Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



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wir auf dich zu, Kauz«, sagte der Kriminalinspektor, der seit dem Sommer ein Freund geworden war. »Und wenn du etwas für uns hast, melde dich bitte.«

      Den Nachmittag verbrachte Kauz wieder auf der Loipe. Zwar langweilte es ihn bereits, ständig die gleichen Runden auf der kurzen Hundeloipe zu drehen, während alle andern das ganze Loipennetz zwischen Oberwald und Niederwald zur Verfügung hatten, aber so war das nun mal mit einem Hund. Die Loipe war stellenweise vereist. Wenn sie an diesen Stellen ein Gefälle aufwies, kam Kauz rasch in Schwierigkeiten. Einmal geriet er prompt in Rücklage. Wild mit den Stöcken fuchtelnd fiel er hin und schlug hart auf.

      Glück gehabt, dachte er, als er sich hochrappelte. Wenn es hier richtig steil und eisig gewesen wäre, hätte es mehr als ein paar blaue Flecken am Hintern abgesetzt.

      Mit den Loipen stand es wirklich nicht zum Besten, mit der Winterlandschaft auch nicht: Die Schneedecke war nach dem starken Regen zusammengesunken und jetzt durch die neuerliche Kälte hart und karstig. Bereits waren die Beschneiungsanlagen wieder in Betrieb, Kunst- und Echtschnee war am frühen Morgen auf den heiklen Stellen verteilt worden. Die meisten Langläufer waren mit den präparierten Loipen zufrieden. Aber wenn es nach Kauz gegangen wäre, so hätte es jetzt Neuschnee gegeben, schon allein der Optik wegen.

      Auf dem Rückweg ging er wieder über Reckingen. Nik hatte gesagt, er brauche ein Schnellwachs, um die leicht strapazierten Skier zu pflegen. Bei Steffen Sport wurde er von Noldi bedient, der ihm drei Artikel zur Auswahl auf die Theke legte.

      »Welchen empfiehlst du mir?«, fragte Kauz.

      »Deer ischt güät«, erklärte Noldi lakonisch und tippte mit dem Mittelfinger auf eine von drei Dosen, die er auf den Ladentisch gelegt hatte. Damit war das Verkaufsgespräch beendet. Kauz zahlte, und Noldi verschwand in seiner Werkstatt. Kauz sah sich im Geschäft um.

      »Kann ich behilflich sein?«, fragte, weder freundlich noch unfreundlich, eine Stimme in seinem Nacken.

      Er blickte über die Schulter.

      »Danke, Zara. Ich schau mich bloß um.«

      »Ach so, du bist’s?«, machte sie. Sie sah ihn mit ihren etwas eng stehenden, braunen Augen unter kräftigen Brauen aufmerksam an, ohne eine Miene zu verziehen. »In Ordnung«, sagte sie und wandte sich wieder ab.

      Was hat sie bloß?, fragte sich Kauz. Ist sie depressiv oder was? Irgendwie reizte es ihn, das herauszufinden.

      Zara wirkte frisch geduscht, ihr Haar war noch etwas feucht. Vermutlich hatte sie ihre freie Zeit auf der Loipe verbracht und sich dann für die Nachmittagsschicht umgezogen. Sie ging ins Kursbüro hinüber, das mit dem Laden verbunden war, und stellte sich hinter der Theke an ihren Computer. Nur ganz kurz hob sie den Blick und sah ihn noch einmal an.

      Kauz schaute auf die Uhr: vier Uhr nachmittags. Er überlegte, ob er den Zug nehmen oder mit Max zum Speicher spazieren sollte, da kamen Claire und Björn herein. Sie hatten wohl gerade die Privatlektionen beendet.

      Claire kam auf ihn zu.

      »Wie geht’s?«, fragte sie aufgeräumt. »Du bist ja jetzt bei Nik. Der ist prima, oder?«

      »Das stimmt«, bestätigte Kauz. »Mir fehlen nur die frisch verschneiten Loipen.«

      »Das kommt schon noch, keine Sorge. Für die nächsten Tage ist Schneefall angesagt. Du bleibst doch noch länger?«

      Kauz nickte.

      »Da kannst du dich freuen.«

      »Salü«, sagte Björn, der jetzt hinzutrat. »Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht begrüßt. Ich bin Björn«, stellte er sich vor und streckte die Hand aus.

      »Ich kenne dich natürlich«, lächelte Kauz und nahm die Hand des Skilehrers. Björn hatte einen kräftigen Händedruck, Kauz erwiderte ihn. »Ich heiße Kauz.«

      »Kauz?«, fragte Björn zurück.

      »Ja, Kauz. – Tut mir leid, das wegen Fabienne«, fuhr er fort. »Ich habe davon gehört, war letzte Woche schon da, weißt du.«

      »Ich glaube, ich habe dich gesehen«, erwiderte Björn. »Ja, das ist schlimm«, nahm er die Bemerkung auf und erzählte ungefragt, wie Fabienne nach einem heftigen, aber in seinen Augen unbedeutenden Streit davongelaufen sei. So etwas sei schon oft vorgekommen, fuhr er fort und erging sich dann in weiteren Einzelheiten. Kauz hörte geduldig zu, bis Björn schließlich sagte: »Ich hoffe einfach, sie taucht heute wieder auf.«

      »Klar«, murmelte Kauz. Er spürte einen Kloss im Hals.

      »Also dann«, sagte Björn und nickte Claire und Kauz zu. Damit drehte er sich um und rief ins Kursbüro hinüber: »Zara, hast du Sue gesehen?«

      »Ja, auf der Loipe. Sie trainiert wie wild.«

      »Seit wann?«

      »Seit etwa halb eins, schätze ich.«

      Björn schaute auf die Uhr. »Seit mehr als drei Stunden? Nach der Doppelstunde am Vormittag? Sie übertreibt wirklich«, meinte er und sah kopfschüttelnd Claire an.

      »Sie hat eben einen Riesenehrgeiz«, meinte die.

      »Schon. Aber so baut sie ihre Form ab, nicht auf.«

      »Sie hat gesagt, sie macht die ganze Tour«, hörte man Zara aus dem Kursbüro rufen.

      Das würde heißen, dachte Kauz, nach Oberwald rauf, dann nach Niederwald runter und wieder zum Ausgangspunkt zurück. Das ist in etwa die Marathondistanz. Donnerwetter!

      Fünf Stunden später, als Kauz eben den Abwasch gemacht hatte und sich die Hände trocknete, summte sein Handy.

      »Du glaubst es nicht, Kauz«, rief Ria ins Telefon. »Schon wieder wird jemand in Reckingen vermisst. Und wieder eine junge Frau!«

      »Das kann doch wohl nicht wahr sein«, sagte Kauz. »Aber nicht noch einmal eine Skilehrerin, oder doch?«

      »Nein, eine Kursteilnehmerin. Eine Top-Skaterin, heißt es. Da sie bei Dunkelheit noch nicht von der Loipe zurück war, schlug Carlo Steffen Alarm. Das wollte ich dir sagen, weil …«, sie sprach nicht weiter.

      »Ja? Weil?«

      »Weil es so merkwürdig ist. So … so …«

      »So unwahrscheinlich? Gleich zwei vermisste junge Frauen aus dem gleichen Umfeld – da gebe ich dir recht. Duplizität der Ereignisse nennen das, glaube ich, die gescheiten Leute.«

      »Dupli… was?«

      »Duplizität. Das heißt, dass manchmal zwei gleiche, eher unwahrscheinliche Ereignisse gleichzeitig oder kurz hintereinander eintreffen. – Geht ihr sie suchen?«

      »Die Rettungsleute sind schon unterwegs. Diesmal wissen wir ja, wo wir suchen müssen: auf der Loipe. Das ganze Loipennetz ist aber weit über hundert Kilometer lang! Sie fahren es jetzt mit zwei Snowmobilen ab. Das kann dauern.«

      »Gibst du mir Bescheid, wenn ihr sie gefunden habt?«, fragte Kauz, obschon er wusste, dass Ria das eigentlich nicht durfte. »Und wenn ihr sie nicht findet, bitte auch.«

      »Wieso? Ich …«

      »Wieso hast du dann überhaupt angerufen?«, fragte er zurück. »Ich behalte es für mich, Ria, das weißt du doch genau.«

      Ich Trottel, dachte er, kaum dass er die rote Taste gedrückt hatte. Jetzt muss ich aufbleiben. Oder ich werde mitten in der Nacht geweckt.

      Er holte die Flasche mit dem Drahtbügelverschluss vom Regal und genehmigte sich einen Schluck Heidelbeerlikör. Frau Imfang, Wendels Mutter, hatte sie ihm wie immer in den Speicher gestellt, ehe er anreiste.

      Für einen Augenblick dachte er an Zara.

      Depressiv? Melancholisch veranlagt oder ganz einfach ein missmutiger Mensch?, fragte er sich. Er geriet nun selber in eine etwas melancholische Stimmung. Er tippte das Chopin-Album an, das er sich im letzten Sommer heruntergeladen hatte. Er wählte die Nocturnes und stellte auf »endlos«. Unter den wehmütigen,