Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

Читать онлайн.
Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



Скачать книгу

ein runder Tisch, an dem fünf Gäste Platz hatten. Kauz staunte nicht schlecht, als er die Frau hinter der Theke an einer riesigen modernen Kolbenmaschine hantieren sah.

      Italienisches Modell vom Feinsten, staunte er, das Ding könnte in einer italienischen Bar stehen. Espresso aus einer solchen Maschine, das dürfte im Goms einmalig sein.

      »Darf ich den Hund reinnehmen?«, fragte Kauz.

      Die Frau wandte sich um. Eine kleine Person mit kurzen braunen Haaren, die er in Münster noch nie gesehen hatte. Sie war hochschwanger, ihr Bauch kugelrund.

      »Lieber nicht«, sagte sie. »Nasse Hunde stinken.« Doch dann schien sie es sich anders zu überlegen, es waren ja noch kaum Gäste da. »Ach, egal«, sagte sie. »Kommt herein. Wenn jemand reklamiert …«

      »… dann gehen wir wieder«, kam ihr Kauz zuvor. »Da gibt’s ja richtigen Espresso!«, sagte er und zeigte anerkennend auf die Maschine.

      Die Frau strahlte. Die Maschine war offensichtlich ihr ganzer Stolz. »Nicht nur das«, sagte sie. »Auch Ristretto, Macchiato, Cappuccino, Lungo, alles, was du willst.« Damit war klar, dass die Frau ihre Gäste duzte. »Und hausgemachten Kuchen haben wir auch«, fuhr sie fort. Sie zeigte auf die Theke, auf der ein halbes Dutzend Kuchen und Torten standen. Sie waren angeschnitten, sodass man ihr Innenleben sehen konnte, und mit einer durchsichtigen Haube abgedeckt.

      »Einen Ristretto, bitte. Und ein Stück von dem da«, er zeigte auf einen flachen, gelblichen Kuchen auf der Theke.

      »Zitronentarte? Gern. Die wird dir garantiert schmecken.«

      »Seit wann gibt’s denn das Lokal?«, fragte Kauz, als die Frau die Sachen auftischte.

      »Das zweite Jahr.«

      »Wirklich? Das habe ich gar nicht mitbekommen.«

      »Warst du im letzten Winter nicht hier?«

      »Nein, nur im Sommer und Herbst.«

      »Aha, darum. Wir haben nur im Winter offen. Von Dezember bis März. In der übrigen Zeit würde das Geschäft kaum gehen. Wenn es einmal richtig angelaufen ist, öffnen wir vielleicht auch während der Sommer- und der Herbstferien.«

      »Die Gommer haben wohl keine Zeit für Kaffee und Kuchen? Nur die Touristen.«

      »So ist es«, lachte die Frau. »Und zu denen gehörst du doch, oder? Er stinkt gar nicht so schlimm«, fuhr sie fort und zeigte auf Max, der sich unter Kauz’ Tischchen gelegt hatte.

      »Du bist ja auch keine Gommerin«, erwiderte Kauz, denn die Frau sprach nur gebrochen Wallissertitsch. »Kommst du aus Österreich?«

      »Nein, aus dem Südtirol. Aber ich lebe seit drei Jahren im Goms.«

      »Ach so! Aus Italien, jetzt ist alles klar. Ich habe mich schon über die tolle Espressomaschine gewundert.«

      Kauz plauderte noch eine Weile mit der jungen Frau. Sie hieß Mimi und war seit drei Jahren mit einem Bauern aus Reckingen verheiratet. Als gelernte Konditorin arbeitete sie zwar von Frühjahr bis Herbst auf dessen Hof, im Winter, wenn in Münster die meisten Gäste da waren, betrieb sie aber nachmittags die Kaffemili. Nachdem er den feinen Ristretto geschlürft und die köstliche Zitronentarte verdrückt hatte, ging er in die Lange Gasse und blieb vor seinem kleinen Speicher stehen. Meistens dachte er – und manchmal sagte er tatsächlich – mein Speicher, obwohl es doch der Speicher seines Freundes Wendel Imfang gewesen und jetzt, wo er tot war, der seiner Mutter war. Wendels Vater war im Herbst, nicht lange nach dem Tod des Sohnes, ebenfalls gestorben.

      Er stand vor einem wahren Postkartensujet: Der Oberbau des Speichers ruhte auf acht Steinplatten, die ihrerseits auf hölzernen, auf den Unterbau gesetzten Stadelbeinen standen. Durch den freien Raum zwischen Ober- und Unterbau hindurch sah Kauz direkt aufs Weisshorn. Der Berg war auch am heutigen Abend dunkel umwölkt.

      Wenn die Suchtrupps die vermisste Fabienne noch nicht gefunden haben, dachte Kauz, dann besteht keine große Hoffnung, dass sie noch am Leben ist. Es sei denn, sie liegt gar nicht draußen im Wald oder neben der Loipe, sondern sitzt im Unterwallis oder sonst irgendwo gemütlich bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein. Oder sie liegt in einem fremden Bett unter der warmen Decke. Als Kriminalpolizist hatte er schon die kuriosesten Auflösungen einer Vermisstmeldung erlebt.

      Max hockte sich geduldig auf den Küchenboden, bis Kauz den Napf füllte. Dann machte er sich über sein Futter her.

      »Nicht so gierig!«, brummte Kauz.

      Er holte die Sachen, die er fürs Abendessen vorgesehen hatte, und legte sie auf den Küchentisch: Polenta vom Vortag, eine Birne, ein Stück Gorgonzola, Crème fraîche und die passenden Gewürze. Nur wenn er schlecht drauf war, ließ er sich gehen und verdrückte eine Fertigmahlzeit oder ein Schinkenbrot. Normalerweise kochte er sich etwas Anständiges, das war eine Frage der Selbstachtung. Nichts Aufwendiges, überkandidelte und exotische Gerichte waren nicht sein Ding. Er war ein Freund der einheimischen und italienischen Küche, von einfachen, mit Liebe zubereiteten Gerichten. Er öffnete die Flasche Amigne, die er kühl gestellt hatte, und goss sich ein Glas ein.

      Hund Max scheuerte sich im leeren Napf fast die Zunge wund, um Kauz zu demonstrieren, dass er noch immer hungrig war.

      »Nichts da! Mehr gibt’s nicht«, sagte Kauz und streckte ihm ein Hundebiskuit hin. Max schnappte sich den Bissen und schlang ihn hinunter.

      »He!«, rief Kauz. »Nicht so gierig. Das war eine Delikatesse! Was glaubst du denn?«

      Max leckte sich das Maul, hockte sich hin und schaute Kauz mit schräg gelegtem Kopf erwartungsvoll an.

      »Jetzt ist aber Schluss«, sagte Kauz, gab ihm aber doch noch ein Biskuit. Er wusch sich die Hände, schälte die Birne, schnitt sie klein, karamellisierte die Stücke in einem Pfännchen auf dem Campinggaskocher neben dem Schüttstein, löschte mit einem Schluck Weißwein ab und ließ alles ein Weilchen köcheln. Dann drückte er die Reste der Polenta vom Vortag flach und schnitt sie in quadratische Stücke. Die gab er in eine feuerfeste Schüssel, legte den in Würfel geschnittenen Gorgonzola darauf, streute Thymian darüber und pfefferte kräftig. Dann platzierte er auf jeder Polentaschnitte eine Portion Birnenkompott und einen Klacks Crème fraîche und schob alles in das Backfach des Ofens. Darunter loderte hinter einer Glastür das Holzfeuer.

      Gut geschützt in einem Windlicht stand eine Kerze auf dem Küchentisch, die zündete er an. Er schloss sein Smartphone an den kleinen Verstärker an, den er im Sommer installiert hatte, und tippte auf eines seiner Lieblingsalben.

      Come Rain or Come Sunshine, sang die unforgettable Billie Holiday aus den kleinen, aber feinen Boxen. Blues und alter Jazz war das, was Kauz am Feierabend hören wollte. Anders als in seiner mit skandinavischen Möbeln eingerichteten Dreizimmerwohnung im Zürcher Stadtquartier Altstetten war in der spartanischen Küche seines Gommer Schpiichärs kein Lounge Chair, in den er sich fläzen konnte. So setzte er sich auf einen der zwei stabilen Holzstühle am Küchentisch, kippte ihn, nahe genug an der getäferten Wand, sodass er nicht rücklings umstürzen konnte, nach hinten, wippte vor und zurück und legte dann die Füße auf die Sitzfläche des zweiten Stuhls. In dieser halb sitzenden, halb liegenden Stellung, eingelullt von seiner Lieblingsmusik, schaute er in den Schein der Kerze.

      Der perfekte Feierabend!, sinnierte er. Er dachte an Wendel und an die traurigen ersten Tage seiner Sommerferien zurück. Als das Essen fertig war, tischte er für sich selber auf, stellte das dampfend heiße Gericht auf den Tisch und setzte sich. Er war mit seiner Improvisation zufrieden: Die Polenta schmeckte sogar besser als am Vortag, die Birnenstücke hatten gerade noch etwas Biss und die Verbindung der Geschmacksnuancen salzig und süß, würzig und mild machte ihn geradezu glücklich. Auch der Amigne passte perfekt dazu. Nachdem er den Tisch abgeräumt hatte, lehnte er sich wieder zurück und wippte in seinem Schaukelstuhl hin und her. Die Füße, die in wollenen Socken steckten, legte er jetzt auf den Küchentisch und hörte das Billie-Holiday-Album zu Ende. Nachdem er Max kurz Gassi geführt hatte, stieg er mit dem Hund in den Oberbau hinauf.

      Max legte sich in seinen Korb in der Ecke, Kauz setzte sich ans