Der Bruch. Doug Johnstone

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Название Der Bruch
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392215



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blauen Schatten über ihr Gesicht.

      Tyler schob sie richtig rum aufs Bett und deckte sie wieder zu. Sie schlief immer sehr unruhig und würde sich wahrscheinlich sowieso in spätestens fünf Minuten wieder frei gestrampelt haben, aber es war gut zu spüren, dass man irgendwas tat. Ihr Mund war schlaff und sie atmete ein wenig rau, während sie sich an ihr Kuscheltier schmiegte. Tyler starrte sie lange an, dann ging er und zog hinter sich die Tür fast ganz zu.

      Er verließ die Wohnung, ging den Korridor entlang und zog die Leiter zum Dach herunter. Stieg hinauf und saugte in tiefen Zügen die kalte Luft ein, als er oben die Tür öffnete, ging dann an die westliche Kante und schaute hinunter. Sechsundvierzig Meter bis zum Boden. Hoch genug.

      Er blickte hinaus. Schon komisch, dass diese beiden Gebäude als einzige stehen gelassen worden waren, wie zwei Späher, die die Augen nach Ärger aufhielten. Er sah zu den Lichtern des Krankenhausgeländes hinüber. Er fragte sich, ob sie wohl schon dort war, von einem Krankenwagen in die Notaufnahme gebracht, vorbei an den Fußballverletzungen und den Opfern häuslicher Gewalt, den verstauchten Knöcheln und allergischen Entzündungen. Bereits versorgt. Oder vielleicht hatten sie ihm ja auch nicht geglaubt, dachten, es wäre nur ein Telefonstreich, und hatten sich nicht weiter gekümmert. Er hatte null Ahnung, welche Verhaltensregeln die hatten.

      »Tyler?«

      Bean stand hinter ihm an der Zugangstür, den Panda im Arm.

      Er ging zu ihr. »Wieso bist du auf?«

      »Ich hatte einen bösen Traum«, sagte sie mit gerunzelter Stirn. »Barrys Hunde waren hinter uns her. Sie haben dich verjagt und ich konnte dich nirgends finden.«

      Er hob sie hoch und streichelte ihren Kopf.

      »Ist nur ein blöder Traum.« Er trug sie zurück die Leiter hinunter und lächelte sie beruhigend an.

      »Aber es hat alles so echt gewirkt«, sagte sie.

      Er spürte die Anspannung in ihrem Körper, aber sie ließ bereits nach.

      Er sprach ruhig weiter. »Keine Angst, mich wird nie irgendwas von dir verjagen können.«

       7

      Er war bereits wach, als der Wecker losging. Ein paar Sekunden lang starrte er sein Telefon an, dann schaltete er den Ton aus. Bean lag ausgestreckt neben ihm und warf ihren Arm über seine Brust. Er nahm ihn weg.

      Nachdem sie oben auf dem Dach gewesen war, hatte er sie wieder ins Bett gebracht, wo sie sofort einschlief, doch als sie dann um halb vier wieder aufwachte, war sie zu ihm gekommen und hatte ihm von einem weiteren schlechten Traum erzählt. Ein dunkles, schemenhaftes Monster hatte Tyler vor ihren Augen in Stücke zerrissen. Immer dasselbe, böse Mächte trennten sie beide voneinander. Man musste kein Genie sein, um herauszufinden, woher das kam. Tyler hatte seine Bettdecke angehoben, und sie war zu ihm gekrochen, mitsamt Panda, und nach wenigen Minuten schlief sie wieder ein, während er ihren Kopf streichelte. Es war ihm viel zu warm mit ihr so dicht neben sich, also schob er die Decke fort, war innerlich völlig außer sich und grübelte über alles nach. So blieb es, während der Himmel draußen heller wurde, und nun war’s Zeit zum Aufstehen.

      »Aufwachen«, sagte er und rieb Beans Nase. »Du musst dich für die Schule fertig machen.«

      Sie schlug die Augen auf und lächelte. »Du bist hier.«

      »Wo sollte ich denn sonst sein?«

      Er stand auf, zog eine schwarze Hose an und die Vorhänge zurück. Es war ein wolkenloser Morgen, die Sonne am Osthimmel bereits auf halber Höhe. Er war froh, dass sich sein Zimmer auf der Rückseite der Wohnung befand, bedeutete das doch, dass er von hier aus das Krankenhaus nicht sehen konnte.

      Er hatte auf seinem Telefon die Nummer der Notaufnahme herausgesucht, als er vorhin noch im Bett lag, und sein Daumen schwebte über dem Anrufen-Button. Aber wie sollte das laufen? Er kannte ihren Namen nicht. Und wenn er sie beschrieb, belastete er sich selbst.

      Bean stand auf, rieb sich ein Auge, schleifte Panda an einem Ohr mit.

      Tyler lächelte. »Deine Schuluniform wartet auf dich in deinem Zimmer.«

      »Kannst du mir mit der Strumpfhose helfen?«

      Er stöhnte übertrieben. »Na schön, aber du bist eine große Siebenjährige, und du solltest das auch allein können.«

      Er hasste es, ihr bei der Strumpfhose zu helfen. Er konnte machen, was er wollte, nie war es bequem, nie war’s so ganz richtig, und sie veranstaltete immer ein albernes Tänzchen, wenn sie sie hochzog und dann wieder aus der Poritze zupfen musste.

      Er zog den Rest seiner Klamotten an, dann half er ihr, und schließlich gingen sie zusammen ins Wohnzimmer und zur Kochnische. Angela war nicht da, also hatte sie es irgendwie ins Bett geschafft. Tyler war froh. Sie so zu sehen, war nicht gut für Bean, egal wie viel Bockmist er ihr darüber erzählte, dass Mum sich nicht gut fühlte. Sie war ein kluges Mädchen und wusste genau, was los war. Wenn man hier aufwuchs, wurde man entweder schnell erwachsen oder abgehängt. Drogensüchtige und gewalttätige Eltern gab es in diesem Viertel überall, drei Generationen kaputter und ausrangierter Loser von vorne bis hinten. Über die Hälfte der Kids in Beans Klasse hatten nur einen Elternteil, und die Hälfte von denen wiederum galt als gefährdet.

      Tyler dachte an die Frau auf dem Boden, an ihr Kind. Das Zimmer ihres Sohnes war voller Teenager-Kram. Wie viel einfacher war das Leben für sie, weil sie Geld hatten. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sich diese Frau vor den Augen ihres Sohnes einen Schuss setzte, so wie es Angela jahrelang vor seinen Augen getan hatte. Er hatte so oft versucht, ihr zu helfen. Aber ab einem bestimmten Punkt mussten die Leute selbst Verantwortung für sich übernehmen, oder? Er konnte keine Zeit mehr für seine Mutter verplempern, er musste dafür sorgen, dass Bean behütet war, dass sie unversehrt in die Schule und zurückkam. Und dass sie so weit wie möglich von den beiden nebenan ferngehalten wurde.

      Er holte eine Packung Aldi-Shreddies aus dem Schrank, roch an der Milch aus dem Kühlschrank. Fand eine saubere Schale und wusch an der Spüle einen Löffel ab, stellte dann alles auf die Frühstücksbar. Bean hatte den Fernseher angemacht und er ließ sie Zeichentrickfilme sehen, während sie geräuschvoll mampfte und schlürfte. Sich selbst machte er Toast, klaubte ein paar Schimmelstellen von der Kruste und schnipste sie in den Mülleimer. Er packte seine und Beans Schultasche. Sie bekam Gratis-Mittagessen, das war also schon mal was. Er erinnerte sich wieder an das Geld in seiner Hose und berührte den Rand der Scheine. Das war der sicherste Platz dafür. Wenn Barry herausfand, dass er sich was einsteckte, setzte es wieder Prügel.

      Im Fernsehen lief jetzt eine Sendung, in der ein Zeichentrickjunge im Haus einer echten Familie wohnte. Aus irgendeinem Grund waren es Nordiren. Er brachte sie immer irgendwie in Schwierigkeiten, aber am Ende der zehnminütigen Sendung war alles wieder gut, die glückliche und liebevolle Familie, Mum, Dad und Schwester, umarmte ihn heftig. Tyler war froh, dass es in Beans Leben so was gab, denn da hatte sie wenigstens ein echtes Ziel für ihr Erwachsenenleben statt all der Scheiße um sie herum.

      »Können wir noch zu Snook und den Babys?«, fragte Bean mit Milch auf dem Kinn.

      Tyler verzog das Gesicht und sah auf die Uhr. »Wenn du dir ganz schnell die Zähne putzt.«

      Sie sprang vom Hocker und flitzte ins Bad.

      Er legte ihre Schale, den Löffel und sein Messer ins Abwaschbecken, spülte alles ab und stellte es aufs Abtropfbrett. Er holte etwas zu essen für Snook aus dem Schrank und verstaute es in seiner Schultasche.

      Er drehte sich um und starrte das Kopfkissen und den Bettbezug mit der Beute an, die immer noch auf einem Haufen in der Ecke des Zimmers lagen. Bean hatte nicht danach gefragt. Ihm fiel die Polaroidkamera von dem ersten Bruch des Vorabends ein und er nahm sie heraus.

      »Fertig«, rief Bean von der Tür her. Ihre Uniform war schmuddelig, die Strumpfhose ziemlich dünn an den Knien, und er wusste, dass sich zwischen den Beinen ein kleines Loch befand, das man jedoch nur dann sehen konnte, wenn sie ein Rad schlug. Der Pullover