Название | Gommer Winter |
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Автор произведения | Kaspar Wolfensberger |
Жанр | Языкознание |
Серия | Ein Fall für Kauz |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783311702184 |
Kauz richtete sich auf. Er war sofort hellwach. »Hat man sie gefunden?«
»Ja.«
»Tot?«
»Ja.«
»Wo?«
»Am Baawaldschtuzz. Im Bannwald, weißt du. Eine sehr gefährliche Stelle auf …«
»… auf der Rennloipe, ich weiß.«
»Die kennst du?«, staunte Ria.
»Nein, aber Carlo hat am Morgen davor gewarnt. Deshalb weiß ich von der Stelle. Ein Unfall?«
»Sieht so aus, ja. Sie muss schrecklich gestürzt sein und hat sich dabei wohl mit dem eigenen Skistock verletzt. Oder ist in einen Ast hineingerast.«
»Hast du sie gesehen?«
»Nein. Ich weiß das von den Rettungsleuten. Die sagten, sie habe eine offene Verletzung an der Brust, ich weiß nicht, was genau. Es scheint, dass sie auf der Loipe verblutet ist.«
»Das ist ja furchtbar!«
Kauz musste an seinen eigenen Sturz auf der nur leicht abschüssigen, vereisten Loipe vom Nachmittag denken. Aber es erstaunte ihn doch, dass ein Sturz auf der Langlaufloipe tödlich ausgehen konnte.
»Weiß man mittlerweile mehr über den agT Enggi Briggä?«
»Ja, leider«, sagte Ria: »Es ist tatsächlich Fabienne Bacher. Sie wurde noch am späten Abend von Björn identifiziert.«
»Ach, der tut mir wirklich leid. – Wo ist sie? Beim Bestatter?«
»Nein, auf der Rechtsmedizin in Sitten.«
Die Rechtsmedizin hatte Kauz selbst kennengelernt. Er hatte mit Doktor Bivinelli im Sommer intensiven Kontakt gehabt.
»Und die zweite Tote?«
»Bivinelli hat noch am Baawaldschtuzz entschieden, dass sie auch auf die Rechtsmedizin müsse.«
»Heißt sie Sue?«, fragte Kauz.
»Woher weißt du das jetzt schon wieder?«, Ria klang etwas irritiert. »Ja, sie heißt Sue. Sue Brongg.«
»Ich habe gehört, wie Björn Zara heute Nachmittag nach einer Sue fragte. Der Name ist mir hängen geblieben. Es schien ihn zu wundern, dass sie noch nicht vom Training zurück war.«
»Björn? Hmm. Wirklich? Und wer ist Zara?«
»Die Frau von der Kursadministration.«
»Ach so, ja, stimmt. Hör zu, Chüzz«, sagte sie dann, »ich muss Schluss machen. Drei, vier Stunden Schlaf brauche ich schon noch, ehe es morgen weitergeht.«
Dienstag, 11. Dezember
Gegen halb acht Uhr morgens rollte Thomas neben das Bett seiner Frau, lehnte sich über die Bettkante und rüttelte sachte an ihrer Schulter: »Ria, du musst allmählich …«
Ria richtete sich abrupt auf. »Hab ich verschlafen?«, fragte sie und rieb sich die Augen. »Ist Emma schon auf? Heute ist Kitatag, oder nicht?«
»Nur mit der Ruhe«, meinte Thomas. »Mama ist schon mit ihr unterwegs. Und deine Leute wissen Bescheid, dass du später kommst. Du bist ja erst gegen halb drei ins Bett gekommen, oder?«
»Kann schon sein«, erwiderte sie, sprang aus dem Bett und huschte ins Badezimmer.
Thomas rollte in die Küche. Mit dem Geschick eines Artisten bewegte er sich in seinem Rollstuhl zwischen Anrichte, Kühlschrank und Küchentisch und deckte einhändig, die andere Hand am Rad seines Vehikels, Rias Frühstück auf. Die Küche war so umgebaut worden, dass er das meiste aus dem Rollstuhl erreichen und bedienen konnte. Als Ria fertig geduscht hatte, stand ihr Müesli mit selbstgeschrotetem Getreide, gehackten Nüssen und frisch geraffelten Äpfeln auf dem Tisch, daneben die Tasse mit dem dampfenden Cappuccino.
»Was war eigentlich los, heute Nacht?«, fragte Thomas, als Ria ihr Müesli löffelte. »Zwei Tote, eine in Münster und eine sonst irgendwo im Goms, habe ich das richtig mitgekriegt?«
Thomas hatte keine Hemmungen, Fragen zu stellen. Er wusste natürlich, dass seine Frau als Postenchef der Walliser Kantonspolizei Goms eigentlich nichts sagen durfte. Aber nachdem er im vergangenen Sommer als Computertüftler und IT-Freak die entscheidenden Hinweise zur Aufklärung des Mordfalls Imfang geliefert hatte, hatte Ria ihre Zurückhaltung abgelegt. Auch die Staatsanwältin, Kriminalinspektor Gsponer, Chefinspektor Fux und alle Kriminaltechniker hatten Thomas in den höchsten Tönen gelobt. Ria betrachtete ihren Mann deshalb fast als einen Berufskollegen, der wie sie der Schweigepflicht unterstand.
»Richtig«, bestätigte sie und wischte sich den Milchschaum von den Lippen. »Eine seit Mittwoch vermisste Langlaufinstruktorin wurde am Sonntagabend tot unter der Enggä Briggä bei Münster gefunden.«
»Fabienne Bacher, nicht wahr? Dass sie verschwunden ist, hat sich im ganzen Goms herumgesprochen. Das habe ich am Loipentreff gehört.«
»Das kann ich mir vorstellen. Die andere ist eine ambitionierte Langläuferin, die offenbar wie vergiftet trainierte. Sie ist gestern auf der Loipe tödlich gestürzt. Am Baawaldschtuzz.«
»Die Loipe war total vereist. Wer geht denn unter solchen Bedingungen auf die Rennloipe?!«
»Eben. Offenbar hat Carlo Steffen seine Schüler gestern sogar ausdrücklich davor gewarnt, die Baawald Loipe zu befahren. Das hat mir dr Chüzz erzählt. Die Frau hat sich nicht darum geschert – und jetzt ist sie tot«, seufzte Ria.
Thomas rieb sich die Stirn, dann ließ er die Hände sinken.
»Schrecklich«, sagte er. »Aber Unfälle passieren«, fuhr er fort. Seine Hände glitten über die im Rollstuhl festgezurrten gelähmten Beine.
Ria sah auf und warf ihm einen halb traurigen, halb vorwurfsvollen Blick zu. Mir brauchst du das nicht zu sagen, sollte der Blick wohl heißen.
»Noch einen Cappuccino?«, fragte Thomas rasch.
»Danke, Thomi. Nein, ich muss los«, sagte sie, stand vom Küchentisch auf und stellte ihr Geschirr in den Spültrog.
»Lass nur. Ich mache das«, sagte Thomas. »Dü, noch etwas: Stimmt es, dass dr Chüzz Fabiennes Leiche gefunden hat? Ist er irgendwie in den agT verwickelt?«
Wie ein Insider benützte er gern den Juristen- und Polizistenjargon. So auch das Kürzel agT.
Ria winkte ab. »Später«, sagte sie, schlüpfte in die dicke Uniformjacke, beugte sich über ihren Mann und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann setzte sie die Polizeimütze auf, warf einen Blick in den Wandspiegel, rückte die Mütze zurecht und ging aus der Wohnung.
Unter der Tür drehte sie sich kurz um. »Bis heute Abend«, rief sie. »Und gib der Kleinen einen Kuss von mir.«
»Klar«, sagte Thomas.
Thomas Abgottspon war einmal nahe daran gewesen, bei der Walliser Kantonspolizei als IT-Spezialist Karriere zu machen. Die Stelle in der Abteilung Wirtschafts- und Internetkriminalität war ihm schon zugesichert, denn er brachte als IT-Experte und mit einem Bachelor der Rechtswissenschaften die besten Voraussetzungen mit. Der Gleitschirmunfall machte ihm dann einen dicken Strich durch die Rechnung. Ria war kurz zuvor zum Postenchef ad interim befördert worden. Nur dank der Hilfe ihrer Mutter war es möglich, Beruf und Mutterrolle unter einen Hut zu bringen. Emma war mittlerweile vierjährig und wurde zweimal die Woche in die Kindertagesstätte gebracht. Vom Haushalt war Ria dispensiert, den besorgte Thomas zusammen mit Mama Ritz, die im Obergeschoss des Mehrfamilienhauses wohnte. Um die kleine Emma kümmerten sie sich alle drei.
Heute war Thomas fürs Aufräumen und Putzen zuständig, denn für Emma war gesorgt, und an den Tagen, an denen sie in der Kita war, bereitete Mama Ritz in der Regel das Abendessen für die Familie vor.