Der Bruch. Doug Johnstone

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Название Der Bruch
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392215



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hob die Hand. Die Schnittwunde über ihrem Handballen war ungefähr drei Zentimeter lang, aber nicht tief, und das Blut quoll auf der gesamten Länge hervor, während sie zuschauten. Nur ein Stück weiter unten und es hätte ihr Handgelenk erwischt, quer über die Vene.

      Er spürte, dass sie ihn beobachtete, spürte, wie er einen roten Kopf bekam.

      »Darf ich?«, fragte er.

      Sie hielt ihm ihre Hand hin, und er tupfte sie vorsichtig mit dem Geschirrtuch ab. Es fühlte sich komisch an, wie ein religiöses Ritual.

      »Ich glaube, es ist jetzt trocken«, sagte sie schließlich, und sein Gesicht fühlte sich noch heißer an.

      Er ließ das Geschirrtuch fallen, gab etwas Antiseptikum auf einen Wattebausch und ergriff ihr Handgelenk. Er hatte bei Bean schon so viele kleine Wunden versorgt, dass er genau wusste, was er tat.

      »Das wird jetzt brennen.« Er tupfte.

      »Oh verdammt!« Sie zuckte zusammen und zog ihre Hand zurück. Einen kurzen Augenblick berührten sich ihre Finger, dann hielt sie ihm wieder die Hand hin. Er tupfte sie ab, während sie scharf ein- und schwer ausatmete.

      »Meinst du, es muss genäht werden?«, fragte sie.

      Er schüttelte den Kopf. »Ist nicht tief.«

      Er maß ein Stück Verbandmull ab, schnitt es zurecht und legte den Anfang in die Beuge ihres Daumens. »Halt das fest.«

      Sie drückte einen Finger darauf. Er wickelte den Verband über den Handrücken und dann über den Schnitt, einmal ums Handgelenk und wieder hoch, prüfte dabei immer wieder, ob es stramm genug saß. Er fand eine kleine Sicherheitsnadel und fixierte den Verband.

      Sie hob die Hand, ließ die Finger spielen und ballte sie zur Faust. »Ich sehe aus wie ein Boxer.« Sie machte eine schnelle Folge von Geraden und täuschte dann einen Uppercut mit der anderen Hand an.

      »Wie willst du das erklären?«

      Sie sah ihn an. »Wem müsste ich es denn erklären?«

      Tyler zuckte mit den Achseln.

      Sie lächelte. »Ich werd einfach sagen, ich hätte an mir rumgeschnippelt, das machen an der Schule alle.«

      Sie deutete auf das Wappen an ihrem Blazer, ein dickes rotes Kreuz, eingefasst mit Blättern, und oben drüber was auf Latein. »Inveresk.«

      Das piekfeine Internat in Musselburgh. Er hatte noch nie einen Schüler von dort kennengelernt, sie hielten Distanz zu den anderen Kids der Stadt, allein schon, um Ärger aus dem Weg zu gehen. Die Schule war von hohen Steinmauern umgeben, und jede Menge Security sorgte dafür, dass die Einheimischen draußen blieben.

      Tyler las den Text auf ihrem Schulwappen. »Spartam nactus es, hanc exorna«.

      Sie verdrehte die Augen. »Irgend so ein uraltes Zeugs über Sparta. Wörtlich ergibt es überhaupt keinen Sinn, so was wie ›Sparta gehört dir, verschönere es‹. Heutzutage sagt man, es bedeutet so viel wie ›Entwickle deine Talente‹. Alles extrem motivierend.«

      Er versuchte, sich an das Motto seiner Schule zu erinnern, aber er war nicht mal sicher, ob sie überhaupt eines hatte.

      »Wie heißt du?«, fragte sie.

      »Tyler.«

      »Damit kann ich was anfangen.« Sie bot ihm ihre verletzte Hand an. Er nahm sie, drückte aber nicht zu, spürte den Unterschied zwischen ihrer glatten Haut und dem rauen Verband.

      »Ich bin Flick«, sagte sie. »Weil du mich ja nie fragen wirst. Eigentlich ist es Felicity, aber kein Mensch nennt mich so außer meinen Eltern, und die sehe ich nie.«

      Tyler schüttelte ihre Hand, bis es sich irgendwie blöd anfühlte.

      »Nett, dich kennenzulernen, Flick.«

      Sie ließ seine Hand los und sah sich theatralisch um.

      »Also, wieso bist du an einem Dienstagmorgen im Haus meines Ex-Freundes?«

      Er begann, die Sachen wieder in die Reiseapotheke zu räumen, dann zog er den Verschluss zu und legte sie zurück in die Schublade im Lagerraum.

      »Du bist der starke, stille Typ, ja?«

      Er kam zurück und lehnte sich gegen die Spüle. »Du bist hier diejenige, die eingebrochen ist.«

      »Du auch.«

      »Das weißt du nicht.«

      »Ich wette, ich finde dafür Beweise.«

      Tyler dachte an das offene Flurfenster oben, an die Leiter, die draußen an der Garagenwand lehnte. »Jedenfalls ist es nicht haufenweise Glas auf dem Läufer im Wohnzimmer und überall Blut.«

      Sie spitzte die Lippen, als wär’s ein Spiel.

      »Du bist keiner von Wills Freunden.«

      »Wer sagt das?«

      Sie musterte ihn übertrieben betont. »Weil du so ziemlich das genaue Gegenteil von diesem Drecksack bist.«

      Tyler hätte längst weg sein sollen, er hätte die Biege machen müssen, als er im Wohnzimmer das Glas zerbrechen hörte. Aber er war immer noch hier und genoss es, Flicks Gesicht anzusehen und den Schwung ihrer Hüfte, und er roch auch ihren Duft, irgendwas Zitroniges.

      Sie berührte die Spitze ihres Pferdeschwanzes. »Dann bist du also ein Dieb?«

      Tyler streckte die Hände aus. »Siehst du mich irgendwas klauen?«

      »Vielleicht hab ich dich ja auf frischer Tat erwischt.«

      »Ja, klar, du hast dich angeschlichen und mich in flagranti erwischt, obwohl du Fenster eingeschlagen hast und hier alles vollsaust.«

      »Okay, Klugscheißer.«

      Sie hatte einen vornehmen Edinburgh-Akzent, eine Stimme, wie man sie bei Nachrichtensprecherinnen oder Moderatorinnen im Frühstücksfernsehen hörte. Er hatte noch nie einen echten Menschen getroffen, der sich tatsächlich so anhörte. In ihrer Stimme lag ein Selbstvertrauen, das man bekommt, wenn man sich nie Sorgen machen muss, wie man an die Kohle fürs Essen oder den Saft aus der Steckdose kommt, solche Sachen hatte sie einfach nicht auf dem Schirm. Er nahm sich vor, später im Internet die Schulgebühren von Inveresk nachzusehen.

      Sie deutete mit dem Kopf Richtung Wohnzimmer. »Was ist mit der Musik?«

      Erst als sie es jetzt erwähnte, registrierte er, dass das Album immer noch lief, klassische Musik herüberdriftete.

      »Ist beruhigend.«

      »Du bist bei jemandem eingebrochen, um Klaviermusik zu hören?«

      »Hab’s doch schon mal gesagt, ich bin nicht eingebrochen.«

      »Wenn du das sagst.«

      Er trat einen Schritt zur Seite und nahm ein Geschirrtuch. »Wahrscheinlich sollten wir die Schweinerei beseitigen, die du veranstaltet hast.«

      Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Warum?«

      »Damit sie nicht merken, dass wir hier waren.«

      »Und was ist, wenn ich genau das möchte?«

      Er schüttelte den Kopf. »Das ist einfach nur dumm. Willst du verhaftet werden?«

      Sie dachte darüber nach. »Woran denkst du?«

      »Die zerbrochene Scheibe können wir nicht verbergen, also lassen wir das Glas und den Stein liegen, machen das Fenster zu und beseitigen sämtliche Blutspuren, das wäre das Wichtigste. Dann sieht’s vielleicht so aus, als hätte irgendein Idiot nur einen Stein durchs Fenster geschmissen. Videoüberwachung gibt’s hier nicht, also ist das kein Problem.«

      Er ließ unter dem Hahn Wasser auf das Tuch laufen und drückte es aus, dann machte er in der Spüle einen Lappen nass und gab ihr den.

      »Komm.« Er begann, den Weg zurückzugehen, den sie gekommen waren, die Augen