Schiffbruch. Andres Bruetsch

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Название Schiffbruch
Автор произведения Andres Bruetsch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783724525196



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      ANDRES BRUETSCH

      SCHIFF

      BRUCH

      UND WAHRHEIT

      ROMAN

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      Alle Rechte vorbehalten

      © 2021 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel

      Projektleitung: Jeannine Wanner

      Korrektorat: Daniel Lüthi

      Cover und Layout: Romana Stamm

      eISBN 978-3-7245-2519-6

      ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2454-0

      Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

       www.reinhardt.ch

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      Inhalt

       1 Donnerstagnacht

       2 Freitag

       3 Samstag

       4 Sonntag

       5 Montag

       6 Dienstag

       7 Mittwoch

       8 Donnerstag

       9 Freitag

       10 Samstag und Sonntag

       11 Montag

       12 Dienstag

       13 Mittwoch

       14 Donnerstag

       15 Freitag

       16 Samstag

       17 Sonntag

       18 Montag

       19 Später

       Quellenangaben

       Autor

       Dank

      Schicksalsschläge lassen sich ertragen –

      sie kommen von aussen, sind zufällig

      Aber durch eigene Schuld leiden – das ist der

      Stachel des Lebens.

       Oscar Wilde (1854–1900) Aus: Lady Windermeres Fächer, 1892 (Lady Windermere’s Fan: A Play About a Good Woman)

      1

      Donnerstagnacht

      Für Lena war es immer wieder ein Abtauchen in eine Welt, in der es Unwahrheit nicht gab. Nachdem sie das winzige Mikrofon im sumpfigen Boden des Seeufers verankert hatte, stülpte sie sich die Kopfhörer über und verschwand für gut zwanzig Minuten im nachtschwarzen Wasser. Sie tat dies nicht wie eine Taucherin, umgeben von Atemgeräuschen und aufsteigenden Luftblasen. Lena gesellte sich lautlos und unsichtbar zu den Hechten, hörte ihre kräftigen Bewegungen und glaubte manchmal, einen grummelnden Wels zu vernehmen. Sicher war sie, die wendigen Flussbarsche an ihrem Geräusch zu erkennen, wie sie in flinker Art durch das Wasser pfeilten.

      Um in diese Welt zu entfliehen, brauchte sie kein Auto, kein Flugzeug, es reichten ihr wenige Schritte vom Haus ihrer Eltern zum Seeufer. Dank der hochwertigen Instrumente, die sie sich mit dem Lohn als Aushilfe-Kellnerin im Seerestaurant «La Veduta» gekauft hatte, stand ihr ein unermesslich weites und vielfältiges Universum offen. Vor allem nachts, wenn der Verkehr ruhte, die Menschen schliefen und somit ihre Autos und anderen Maschinen stillstanden. Dann, wenn sich die meisten ihrer Freundinnen und Freunde virtuell im Cyberspace unterhielten und bewegten.

      Kaum jemand wusste von ihrer stillen Passion. Ihre Mutter, ja, sie hatte ihr das fehlende Geld für die Unterwasser-Mikrofone, die sogenannten Hydrofone, zugesteckt.

      Ihr Vater hätte es wissen können, wenn es ihn überhaupt interessiert hätte, wenn er Zeit gehabt hätte, wenn er sich um sie gekümmert hätte, nebst seiner politischen Arbeit, seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Ja, vielleicht hätte es ihn dann sogar fasziniert, konnte sich Lena vorstellen.

      So, wie sie sich ein ganz anderes Verhältnis zu ihm hätte vorstellen können. Sie wusste nicht, was für eines, aber sicher ein anderes als das, wie sie es jetzt hatte. Auch ein anderes, als er es sich gewünscht hätte, wie Lena vermutete.

      Was hatte er sie verwöhnt als kleines Mädchen, sie beschenkt, sie geherzt. Nichts blieb Wunsch, alles wurde gleich umgesetzt, wurde real. Spielzeug, Kleider, ein neues Board, andere Tapeten für ihr Zimmer, ein kleines Segelboot, alles stand da, lag vor ihr, war schon passiert – oft, bevor sie die Möglichkeit gehabt hätte, den Wunsch zu äussern. Er sagte zu ihr: «Das magst du doch … das wollen heute alle.»

      Einen Spielcomputer zum Beispiel, den sie nicht anrührte, oder, vor wenigen Jahren, ein Boxspring-Bett. Warum sollte sie ihr Bett nicht mehr mögen? Aber das neue stand schon in ihrem Zimmer und das alte war entsorgt, als sie nach Hause kam. Dazu strahlte er und umarmte sie. Als sie enttäuscht, gar verärgert reagierte, dass er über ihr Bett verfügt hatte, ohne sie vorher zu informieren, zeigte er sich beleidigt. Sie hätte doch die ganze Zeit von ihrer Freundin Sandra und ihrem tollen Boxspring-Bett erzählt.

      Am schlimmsten waren für Lena Auftritte bei politischen Veranstaltungen. Weil sich ihre Mutter aus guten Gründen seit Jahren weigerte, die adrette und gleichzeitig gebildete Gattin des charmanten Regierungsrats zu mimen, musste Lena nach aussen die intakte Familie verkörpern. So hatte sie dem jungen Pianisten, der das kantonale Stipendium gewonnen hatte, den Blumenstrauss zu übergeben, oder dem Rektor – der zu jener Zeit gleichzeitig ihr Mathematik-Lehrer war – den Schlüssel zur neuen Turnhalle zu überreichen.

      Je älter sie wurde, je hübscher und fraulicher sie sich entwickelte, umso lieber schien ihr Vater, der Regierungsrat, sie an seiner Seite zu sehen. Bis sie sich weigerte. Nicht nur weil sie, wie sie ihm etwas grob sagte, keine Lust mehr verspürte, als Maskottchen