Der Bruch. Doug Johnstone

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Название Der Bruch
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392215



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einen Zwischenabsatz hatte, konnte er von seinem Standort aus die Haustür nicht sehen.

      Sein Herz klopfte wie verrückt, seine Finger kribbelten. Er machte vorsichtige Schritte die Treppe hinunter. Schaffte es bis zum Zwischenabsatz.

      »Was verdammt noch mal …?«

      Die Stimme einer Frau, schrill, aber auch derb, nichts, was man in dieser Gegend erwartet hätte.

      »Was verdammt noch mal macht ihr da?«

      Er kam einige weitere Stufen herunter, konnte jetzt ihre Turnschuhe sehen, als sie in der Tür zum Wohnzimmer stand. Sie waren rosa und himmelblau, teure Skechers. Die Leggings waren dunkelblau, schmiegten sich um ihre schlanken Beine. Sie ging ins Wohnzimmer und die Füße verschwanden aus Tylers Blickfeld.

      »Keine Bewegung«, sagte Barry.

      Tyler ging noch ein paar Stufen hinunter, zögerte.

      »Droh mir nicht«, sagte die Frau. »Das hier ist mein Haus. Du hast ja keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast.«

      »Leg das Telefon weg«, sagte Barry.

      Tyler machte zwei weitere Schritte.

      »Wenn du nur einen Funken Grips hast«, sagte die Frau, »verschwindest du sofort aus meinem Haus. Und lass meinen Scheißkram hier. Was fällt dir überhaupt ein?«

      »Leg das Telefon weg«, wiederholte Barry. »Ich sag’s nicht noch mal.«

      Tyler erkannte etwas in seiner Stimme und spürte ein Kribbeln auf der Haut. Sein Magen war schwer wie ein Stein, der ihn nach unten zog. Er machte einen weiteren Schritt, konnte jetzt ins Wohnzimmer sehen. Bei eingeschalteter Deckenbeleuchtung wirkte alles viel zu hell. Die Frau stand unmittelbar hinter der Tür, ein Handy in der Hand. Barry näherte sich ihr mit langsamen Schritten, sah über die Schulter der Frau hinweg zu Tyler. Kelly stand etwas seitlich, bewegungslos wie eine Statue.

      Tyler machte einen weiteren Schritt, und die Xbox und das andere Zeug in dem Bettbezug schepperten gegeneinander.

      Die Frau drehte sich um und starrte Tyler an, hielt das Smartphone ans Ohr gedrückt.

      Sie trug eine dunkle Adidas-Trainingsjacke, den Reißverschluss hochgezogen, ihr rabenschwarzes Haar zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz gebunden, als käme sie gerade aus dem Fitnessstudio. Sie war etwa Mitte vierzig, schlank und durchtrainiert, hatte hohe Wangenknochen und Feuer in den Augen.

      Als sie Tyler ansah, stürzte sich Barry auf sie. Tylers Augen weiteten sich, als er sah, wie sich sein Bruder in Bewegung setzte, und die Frau begann, sich wieder umzudrehen, seinem Blick folgend, als Barry auch schon gegen sie krachte, die Hände niedrig auf ihrer Hüfte. Sie stolperte durch die Tür zurück, prallte mit der Schulter gegen den Türrahmen, hatte den Mund geöffnet, aber es kam kein Laut heraus. Sie ließ Telefon und Autoschlüssel fallen, warf Tyler einen verwirrten Blick zu und legte dann eine Hand in ihren Rücken. Sie hob die Hand vor ihr Gesicht, und sie war dunkel vor Blut. Sie griff nach der Türzarge, verfehlte sie und brach im Flur zusammen, schlug mit dem Kopf auf die Dielen wie ein Basketball.

      Hinter ihr stand Barry mit einem langen Küchenmesser in der Hand, die ersten sechs, sieben Zentimeter davon blutverschmiert. Kelly starrte Barry an, das Messer, die Frau auf dem Boden.

      »Fuck«, stieß Barry aus. Er ließ das Messer fallen. Das Scheppern hallte durchs Haus. »Lasst uns abhauen.«

      Er schnappte sich einen Stoffbeutel voller Zeug und drückte sich an der Frau vorbei. Tyler sah ihr Gesicht. Sie atmete, starrte die Fußbodenleiste an.

      Barry hob den Autoschlüssel auf, den die Frau fallen gelassen hatte, und warf ihn Kelly zu.

      »Den nimmst du«, sagte er. »Am gewohnten Ort.«

      Er schlenderte zur Haustür, als hätte er nicht gerade jemanden abgestochen.

      »Komm schon«, sagte er zu Tyler. »Und vergiss dein Zeug nicht.«

      Tyler nahm das Kopfkissen und den Bettbezug und kam die restlichen Stufen herunter. Barry und Kelly waren bereits draußen. Sie stand einfach da und starrte das Audi-Logo auf dem Autoschlüssel in ihrer Hand an.

      Tyler blieb in der Tür stehen und sah zurück.

      Die Frau hatte sich nicht gerührt, lag immer noch mit dem Oberkörper im Flur und den Beinen im Wohnzimmer. Er konnte den feuchten Fleck auf ihrem Rücken sehen, den schartigen Riss, wo das Messer den Stoff durchtrennt hatte. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber es kam nichts raus. Ihre Blicke schossen zu Tylers Gesicht, ein Muskel zuckte an ihrer Schläfe, dann sah sie wieder auf den Boden. Die Finger ihrer rechten Hand begannen zu zucken, so als versuche sie, auf etwas zu zeigen, dann sackte die Hand zurück.

      Tyler hob ihr Smartphone von der Stelle auf, wo sie es fallen gelassen hatte, und verließ das Haus, schaltete das Licht aus und zog die Tür hinter sich zu.

       5

      Tyler saß auf dem Beifahrersitz, Barry folgte der im Audi vorausfahrenden Kelly, beide mit etwa fünfzig, vor Temposchwellen bremsend und an Ampeln haltend. Tyler hätte am liebsten geschrien. Er spürte, wie die Frau ihn vom Boden aus anstarrte, ihr Blick leer. Während Barry fuhr, nahm Tyler das Telefon der Frau heraus. Es war nicht gesperrt. Er ging in die Einstellungen, deaktivierte die Ortungsfunktion, schaltete es dann aus. Sie befanden sich jetzt in Cameron Toll, womit das der letzte rückverfolgbare Ort war, bis es wieder aktiviert wurde. Sie fuhren Richtung Craigmillar, vorbei an der Abfahrt nach Niddrie, waren auf dem Weg zu Wee Sams Werkstatt in Pinkie, direkt hinter Musselburgh.

      »Ein echtes Prachtstück«, meinte Barry und deutete mit einem Kopfnicken auf das vor ihnen fahrende Auto. »Der bringt uns ein pralles Sümmchen.«

      »Scheiße, Barry.«

      Barrys Hände umklammerten das Lenkrad fester. Er biss die Zähne zusammen und schluckte schwer. Er fuhr schweigend weiter, bis sie am Fort vor einer roten Ampel halten mussten. Er zog den Schalthebel in Leerlaufstellung, betätigte die Handbremse und packte Tyler am Hals, stieß ihn gegen die Sicherheitsgurthalterung und würgte ihn. Tyler zerrte mit den Fingern an Barrys Hand, versuchte, den Hals frei zu bekommen, fand aber keinen richtigen Ansatzpunkt. Seine Luftröhre war blockiert, er röchelte, versuchte verzweifelt, Luft einzusaugen.

      »Vorhin in dem Haus ist absolut null passiert«, zischte Barry leise. »Hast du mich verstanden?«

      Tyler versuchte zu sprechen, bekam aber nur ein Keuchen heraus.

      Barry beugte sich ganz dicht zu ihm vor, ließ Tylers Hals immer noch nicht los. »Und? Hast du?«

      Tyler war schwindelig, das Licht am Rande seines Blickfelds flackerte. Er versuchte zu schlucken, konnte aber nicht. Aus seiner Nase löste sich ein Geräusch, ein Würgereflex in seinem Hals. Er nickte, soweit das möglich war mit Barrys Fingern, die sich unter seiner Kinnlade in den Hals gruben.

      Hinter ihnen hupte ein Auto. Barry lockerte den Griff, ließ aber noch nicht los. Tyler schnappte nach Luft. Barry drehte sich um, sah nach hinten. Ein Kerl in einem Toyota zeigte an ihnen vorbei auf die Ampel, die inzwischen auf Grün umgesprungen war. Kelly hatte die Kreuzung bereits überquert.

      Barry starrte den Mann in dem Auto hinter sich einen langen Herzschlag an, dann ließ er Tylers Hals los. Tyler japste und riss die Hände hoch, berührte die Haut an seinem Hals, während Barry einen Gang einlegte und losfuhr. Er entschuldigte sich bei dem anderen Kerl mit einer erhobenen Hand und beschleunigte, um zu Kelly aufzuholen. Er warf einen Blick in den Rückspiegel zu dem Auto hinter sich.

      »Schwanzlutscher«, schimpfte er leise.

      Tyler blinzelte benommen, versuchte, die Lichtpunkte loszuwerden, die vor seinen Augen tanzten. Er starrte nach vorn auf das Nummernschild des Audis, MH 100. Ein personalisiertes Nummernschild an einem Oberklasse-Audi, das noble Haus, die Frau auf dem Boden. Eine Schublade voller iPhones und Designeruhren, eine abgesägte Schrotflinte unter dem Bett. Nichts davon verhieß Gutes.