Der Bruch. Doug Johnstone

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Название Der Bruch
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392215



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die andere Richtung Arbeitszimmer. Diese großen Häuser hatten so viel Platz, dass Tyler sich fragte, wie man sich daran gewöhnen konnte. Er stellte sich die Wohnung vor, die er sich mit Mum und Bean teilte. Wenigstens waren sie drei allein, nachdem Barry und Kelly die Wohnung nebenan übernommen hatten. Davor war es unerträglich gewesen, man latschte sich permanent gegenseitig auf die Füße. Und es war auch eine große Erleichterung, Bean aus dem Dunstkreis der beiden herauszubekommen. Sie war nicht sicher in ihrer Gegenwart.

      In einem Schrank am Kopfende der Treppe fand er einen Kissenbezug, blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Schnupperte. Er fragte sich, ob man Reichtum riechen konnte. Vielleicht roch er ganz genau so, nach Sandelholz nämlich und Bohnerwachs. Überall Hartholzböden, ein teurer Läufer über die gesamte Länge des Flurs. Kein Teppich bedeutete mehr Knarren und Quietschen, aber das spielte keine Rolle, war tatsächlich sogar hilfreich. Falls die Besitzer zu Hause waren, war es schwerer für sie, sich an ihn anzuschleichen.

      Elternschlafzimmer. Er ließ den Strahl der Taschenlampe seines Telefons durch den Raum wandern. Er sollte sich wirklich eine dieser Stirnlampen besorgen, die man sich um den Kopf schnallte, um beide Hände frei zu haben, solche wie Bergwanderer und Läufer sie benutzten. Er hatte es Barry schon mal vorgeschlagen, der aber darauf nur lachte und ihn als Schwuchtel beschimpfte.

      Das breite Doppelbett hatte lila Laken, unendlich kitschig, passte so überhaupt nicht zum Rest des Hauses. Das Zimmer mit dem Erkerfenster war groß genug für zwei Spiegelkommoden in schlichtem skandinavischen Stil, eine für ihn, eine für sie. Tyler ging zuerst zur Kommode der Frau. Jede Menge Gold und Platin, Armreifen und Fußkettchen, Broschen und Ringe. Er wischte alles in den Kissenbezug, durchsuchte dann die Schubladen. Mehr davon. Diese Leute hier hatten echt kein Problem mit Geldausgeben.

      Rüber auf die Seite des Mannes. Drei protzige Armbanduhren obendrauf, die er einsteckte, mehr Ringe, schwer, wahrscheinlich aus massivem Gold. Auch hier mehr davon in den Schubladen. Wer brauchte denn sieben wertvolle Uhren? Manche Leute waren dumm, was Geld betraf. Wenn Tyler so viel Kohle hätte, würde er mit Bean in den Urlaub fahren, dahin wo die Sonne schien, an einen leeren Strand, wo in einer kleinen Hütte gebratene Hähnchen und eisgekühlte Getränke verkauft wurden. Raum und Zeit, das sollte man sich mit Geld kaufen, nicht Cartier und TAG Heuer.

      In der untersten Schublade der Kommode lagen sechs brandneue, noch nicht ausgepackte iPhones. Tyler runzelte die Stirn, als er sie in den Kissenbezug legte. Ergab keinen Sinn. Entweder war dieser Kerl wahnsinnig reich oder er führte irgendwas im Schilde.

      Er schaltete die Taschenlampe kurz aus und sah aus dem Fenster. Nur eine ruhige Straße im gedämpften gelben Licht der Laterne ein Stück weiter runter. Nirgends in diesem Block ein Schild mit Nachbarschaftswache drauf, aber das war ja sowieso meistens nur Bullshit. In einer Stadt wie Edinburgh, wo kein Mensch miteinander redete, war es schwer, unter Nachbarn ein ineinandergreifendes Sicherheitssystem zu organisieren. Noch schwerer in reichen Gegenden, wo viele Leute sowieso nur die halbe Zeit da waren.

      Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Fuchs trottete mit wippendem Kopf die Straße entlang, den Schwanz gerade, das Fell glänzend im gelben Licht. Er blieb stehen und schnupperte an einer Hecke, hob den Kopf, sah sich um, schien zu verharren und ihn direkt anzustarren. Konnten Füchse gut sehen? Konnte er Tyler hinter dem Fenster stehen sehen? Der Fuchs machte sich aus dem Staub, flitzte die Straße hinunter außer Sicht, und Tyler musste wieder an die Sache mit der Kampf-oder-Flucht-Reaktion denken.

      Er drehte sich um und schaltete die Taschenlampe wieder ein. Auf dem Nachttisch lag ein iPad, eine Gucci-Lesebrille oben drauf. In den Kissenbezug damit. Er öffnete die oberste Schublade und fand eine silberne Geldklammer mit reichlich Zwanzigern. Himmel. Er blätterte sie durch, schätzte, dass es alles in allem fünfhundert Pfund sein könnten. Barry würde begeistert sein. Cash war so viel problemloser als das ganze Gefeilsche mit dem Hehler. Tyler streifte einen Handschuh ab, zog fünf Zwanziger aus der Klammer, faltete sie und schob sie unter den elastischen Bund seiner Unterhose. Einmal, nach einem Bruch vor ungefähr drei Monaten, hatte Barry von ihm verlangt, die Taschen auszuleeren. In dieser Nacht waren sie leer gewesen, aber die Drohung war eindeutig. Tyler warf die Scheinklammer in den Kissenbezug und erkundete den Rest des Zimmers. Er fand noch einige weitere Schmuckstücke, allerdings billigeres Zeug als das vorhin.

      Wieder auf dem Flur konnte er Barry und Kelly unten hören, wie sie herumwühlten und schnüffelten, eine Schranktür wurde geöffnet und geschlossen, ein metallisches Scheppern. Die Geräusche eben, wenn das Leben von Leuten auf den Kopf gestellt wurde.

      Im nächsten Zimmer zog er das große Los. Ein Teenager, ein Gamer, mit einer Xbox One und einer PlayStation 4, jede Menge Spiele, Controller und Headsets sowie weitere Add-ons. Er ging zu dem Schrank im Flur, zog einen Bettbezug heraus, dann zurück ins Zimmer und füllte das Ding. Er sah sich um. Ein Poster der Hibs, die Siegermannschaft des Turniers um den Pokal, auf der gegenüberliegenden Wand ein Foto von Kim Kardashian, die ihren Hintern vorstreckt. Neben dem Bett stapelweise Motorrad- und Autoillustrierte, über den Boden verteilt die Standardkollektion an Trainingshosen, Turnschuhen und Hoodies. Es hätte Tylers Zimmer sein können, wenn er in einer Luxusbude leben würde und Geld wie Heu hätte. Er suchte nach Hinweisen, was für ein Typ der Junge war, fand aber nichts. Mädchen hatten mehr von solchem Zeug als Jungs. Ihre Namen als Lichterkette über dem Bett, Ausdrucke von Selfies mit BFFs an Moodboards oder hinter Spiegel gesteckt, Namen auf Tagebüchern. Tyler fand’s besser, wenn sie in Häuser mit Mädchenzimmern einbrachen, denn dann konnte er immer irgendeine Kleinigkeit als Geschenk für Bean mitgehen lassen. Außerdem war es beruhigender, sich in einem weiblichen Raum aufzuhalten, verglichen mit den Ballerspielen und Hotrods, dem Wrestling und Rugby in typischen Jungszimmern.

      Er ging weiter zum nächsten Zimmer, doch das war nur ein Gästezimmer, einfach möbliert, ein Bett und ein Schreibtisch, nichts, was sich mitzunehmen lohnte. Er kniete sich hin und sah unter dem Bett nach. Nichts. Ihm fiel ein, dass er das im Elternschlafzimmer nicht getan hatte, also ging er noch mal zurück, hockte sich hin und leuchtete mit der Taschenlampe.

      Er saß in der Hocke und starrte sehr lange hin.

      Schließlich streckte er die Hand aus und zog es heraus. Er hatte noch nie zuvor eine abgesägte Schrotflinte gesehen. Er hatte schon oft und viel mit Luftgewehren geschossen, auf unbebauten Grundstücken in der Nähe von zu Hause auf leere Coke-Dosen gezielt, aber das hier war eine andere Liga. Er legte die Taschenlampe hin und hob das Gewehr mit beiden Händen hoch, spürte sein Gewicht. Auf der Unterseite des Laufs ließ sich ein beweglicher Teil vor- und zurückschieben. Eine Pumpgun. Er musste an Call of Duty denken.

      Er wusste nicht, wie man nachsah, ob das Ding geladen war. Sein behandschuhter Finger glitt über den Abzug. Mit der Schrotflinte in der Hand stand er auf und betrachtete sich im Spiegel der Kommode. Richtete den Lauf der Flinte auf den Spiegel und schnitt eine Grimasse. Er schwang die Waffe herum, damit er sie im Profil sehen konnte, posierte wie ein Soldat, dann wieder zurück, hielt sie wie ein Scharfschütze, das Auge auf einer Linie mit dem Visier. Er kniete sich hin, wirbelte herum, stellte sich vor, wie Barry durch die Schlafzimmertür hereinrauschte und eine Ladung voll ins Gesicht bekam.

      Er hörte etwas. Von draußen. Räder auf Kies, ein Motor, der ausgeschaltet wurde. Das dumpfe Zuschlagen einer Wagentür, der Piepton einer Verriegelung.

      Er huschte zum Fenster. In der Einfahrt stand ein Auto und er sah flüchtig, wie jemand zur Haustür ging, eine Frau in Leggings und Turnschuhen.

      Scheiße.

      Er spitzte die Ohren. Er konnte Barry und Kelly unten hören, die immer noch das Wohnzimmer ausräumten. Sie konnten das Auto nicht gehört haben.

      Er sah sich im Spiegel. Immer noch mit der Schrotflinte in der Hand.

      »Fuck.«

      Er durchquerte hastig den Raum, warf die Waffe unters Bett, griff nach seinem Telefon und schaltete die Taschenlampe aus. Steckte es ein, schnappte sich den Bettbezug und das Kopfkissen, gefüllt mit Kram.

      Er stand am Kopfende der Treppe, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss der Haustür eingeführt wurde. Die Tür öffnete sich, das Licht im Flur ging an.

      Die Geräusche aus