Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



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hatte, eine Auskunftsperson heimsuchte und sich von ihr bewirten ließ. Aber Kauz war mit Ria und mit Gsponer befreundet, und sowohl die Staatsanwältin Lara Stockalper wie der Rechtsmediziner Bivinelli kannten ihn von ihrer Zusammenarbeit im Mordfall Imfang her.

      »So viel dürfen Sie wissen, Herr Walpen«, eröffnete ihm die Staatanwältin: »Vorläufig besteht noch Informationssperre. Aber morgen oder übermorgen informieren wir die Presse: Wir haben bei der Enggä Briggä eine weibliche Leiche gefunden. Sie weist schwere Verletzungen an Hals und Brust auf. Ob es sich bei der Frau um die Vermisste Fabienne Bacher handelt, wissen wir noch nicht. Die Todesursache und ob es sich um Unfall, Suizid oder Tötung handelt, muss erst untersucht werden. – Ihnen, Herr Walpen, danken wir für die wertvolle Information. Und für die Vorarbeit«, fuhr sie fort und verbiss sich ein Lachen.

      Das ist jetzt der Rüffel, dachte Kauz, dafür dass ich mich auf eigene Faust auf die Suche gemacht und im Schnee herumgestochert habe, statt einfach mit den Fotos zur Polizei zu gehen.

      Er machte ein schuldbewusstes Gesicht.

      »Na ja«, sagte er. »Gern geschehen. Ich war auf einem Spaziergang. Und bin dabei zufällig auf eine Leiche gestoßen. Das kommt vor, oder nicht? – Ein Glas Wein?«, fragte er dann in die Runde. Natürlich war er darauf gefasst, dass alle ablehnten, sie waren ja im Dienst.

      So war es auch, nur Bivinelli sagte: »Gern, wenn ich darf. Mein Einsatz ist ja für heute vorbei. Die Leiche nehme ich mir morgen vor. Und chauffiert werde ich auch«, schob er nach und deutete mit dem Daumen auf Kriminalinspektor Gsponer.

      »Wir hoffen, dass nichts durchsickert, jedenfalls bis morgen nicht«, nahm Gsponer den Faden der Staatsanwältin auf. »Wir wollen die Bezugspersonen der Vermissten noch einmal befragen. Bevor bekannt wird, dass sie tot ist – wenn es denn wirklich sie ist. Ich fürchte nur, dass wir weitherum sichtbar waren. Aber es ging nicht anders. Die Kriminaltechniker sind übrigens immer noch bei der Spurensicherung«, fuhr er fort, wie um Kauz auch noch einen Informationsbrocken hinzuwerfen.

      Danach wurde nicht mehr über den agT Enggi Briggä gesprochen. Doorffä war jetzt angesagt: Man plauderte über dies und das, auch über die Wetterkapriolen, den Fönsturm, der am Nachmittag über dem Urnersee getobt haben sollte, tätschelte Hund Max den Kopf und gab, da man ja unter sich war, Erinnerungen an den Mordfall Imfang zum besten.

      Kauz schenkte Kaffee nach, und nach eineinhalb Stunden stand die ganze Bande wieder draußen vor dem gastlichen Schpiichär auf der Langen Gasse.

      Es hatte aufgehört zu regnen.

      Gsponer steckte sich sofort seine Zigarette an.

      Ria Ritz schaute in den Nachthimmel. »Seht mal!«, rief sie. »Es ist ja plötzlich sternenklar! Brrr, das könnte eine kalte Nacht werden. Morgen früh ist bestimmt Glatteis auf den Straßen. Seid also bitte vorsichtig!«

      Montag, 10. Dezember

      »Passt auf, Sportsfreunde!«, rief Carlo den Kursteilneh- mern zu. »Das Wetter spielt verrückt. Gestern war es, entschuldigt den Ausdruck: seikkwarä, die Loipen waren weich und matschig. Aber in der Nacht ist die Temperatur auf minus fünfzehn Grad gefallen. Die Loipen sind jetzt stellenweise vereist. Für den Unterricht gibt’s keine Probleme, hier im Umkreis der Schule sind sie perfekt präpariert. Aber wenn ihr am Nachmittag trainieren geht, passt bitte auf! Und geht auf keinen Fall auf die schwarze Rennloipe! – Habt ihr gehört?!«, doppelte er zur Sicherheit nach, denn nicht alle hörten zu, wenn er im Freien zu der siebzig-, achtzigköpfigen Gruppe sprach. »Geht nicht auf die schwarze Rennloipe, klar?! Nicht einmal die Topläufer. Am Baawaldschtuzz hat es schon dumme Unfälle gegeben. Geht heute also anderswo trainieren. Capito?«

      Ein paar Aufmerksame nickten oder gaben mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie ihn gehört hatten.

      »Gut, Sportsfreunde«, schloss Carlo. »Allen einen guten Tag!«

      Es ist also nichts durchgesickert, dachte Kauz, sonst hätte er etwas gesagt. Kauz hatte von anderen Kursteilnehmern gehört, wie Carlo am Samstagabend die Gäste, die im Galenblick logierten, informierte: Die Skilehrerin Fabienne Bacher werde seit Mittwochnachmittag vermisst. Es gebe Anhaltspukte dafür, dass sie mit dem Zug weggefahren sei. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass sie zu Fuß unterwegs gewesen und vom Weg abgekommen oder dass ihr sonst etwas zugestoßen sei. Man habe sie deshalb bei der Polizei als vermisst gemeldet. Die Suchtrupps und Rettungskräfte täten alles, um sie zu finden. Björn würde seine Klasse weiterbetreuen, auch wenn er begreiflicherweise tief besorgt sei. Man solle aber bitte so viel Feingefühl haben, ihn nicht mit Fragen zu löchern. Das alles sagte Carlo, ohne dass Björn oder die anderen Skilehrer dabei waren. Die Gerüchte über einen Streit zwischen dem Paar hatte er nicht kommentiert.

      Tatsächlich verstummten die Tuscheleien über Fabiennes Verschwinden allmählich, und Björn blieb von Fragen unbehelligt. Dies wiederum führte dazu, dass er aus freien Stücken zu reden begann. Vor allem sprach er mit den anderen Skilehrern, aber auch mit seiner Klasse und überhaupt mit allen, die ihm in der Mittagspause zuhören mochten. Das bekam Kauz mit, als er einmal in seiner Nähe stand.

      »Ich mache mir selber enorme Vorwürfe«, hörte er ihn sagen. »Es stimmt, wir hatten am Mittwoch Streit«, »Ja, sie reagiert manchmal impulsiv«, »Nein, sie ist nicht depressiv«, »Ihr mache ich sicher keinen Vorwurf«, »Bestimmt taucht sie heute wieder auf« und ähnliche Dinge. Es war spürbar, dass er der Verzweiflung nahe war und dass er jede Gelegenheit nutzte, sich selbst zu erklären und damit auch ein bisschen zu entlasten.

      Björn war der Instruktor der am weitesten fortgeschrittenen Skater. Die sogenannte Rennklasse bestand nur aus sechs Teilnehmern, alles routinierte Skater, die jedes Jahr mit ihm trainierten, um sich auf einen Wettkampf vorzubereiten. Björn selbst war ein ehemaliger Spitzenathlet, war sogar bei internationalen Wettkämpfen ganz vorne mitgelaufen, bis er seine Rennkarriere wegen einer Verletzung beenden musste. Er stammte aus der Üsserschwiiz, war von Beruf Elektroinstallateur, verbrachte aber jeden Winter als Langlauflehrer im Goms. Hier hatte er die Gommerin Fabienne Bacher kennengelernt. Sie waren seit vier Jahren liiert, seit einem halben Jahr verheiratet. Das junge Paar wohnte in Glis, wo beide ihren ursprünglichen Berufen nachgingen. Von Dezember bis März waren sie bei Steffen Sport angestellt und logierten bei Fabiennes Eltern in Münster.

      Kauz warf einen Blick zu Björn hinüber, der eben seine neue Klasse begrüßte. Er versuchte, sich nicht vorzustellen, wie es Björn ergehen würde, wenn er die Nachricht vom Tod seiner Frau entgegennehmen musste. Denn dass es sich bei der Toten von der Enggä Briggä um Fabienne Bacher handelte, stand für Kauz so gut wie fest.

      »Hallo, Kauz! Du gehörst doch zu uns, oder nicht?«, rief eine Stimme. Kauz drehte sich um. Da stand Nik und winkte mit dem Skistock.

      »Ich komme!«, rief Kauz.

      Er stand bereits auf seinen Skiern, stieß sich mit den Stöcken ab und gliederte sich bei seiner neuen Klasse der Fortgeschrittenen ein. Da die Skilehrer für jeden Kurs neu zugeteilt wurden, hatte Claire dieses Mal die Anfänger und Nik die Fortgeschrittenen. Kauz war es mehr als recht. Einzig bei der Rennklasse der Skater gab es keinen Wechsel, die wurde immer von Björn geleitet. Die meisten Gäste kamen in der Vorsaison für drei, vier Tage ins Goms, um sich in der Langlaufschule auf die Wintersaison vorzubereiten, und kehrten dann in der Hauptsaison für ein bis zwei Wochen zurück.

      »Was hab ich gesagt?«, meinte Nik am Schluss des Vormittags zu Kauz. »Du läufst schon recht gut, dir fehlt einfach die Routine. Üben, üben, üben, heißt jetzt die Devise.«

      Kauz ging nach dem Unterricht sofort in seinen Speicher. Gerade angekommen, klopfte es: Kriminalinspektor Gsponer stand vor der Tür. Er trug eine braune Wildlederjacke mit breitem Kragen, die er trotz der Kälte nicht zugeknöpft hatte. Üppiges Lammfellfutter quoll hervor. Seine Füße steckten in gefütterten Wildlederstiefeln mit Ziernähten. Er kam auch im Winter stets schick daher. In einem Mundwinkel glomm eine Zigarette, er grinste filmstarmäßig. Doch dann drückte er die Kippe aus, trat ein und wurde ernst. Kauz setzte sich mit ihm an den Küchentisch, und die Befragung konnte beginnen. Kauz führte ihm seine digitale Spiegelreflexkamera