sucht die Polizei fieberhaft nach dem Fahrer des Motorboots, welcher den Unfall gestern Abend verursacht hat. Nun wird der Ruf stark, die 0.5 Promille auch auf dem See einzuführen. Was halten Sie davon?»

      «Ich würde das befürworten. Egal ob Strasse oder Wasser, man hat die gleiche Verantwortung. Und wer alkoholisiert ein Auto oder ein Schiff fährt, wird dieser Verantwortung nicht gerecht.»

      «Vielen Dank, Herr Regierungsrat und noch viel Spass bei Ihrer Wahlparty.»

      Patrick sackte auf einen Betonsockel, der eigentlich das Gehäuse der Lampe war, die die einzelne Stufe zwischen Veranda und Terrasse beleuchtete. Die breite Stufe, über die vor vier Jahren Frau Dr. Grob, die Direktorin des Kunstmuseums, gestolpert war, was sie Patrick kürzlich wieder vorgehalten hatte. «Die Schulter spüre ich heute noch», beklagte sie sich. Dabei war sie an diesem Abend zumindest angeheitert gewesen. Jedenfalls, als Folge dieses Treppensturzes hatte Ernst eine zum Haus passende Lampe entworfen und installieren lassen.

      An all das erinnerte sich Patrick jetzt nicht. In seinem Kopf hörte er, als wäre es eine Endlosschlaufe: «Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Fahrer des Motorboots.»

      Da war er wieder – sein heisser Nacken. Zudem fühlte sich Patrick nicht mehr geschützt, viel eher eingesperrt, als sässe er in einer transparenten Ballonhülle, die ihn geradezu zur Schau stellte und die jeder leichtsinnig aufstechen konnte. Sein Blick war vernebelt, akustisch schien alles gefiltert. Lediglich das unkontrollierte, viel zu laute Niesen des dicken Herrn Lautenschlager mit seinem roten Gesicht drang wie ein Brüllen zu ihm vor.

      «Gutes Interview. Gutes Interview – Patrick??» Das war Bernauer, der Präsident des Yachtclubs. «Gutes Interview», sagte er zum dritten Mal.

      Patrick hatte ihn endlich gehört, stand auf und sah Guido Bernauer vor sich. Er trug ein weisses T-Shirt, einen marineblauen Blazer, dazu in gleicher Farbe zu enge, halblange Hosen und blaue Espadrilles.

      «Wirklich?», fragte Patrick.

      «Ja – war gut. Wobei ich da mit den 0.5 Promille auf dem Wasser meine Mühe habe …»

      «Ah ja …»

      «Nur weil irgendein Idiot einen halb zu Tode fährt … und wer sagt eigentlich, dass der alkoholisiert war?» Die Polizei habe ihn bereits nach Besitzern von Holzbooten ausgefragt, fügte er an.

      Patrick war alarmiert. Was die wissen wollten, fragte er möglichst beiläufig.

      «Sie wollten wissen, welche Namen hinter den registrierten Holzbooten stecken», sagte Bernauer. «Du weisst ja – da gab’s genau an diesem Abend wegen dem ‹Barrique-Treffen› mehr als zwanzig, allein im oberen Seebecken.» «Mindestens…», fügte Patrick an.

      Vor Mitternacht waren alle Gäste gegangen. Aline verabschiedete sich von Patrick, sie sei todmüde, vor allem, wenn sie daran denke, dass morgen bereits um sieben Uhr Frau Herrmann auftauchen würde. Patrick dankte Aline für den grossartig organisierten Abend – «sehr geschmackvoll, wie immer».

      Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss und verschwand.

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      Jetzt war er alleine in den offenen Räumen mit den grossen, schwarzen Fensterflächen. Wohnzimmer und Veranda wirkten fahl, allerorten standen leere und halbleere Gläser herum, Essensreste lagen unappetitlich auf Tellern, am Boden zwei, drei zerknüllte Servietten. Patrick nahm irgendein halbvolles Glas und setzte sich in einen Stuhl auf der Veranda.

      Er war in einem merkwürdigen Zustand, elend müde und gleichzeitig furchtbar nervös. Den Abend hatte er kaum wahrgenommen, mit Ausnahme des Interviews und der beiläufig daher geplauderten Aussage von Bernauer: «Die Polizei war schon bei mir.»

      Das hiess, in wenigen Stunden könnten die Fahnder dastehen … Er musste sofort handeln, sofort. Er war als Bootsbesitzer registriert und unzählige gab es nicht, die in der Gegend ein Holzboot von dieser Grösse hatten. Dass zufällig das Oldtimer-Treffen stattgefunden hatte, konnte die Recherchearbeit verzögern, war also ein Glücksfall. Und sein Boot lag nicht im Wasser, sondern bei Piccinonno in der Halle. Das allerdings und die Tatsache, dass Piccinonno auf Sardinien am Strand lag, würde die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht bremsen. Sie würden sich Zutritt verschaffen, egal wie und sofort mit der Spurensuche anfangen. Der zerkratzte Rumpf allein sprach Bände, obwohl er mit seinem Manöver im Schilf einiges verwischen konnte. Doch da gab es Hinweise am und auf das andere Schiff, das kleine, das ihm im Weg gestanden hatte – er wusste nicht mal was es war? Ein Faltboot, ein Ruderschiff, ob Plastik oder Holz, welche Farbe? Was hatte Piccinonno gesagt, ein Kajak? Jedenfalls kein Gummiboot, da war er sicher, so wie der Aufprall getönt hatte.

      Er durfte nicht zuwarten.

      Aline war bestimmt schon eingeschlafen, so müde, wie die aussah. Und Lena schlief auch – jedenfalls kümmerte es sie nicht, wo er war.

      Er musste jetzt gehen, sofort. Und so schlich er sich aus dem Haus. Als Erstes in die Garage, wo sich allerhand Gerümpel ansammelte, wo er aber auch sämtliches Werkzeug aufbewahrte. Hier fand er, was er brauchte. Seinen alten Overall, die Schleifmaschine, eine Taschenlampe und vor der Garage Lenas Velo.

      Eine halbe Stunde später stand er im Overall unter der «Aurora» in der sonst leeren Halle im Niemandsland. Er hatte eine farbbekleckerte Baustellenlampe gefunden und sie, um die Halle weitgehend dunkel zu halten, nahe unter das Schiff gestellt. Er begann den Rumpf abzuschleifen. Sorgfältig, so wie es Piccinonno auch getan hätte.

      Letztlich spritzte er mit einem Industrieschlauch das Boot und den Boden sauber. Arg durchnässt stieg er auf das Velo und es wurde schon hell, als er den feuchten Overall zu Hause in der Garage an den Haken hängte. Patrick schlich zurück ins Haus und bemühte sich, möglichst schlank zu Aline ins Bett zu schlüpfen. Sie wachte trotzdem kurz auf – «wo warst du?» Ohne seine Antwort abzuwarten, schlief sie weiter.

      3

      Samstag

      Sabine Herrmann hatte sich auf sieben Uhr angemeldet, um zusammen mit ihrem Mann Robi und zwei Helfern die Sachen aufzuräumen. Lena hatte ihrerseits gestern bei ihrer Unterhaltung angeboten, dabei zu helfen – sie hätte ja Zeit und sei nicht ganz ungeschickt. Schliesslich sei sie momentan vor allem im Gastgewerbe tätig, hatte sie Sabine gestern erzählt.

      Es ging schnell und leere Flaschen, Geschirr, Besteck und all die Tischwäsche waren weggeräumt. Bald blieben nur die Stehtische und ein paar Stühle, die in den Camion mussten. Nicht einmal der Gestank von kaltem Zigarettenrauch erinnerte an den gestrigen Abend – das war vor acht Jahren noch anders gewesen, erinnerte sich Lena. Zum Schluss, versicherte Sabine, werde alles sauber gemacht, die Putzequipe sollte um zehn Uhr hier sein.

      Aline kam später dazu und schob Möbel und einige Gegenstände wieder dorthin, wo sie ihrer Meinung nach hingehörten. Alles hatte seinen Platz in ihrem Haus.

      Die kleine Crew um Sabine verabschiedete sich, als Patrick in halboffenem Hemd und barfuss in der Küche auftauchte.

      «Bist du sicher, dass nirgendwo Scherben herumliegen?», fragte Aline, während sie sich den zweiten Kaffee zubereitete.

      Nach kurzer Zeit kam Patrick mit rotgestreiften Schlappen zurück, trank drei, vier Gläser Wasser und machte sich seinerseits einen