Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



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Schneeresten bedeckt. Er richtete sich auf, ging auf die andere Seite und lehnte sich auch dort über die Brüstung. Aber flussabwärts wie flussaufwärts das gleiche Bild.

      »Komm, wir gehen jetzt heim«, sagte Kauz zu seinem Hund.

      Max war da anderer Meinung. Er schnupperte intensiv am Brückengeländer.

      »Was gibt’s denn da? Hundepippi? Jetzt komm schon, Max!«

      Doch Max bockte, er leistete dem Zug an der Leine ganz ungewohnten Widerstand und schnupperte weiter intensiv am Geländer. Kauz beugte sich zu Max herunter und betrachtete sich das Geländer genauer: Da waren Blutspuren! Ein großer bräunlicher Fleck war am zweitobersten und am obersten Geländerbrett zu sehen. Kauz wischte mit dem Handschuh vorsichtig Schnee vom Geländer. Jetzt sah er, dass sich auf dem Deckbrett der Brüstung eine Blutspur bis zum Brückenkopf auf der Minstiger Seite zog. Er nahm sich den Bretterboden vor, schob die oberste Schneeschicht mit dem Fuß beiseite. Er entdeckte weitere Flecken, die sich von der Mitte bis ans Ende der Brücke zogen.

      Kauz ging jetzt geradewegs zum Minstiger Ende der Brücke. Über die Brüstung gelehnt erkannte er eine eigenartige Erhebung in der Schneedecke, einen langgestreckten Hügel, aus dem ein Stecken ragte. Jetzt sah er etwas Stoffartiges unter der ausgebuchteten, verregneten Schneedecke hervorlugen. Er stieg zum Rottenufer hinunter, schoss schnell ein paar Fotos, machte ein, zwei Schritte ins Wasser und schob mit einem aufgehobenen Ast vorsichtig den Schnee von dem verdächtigen Hügel. Als am einen Ende der Erhebung der blutverschmierte Kragen einer Daunenjacke, am andern ein Moon Boot sichtbar wurde, ließ er alles liegen, nahm Max straff an die Leine und trat so schnell er konnte den Rückweg an.

      »Ich weiß, dass Sonntag ist, Ria«, sagte Kauz in sein Handy, als er am Küchentisch saß. »Aber das ist ein agT.« Denn dass es um einen außergewöhnlichen Todesfall ging, stand fest, auch wenn man nicht voreilig von einem Mordfall sprechen konnte. »Ihr könnt die Suchaktion einstellen«, beschied er der Chefin des Polizeipostens Fiesch. »Wenn das dort unten nicht die vermisste Fabienne Bacher ist, dann fress ich einen Besen. Alarmiere am besten gleich das ganze Karussell: Staatsanwalt, Gerichtsmedizin, na, du weißt schon.«

      Aber Ria hatte Einwände.

      »Einverstanden, Ria: Es ist nicht sicher, dass es um ein Tötungsdelikt geht. Ein Unfall ist nicht ausgeschlossen, ein Suizid auch nicht. Aber vergiss nicht: Zwei Menschen gingen auf die Brücke, eine Viertelstunde später kam nur eine Person zurück.«

      Er erklärte ihr noch einmal, was er auf seinen Schwarz-Weiß-Fotos entdeckt hatte.

      »Meiner Meinung nach muss die ganze Bande her, Kriminalpolizei, Spurensicherung, alles«, lautete sein Schluss. »Ja, gut. Ich schicke dir die Bilder. Aber nur die von meinem Handy, die von heute. Die andern kann ich dir erst zeigen, wenn wir uns sehen. – Ja, bis morgen. Tschau

      Später am Abend machte Kauz einen Dorfspaziergang mit Max. Bei den Gleisen parkten zwei Streifenwagen und zwei auffällig unauffällige Personenwagen. Und ein Leichenwagen. Der Bestatter saß hinter dem Steuer und machte ein Nickerchen. Kauz überquerte die Gleise und ging ein Stück auf dem Winterwanderweg Richtung Rottenebene. Von Weitem schon nahm er den Rummel im Raum Enggi Briggä wahr: Snowmobile waren zu hören, Scheinwerfer wanderten über die Rottenebene. Die Gegend bei der Brücke war ausgeleuchtet, Blitzlichter zuckten in der Dunkelheit, Menschen mit Taschen- und Stirnlampen irrlichterten hin und her. Kauz vermutete mindestens ein Dutzend Polizisten, Kriminalisten und anderes Personal bei der Arbeit.

      Auf halbem Weg vertrat ihm ein Uniformierter den Weg.

      »Ihr könnt da nicht durch, der Weg ist gesperrt«, sagte er.

      »Was ist denn los?«, fragte Kauz.

      »Ein Unfall. Gehen Sie bitte wieder zurück«, forderte der Polizist ihn auf, von der Ihr-, zur Sie-Form wechselnd. Er hatte wohl erkannt, dass es sich bei dem Spaziergänger um einen Üsserschwiizer handelte.

      Na, dann eben nicht, dachte Kauz. Er kehrte in den Speicher zurück und bereitete sich in aller Ruhe ein feines Abendessen zu. Dazu eine Flasche Walliser Syrah, von einem Winzer in Salgesch, den er noch nicht kannte.

      Gegen halb neun wurde energisch an die Speichertür geklopft. Kauz hatte nicht mehr damit gerechnet, dass die Kollegen noch kämen. Er öffnete und ließ Ria Ritz, Alain Gsponer und Lara Stockalper eintreten. Als die Staatsanwältin gerade die Tür schließen wollte, kam von gegenüber, wo er beim Ziegenstall Schutz vor dem Regen gesucht hatte, der pummelige Rechtsmediziner Bivinelli angerannt.

      »Permesso?«, fragte er und drängte sich auch noch hinein.

      »Ich bringe die ganze Bande mit«, grinste Ria Ritz, »die wolltest du doch, oder?«

      »Nur herein in die gute Stube«, witzelte Kauz. »Platz ist in der kleinsten Hütte.«

      Ria mit ihrem Mann und Alain Gsponer hatte er im August schon zu Gast gehabt, aber da hatte er bei schönstem Sommerwetter draußen auftischen können. Lara Stockalper und Bivinelli waren noch nie in seinem Speicher gewesen. Die vier schüttelten unter der Tür ihre Regenjacken aus, derweil Kauz aus der Schlafkammer im Oberbau einen Schemel und die zwei Holzstühle holte, über die er sonst seine Kleider legte.

      »Du schuldest uns einen Kaffee, Chüzz …«, sagte Ria.

      »Mindestens!«, frotzelte Gsponer, der Kriminalinspektor, und rieb sich das vernarbte Gesicht. Er hatte sich eben eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt, besann sich dann aber anders und schob sie ins Päckchen zurück.

      »Ist mir klar«, meinte Kauz und mimte den Zerknirschten.

      Mittlerweile hatten sich alle um den Küchentisch gesetzt.

      »Dir haben wir es zu verdanken«, fuhr Ria Ritz fort, »dass wir am Sonntagabend in Wind und Wetter ausrücken dürfen. Ist doch so, oder?«, fragte sie in die Runde.

      Die blutjunge Staatsanwältin Lara Stockalper, die in dieser Runde sozusagen das Küken war, aber offiziell die Führung hatte, rieb die Gläser ihrer modischen Brille trocken, nickte zustimmend und lächelte. Sie hatte es faustdick hinter den Ohren und hatte sich im Sommer Kauz’ ganzen Respekt erworben.

      Bivinelli, der sich ziemlich neugierig im Speicher umblickte, wollte nicht unhöflich sein und hob, quasi zur Entschuldigung, die Hände.

      »Du kriegst jetzt Gomsverbot, Kauz«, nahm ihn Gsponer auf die Schippe. »Jedes Mal, wenn du hierherkommst, gibt’s Ärger. Und einen Haufen Arbeit. Jedes Mal …«

      »… finde ich eine Leiche, ich weiß«, kam ihm Kauz zuvor.

      »… oder zwei oder drei.«

      »Sag bloß das nicht, Alain!«, rief Ria.

      Kauz kannte das: Sie hatten ihre Arbeit fürs Erste getan, jetzt mussten sie sich mit ein paar flapsigen Sprüchen das Belastende von der Seele reden.

      »Darf ich fragen, was …?«

      »Fragen schon«, unterbrach ihn der Kriminalinspektor. »Aber du kriegst keine Antwort, Kauz. Diesmal bist du nur Auskunftsperson. Die Fragen stellen diesmal wir.«

      Kauz wusste nicht recht, ob Gsponer ihn auf den Arm nahm. In der Sache hatte er natürlich recht: Er, Kauz, hatte hier gar nichts zu bestimmen. Nicht einmal in Frageform.

      »Aber das verschieben wir auf morgen, Kauz«, lachte Gsponer. »Morgen nehmen wir dich in die Mangel. Dann kannst du auspacken, deinen Fotoapparat und deine ganze Geschichte. – Gibt’s jetzt Kaffee?«

      Kauz hatte längst seinen Wasserkessel auf den Campinggasherd gestellt. Jetzt holte er die vier Henkeltassen, die er im Speicher hatte, und ein paar Gläser und stellte sie auf den Tisch.

      »Ihr habt bestimmt noch nichts gegessen«, sagte er und tischte die angeschnittene Paillasse, den Viertellaib Roggenbrot, das Stück Käse und den Brocken Trockenfleisch auf, eben alles, was er noch im Kühlschrank und auf dem Vorratsregal hatte. Dann brachte er ein Holzbrett und ein Messer.

      »Nit neetig«, »Ach, komm! Lass