Название | Schiffbruch |
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Автор произведения | Andres Bruetsch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783724525196 |
Der Vorname Ivan passte nicht zu Piccinonno. Nicht zu ihm als Erscheinung und nicht zu seinem italienischen Familiennamen.
Dass Patrick solchen Gedanken nachhing, gab ihm für einen Moment die Gewissheit, dass sich seine Gemütslage beruhigte.
Ivan hatte den gerüstartigen Hafentrailer über die Rampe bereits so weit ins Wasser gefahren, dass man das Schiff mit dem Tau problemlos zwischen die beiden Böcke ziehen konnte, die das Boot an Land stützten.
Mit seinem Traktor zog Piccinonno die eingedrückte «Aurora» zum Liegeplatz, der während der Sommerzeit fast unbenützt blieb. Es war noch immer früher Morgen und die Sonne versteckte sich scheu hinter den hohen Pappeln, die das weite Gelände abgrenzten.
«War wohl Vollmond gestern», scherzte Ivan und kuppelte routiniert den Trailer ab. «Du kollidierst mit der eigenen Bootshütte, ein anderer überfährt einen verliebten Kajakfahrer …»
«Gestern?», tat Patrick überrascht.
«Ja. Kurz vor Mitternacht … in der Schwanenbucht, gleich beim Strandbad.» Mehr wisse er nicht, er hätte da etwas am Radio gehört.
«Verletzte?», fragte Patrick.
Offenbar sei ein Mann verletzt worden, Genaueres wisse er nicht. Ivan fotografierte mit dem Handy den Rumpf der «Aurora».
«Was machst du da?», wollte Patrick wissen.
«Versicherung – die brauchen Bilder …»
«Was – Versicherung … vergiss das. Mein Fehler, also bezahle ich auch.»
«Das wird teuer – aber wie du meinst.»
«Fängst du gleich an mit der Arbeit?»
«Ja, gleich nach den Ferien, habe ich dir doch gesagt am Telefon. Oder willst du selber schon mal anpacken? Ich weiss ja, wie gerne – und zugegeben nicht mal schlecht – du an deiner hölzernen Lady herummachst …»
«Das hast du mir beigebracht», lachte Patrick. «Nein, ich habe keine Zeit – im Herbst dann wieder.»
«Lässt du das Schiff hier draussen?», wollte Patrick wissen.
«Warum nicht? Das liegt doch hier bequem», meinte Piccinonno bereits in bester Ferienlaune.
Er, wandte Patrick ein, möchte allerdings, dass es nicht grad so in der Öffentlichkeit herumstehe, man kenne ihn, man kenne das Boot … und, ihm sei das peinlich.
«Das war ein Scherz», lachte Ivan. Natürlich werde er das Boot in die Halle fahren. Eine «Beauty» wie die «Aurora» lasse man doch nicht auf einem verwaisten Platz herumliegen. Zudem stehe die Halle im Sommer meist leer und unnütz herum.
Er solle nicht vergessen, gleich auch das «Unterwasser» zu machen, ergänzte Patrick. So müsse man das im Herbst nicht nachholen.
«Ah, da kommt Lena!», freute sich Ivan, als er sie auf dem Velo in das Gelände einbiegen sah. Weniger erfreut zeigte sich Patrick.
«Wo ist das Auto?»
«Mama hat ihr Auto mitgenommen und mit deinem fahre ich nicht, weisst du ja.» Lena gab Piccinonno einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. «Long time no see», lachte Lena.
Sie schaute sich flüchtig das havarierte Boot an.
«Dann warst also doch du das, der gestern Nacht in das Bootshaus krachte.»
«Wieso doch? Hat dir Mama etwas erzählt?»
«Nein, ich war im Schilf und hab’s gehört.» Patrick stutzte einen Moment. Dann:
«Ah, im Schilf, wirklich – ja. Dumm gelaufen, irgendwas war da mit dem Gaskabel …»
Er wusch sich flüchtig die Hände im Seewasser, blickte dabei über die Schulter zu Lena und bemerkte: «Nur, wie komme ich jetzt zu meiner Sitzung? Um neun muss ich dort sein.»
«Da, nimm’ das Velo, ist für dich, ich gehe zu Fuss … habe ja Zeit.»
Patrick griff kopfschüttelnd zum Handy.
«Was soll der Blödsinn! Ich bestelle ein Taxi …»
Bis ein Taxi hier sei, wäre er allerdings mit dem Velo längst in der Stadt, erlaubte sich Ivan zu sagen.
Man sah Patrick an, dass er sich das Szenario in der Werft ganz anders vorgestellt hatte. Er schob die Zähne über die Unterlippe und verzog die Augenbrauen. So, wie er es immer tat, wenn irgendetwas anders ablief, als er es wollte, dachte Lena.
Schliesslich fasste er sich, entschied sich doch für das Velo, stieg eher unbeholfen auf und meinte:
«Dann also … schöne Ferien, Ivan. Und, eh, wann kommt das Schiff in die Halle?»
«Noch heute Morgen, Du kannst dich beruhigt auf den Weg machen.» Patrick verabschiedete sich hastig und radelte los.
«Es könnte regnen», tröstete er sich und versuchte mit den Gängen zurechtzukommen, und «zum Glück ist es erst halb neun und noch angenehm kühl». Viel schlimmer wäre es, wenn er in der Mittagshitze mit verschwitztem Hemd vor dem Regierungsgebäude ankeuchen würde. Er glaubte sie zu hören, die zynischen Kommentare: «Ah – sportlich, Herr Girard, haben Sie die Partei gewechselt? Oder ist was mit Ihrem Fahrausweis?» Irgendwelche blöden Kommentare hätten ihm in seiner Verfassung gerade noch gefehlt. Doch jetzt, kurz vor neun, war noch niemand von den Medien vor dem Regierungsgebäude.
Andererseits, sagte er sich, wenn man ihn auf dem Velo sähe, wäre das nicht mal schlecht. Man musste ja nicht grün sein, um Velo zu fahren. Zudem, ein ökologisches Bewusstsein war ihm geblieben, auch wenn Ernst ihm das absprach.
«Dennoch», überlegte sich Patrick auf Lenas Velo: «Warum tut sie mir das an? Warum weist Lena mich auf diese Art zurecht, warum weigert sie sich geradezu sektiererisch – und das erst seit ein paar Monaten – mein Auto zu fahren. Hat das mit diesem Gabriel zu tun?»
«Wieso brauchst du so ein Riesenauto?» Was für eine Frage? Das hätte sie doch früher nie gekümmert.
«Egal», dachte er. Beunruhigend war vielmehr, dass Lena ihn gestern Abend beobachtet hatte.
Was genau hatte sie gesehen? Und, dass sie jetzt mit Piccinonno alleine um das Schiff herumschlich, regte Patrick geradezu auf. Vermutlich schauten sie sich gemeinsam den Schaden am Bug an, dann den zerkratzten Rumpf und würden sich fragen, was da wirklich passiert war.
Für einen Augenblick packte Patrick der Gedanke, in die Werft zurückzufahren. «Ach was», beruhigte er sich und trat umso entschlossener in die Pedale.
Lena half Ivan beim Manövrieren des bockigen Trailers, auf dem schwer die havarierte «Aurora» lag. Lena wies ihn ein, stellte da und dort ein Hindernis zur Seite, sodass Ivan das lange Holzschiff Heck voran in die Halle rollen konnte. Er koppelte den Anhänger ab und überprüfte die Bremsen.
«Hast du eigentlich den Motorbootschein?», wollte Ivan wissen. Lena verneinte.
Sie hatte einen Segelschein, aber keinen, der ihr erlaubte, das schwere Motorboot zu steuern.
«Warum fragst du?»
«Weil der Boden arg zerkratzt ist, als wäre jemand auf Grund gefahren und nicht mehr weggekommen.»
«Aha», lachte Lena, «und da denkst du, das kann nur eine Frau sein … Macho, du.»
«Dein Vater kennt doch den See in- und auswendig … ihm würde ich das wirklich nicht zutrauen.»
Ivan und Lena schauten sich den Rumpf an. Tatsächlich sah er im hinteren Teil malträtiert aus. Die Epoxid-Beschichtung war zerkratzt, stellenweise bis auf das Holz. Ivan fotografierte den Schaden.
Wenig später schleppte er eine