Der Bruch. Doug Johnstone

Читать онлайн.
Название Der Bruch
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392215



Скачать книгу

der zehnjährige Tyler versuchen müssen, Angela wieder einigermaßen nüchtern zu bekommen, bevor er sich auf den Weg zum Krankenhaus machte, damit sie ihr das Baby nicht gleich wegnahmen, wenn es kam. Er rief einen Rettungswagen, aber es hatte in der Gegend eine Serie von Überfällen gegeben, weswegen man sich weigerte rauszukommen. Geld für ein Taxi war nicht da, also marschierten sie über die Felder, ziemlich langsam wegen der Dunkelheit, und meldeten sich ohne Papiere in der Entbindungsstation. Zwei Stunden später wurde Bethany geboren, viereinhalb Pfund schwer, sechs Wochen zu früh, zweifellos wegen Alk und Drogen. Tyler war der Erste, der sie auf dem Arm hielt, seine Mutter völlig weggetreten im Tiefschlaf. Sowohl er als auch Bean waren klein für ihr Alter, etwas, das sie gemeinsam hatten. Eine Verbundenheit, stärker als alles, was sie für Angela empfanden.

      Er spürte, wie Bean auf seinem Schoß erschlaffte, ihre Arme schwer wurden, als die Müdigkeit sie überrollte. Er starrte zum Krankenhaus hinüber, in dem sie geboren worden war und das in der Nacht an ein leuchtendes Raumschiff erinnerte.

      Er hörte Schritte auf der Leiter hinter sich, dann das Geklapper der sich öffnenden Stahltür.

      »Dachte mir schon, dass ich euch Mädels hier finde.«

      Barry kam mit großen Schritten näher und zeichnete sich als Silhouette vor dem Hintergrund der beleuchteten Baustelle unten ab. Tyler konnte sein Gesicht nicht ausmachen, nur seine muskelbepackte Statur, die Positur des knallharten Kerls, die geballten Fäuste. Er war ein schwarzes Loch, das Gegenteil von Licht.

      »Sie sollte im Bett sein«, sagte er.

      »Als ob’s dich kümmert.«

      Barry machte einen Schritt vorwärts, und Tyler spürte, wie Bean in seinen Armen zusammenzuckte.

      Barry starrte sie einen Moment lang an, dann wandte er sich wieder an Tyler.

      »Komm jetzt, Arschloch«, sagte er. »Auf uns wartet Arbeit.«

       2

      Es dauerte gerade mal zehn Minuten hinterm Steuer, um aus dem härtesten sozialen Brennpunkt Edinburghs zu den Wohnsitzen der Millionäre zu gelangen. Von Niddrie kurvten sie auf der Hauptstraße durch Craigmillar, vorbei an Peffermill und der Keksfabrik, der Geruch von geröstetem Hafer drang zu Tyler auf dem Rücksitz des Wagens. Um Cameron Toll herum, und schon waren sie in der wohlhabenden Southside. Er fragte sich, ob die Leute hier überhaupt wussten, dass es Niddrie und Greendykes gab. Edinburgh war so klein, dass alle dicht aufeinanderhingen, Investmentbanker direkt um die Ecke von Familien wie den Wallaces. Die meisten dieser Menschen waren völlig ahnungslos, dass sie ständig belauert und ins Visier genommen wurden. Das hier war ihr Revier, von Mayfield über Newington und Marchmont runter nach The Grange, Morningside und Merchiston. Von Zeit zu Zeit wagten sie sich ein wenig weiter vor, bis nach New Town und Stockbridge. Das verschaffte ihnen etwas Luft, wenn es mal sehr eng für sie geworden war. Manchmal war’s einfach vernünftig, die Southside eine Weile in Ruhe zu lassen, den Hausbesitzern Zeit zu geben, wieder locker zu werden und sich zu entspannen.

      Sie bogen in die Mayfield Road ein, dann links auf die Relugas, weiter auf die kleineren Straßen. Sie hielten sich von den Hauptstraßen fern und blieben in den Wohngebieten, weniger Durchgangsverkehr und eine höhere Wahrscheinlichkeit, unbemerkt zu bleiben.

      Barry fuhr, im Radio lief auf Forth One eine endlose Abfolge langweiliger Popsongs. Tylers Halbschwester Kelly hatte die Bedienungsanleitung des Wagens aus dem Handschuhfach genommen und sich auf die Knie gelegt, bereitete jetzt darauf Koks-Lines vor. Sie befanden sich in Barrys metallicgrauem Škoda Octavia, den sie vor einem Jahr vor einem Haus in Sciennes geklaut hatten, als sie die Schlüssel in einer Schale neben der Haustür fanden. Barrys Kumpel Wee Sam hatte der Karre in seiner Werkstatt neue Nummernschilder verpasst. Ein Octavia war perfekt, ein völlig neutrales Auto, weder protzig noch piefig, und heutzutage war jedes zweite Auto auf der Straße grau.

      Tyler beobachtete Kelly. Sie war zwanzig, sah aber älter aus, war groß und üppig, hatte wasserstoffblonde Haare. Breite Nase, breite Hüften, breite Schultern – alles an ihr war breit. Ihre hellen Haare spielten bei dem Job keine Rolle, denn sie hatten wegen möglicher Videoüberwachung ohnehin immer Kapuzen auf. Wie Tyler und Barry trug auch sie einen Allerwelts-Hoodie und Jogginghose, das Beste, was Primark zu bieten hatte, ohne irgendwelche Logos oder Muster.

      Jetzt waren sie auf der Lauder Road. Hier standen ein paar riesige Häuser, aber die Straße war breit und bot kaum Deckung. Barry bremste ab, aber auch nicht zu sehr, er wollte nicht auffallen. In der ganzen Stadt durfte man heute nicht mehr schneller als dreißig Stundenkilometer fahren, was ihnen entgegenkam, ihnen erlaubte, langsam zu fahren und die Gegend auszukundschaften, ohne verdächtig zu wirken.

      Kelly zog sich eine breite Line Koks rein, reichte den Stoff dann Barry, hielt ihm den zusammengerollten Schein, damit er die Hände nicht vom Steuer nehmen musste. Er behielt den Blick auf der Straße und sniffte, schüttelte den Kopf, bewegte den Unterkiefer hin und her.

      Kelly streckte eine Hand aus und legte einen Finger unter seine Nase, wischte ein paar Kristalle weg, die dort klebten. Sie hielt Barry den Finger hin, der sich vorbeugte, ihn ablutschte und dann breit grinste.

      Tyler sah aus dem Fenster, suchte nach Häusern ohne Alarmanlagen und Licht, wie man es ihm beigebracht hatte. Vorzugsweise frei stehende Einfamilienhäuser für den Fall, dass Nachbarn etwas hörten, aber es war schon erstaunlich, wie selten das passierte. Menschen wollen nichts mit den Angelegenheiten anderer Leute zu tun haben, ganz besonders nicht, wenn sie bei diesen Angelegenheiten verletzt werden könnten.

      »Was für Scheißbuden sind das hier?«, schimpfte Barry, aufgedreht von dem Stoff. Sie boten Tyler nie etwas an, weil sie alles für sich allein wollten, aber auch, weil sie seine Einstellung dazu kannten. Er sah ja jeden Tag, was Drogen mit ihrer Mum machten.

      Sie bogen rechts auf die schmalere Dalrymple Crescent ein. Hier gab es durchaus einige Kandidaten. Es waren keine Schulferien, in dieser Zeit hatten sie am meisten zu tun, wenn die Häuser wochenlang leer standen. Aber reiche Leute hatten gesellschaftliche Verpflichtungen, sie gingen abends zum Essen aus oder auf eine Party, ins Theater oder ins Kino. Es dauerte nicht lange, diese Sache, rein und raus in wenigen Minuten.

      Tyler fand es scheiße, dass er das alles wusste. Er wollte nicht hier sein, aber er hatte keine Wahl. Barry und Kelly brauchten jemanden, der klein genug war, um sich durch Klappfenster und Oberlichter zu zwängen, falls die Türen mit Riegeln gesichert waren. Er konnte das machen, und er konnte nicht Nein sagen. Barry redete schon davon, in Zukunft an seiner Stelle Bean mitzunehmen, aber das konnte Tyler nicht zulassen.

      Barry erreichte das Ende der Straße und bog rechts auf den Findhorn Place ein, dann runter bis an dessen Ende und wieder rechts. Sie fuhren einmal um den Block, während sich Kelly eine weitere Line reinzog, dann Barry ebenfalls. Zurück in die Dalrymple Crescent. Barry hatte ein Haus ausgemacht. Tyler ebenfalls, nur hatte er es nicht erwähnt. Als sie das zweite Mal vorbeifuhren, sah er es sich genauer an. Doppelhaushälfte, auf keiner Seite Licht, niedriger Zaun zur Straße. Keine Alarmanlage, keine Sicherheitsbeleuchtung oder Videokameras, eine Handvoll großer Bäume davor boten ausreichend Deckung und ließen einen anständigen Schuppen voller Gartengeräte vermuten.

      Es war perfekt.

      Sie fuhren ein weiteres Mal um den Block, wobei Tyler ein Vibrieren im Bauch, ein Flattern in der Brust verspürte. Er dachte an Bean, die jetzt zu Hause in ihrem Bett lag, an Panda gekuschelt, die Nachttischlampe an. Er dachte an seine Mum, die weggetreten in ihrem Schlafzimmer lag, und hoffte, dass Bean nicht aus einem schlechten Traum aufwachte, so wie es in letzter Zeit öfter vorgekommen war.

      Sie rollten ein letztes Mal an 13 Dalrymple Crescent vorbei.

      »Das da«, sagte Barry und hielt dann etwa dreißig Meter weiter an.

       3

      Der Trick war Selbstvertrauen. Man kommt mit allem durch, solange man sich so verhält, als wüsste man genau, was man tut. So machten es die Oberschicht, die Politiker,