Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



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klassischen Stils ein.

      Carlo Steffen stand draußen vor der Schule und gab, Zara an seiner Seite, den Langlauflehrern letzte Anweisungen. Kauz’ Klasse stand am nächsten bei der Gruppe.

      »Nein«, hörte Kauz eine Stimme, »sie ist nicht da.«

      Er sah auf: Björn, der Skilehrer, den Carlo gestern angesprochen hatte, schüttelte besorgt den Kopf. Er sah übernächtigt aus.

      »Zara, was machen wir jetzt?«, fragte Carlo.

      Zara gab im Flüsterton Antwort.

      Carlo sah sie einen Augenblick überrascht an. Dann sagte er: »Gut gemacht. Danke.«

      Jetzt wandte er sich den wartenden Kursteilnehmern zu.

      »Güätä Tag!«, rief er über das Schneefeld neben der Loipe, auf dem sich die Kursteilnehmer aufgestellt hatten. »Gut geschlafen?«

      Ein beifälliges Raunen war die Antwort.

      »Seht euch den Neuschnee an! Ist das nicht ein Geschenk?!«, rief er weiter, machte eine weitausholende Geste und blickte nach oben. »Und blauer Himmel. In einer Stunde haben wir Sonnenschein! Ähm«, machte er und räusperte sich, »es gibt eine kleine Änderung bei den Instruktoren, die euch unterrichten. Fabienne, die die Klassisch-Anfänger betreut, fällt leider aus. Aber wir haben vollwertigen Ersatz: Nik springt ein, einer unserer, ähm«, an dieser Stelle räusperte sich Carlo, »einer unserer ehemaligen Instruktoren. Einige kennen ihn vielleicht von früher. Er wird gleich hier sein. Also dann, Sportsfreunde, einen schönen Tag wünsch ich euch!«

      Die Skilehrer gingen zu ihren Klassen. Zara, die draußen stehen geblieben war, trat zur Anfängerklasse und sagte, in wenigen Augenblicken werde ihr Instruktor eintreffen.

      »Bin schon da!«, rief da jemand. Ein jüngerer Mann, Typ Naturbursche und etwas außer Atem, gesellte sich zur Anfängerklasse.

      »Ich bin Nik«, stellte er sich vor und drückte jedem die Hand. Er roch nach Stall.

      Als der Unterricht am Mittag zu Ende war, nahm er Kauz beiseite. Er sei bei den Anfängern eigentlich falsch, meinte er. Seine Technik stamme zwar aus dem letzten Jahrhundert. Skiwandern nenne er so was, nicht Langlaufen.

      »Aber du stehst sicher auf den Brettern und kommst zügig voran. Geh besser in die Mittelstufe. Dort machen sie in kurzer Zeit einen guten Langläufer aus dir.«

      Kauz sah ihn zweifelnd an.

      »Doch, doch, glaub mir. Das sehe ich.«

      »Wenn du es sagst«, sagte Kauz und drückte Nik die Hand, »dann wechsle ich die Klasse. Schade, ich wäre gern bei dir geblieben. Danke für deine Tipps.«

      »Ich behalte dich im Auge«, lachte Nik und verabschiedete ihn mit einer aufmunternden Handbewegung.

      Mit ein paar wenigen Schlittschuhschritten war Nik bei den anderen Skilehrern, die jetzt Instruktoren hießen, wie Kauz schon gelernt hatte. Sie hatten sich vor der Schule versammelt und fragten gerade Björn aus. Der stand da, zuckte die Schultern und schüttelte nur immer wieder den Kopf.

      Fabienne, die Skilehrerin, die gestern den Apéro verpasst hat, ist wohl krank, dachte Kauz. Oder verunfallt. Den Gesichtern nach zu schließen ging es um etwas Ernstes.

      Kauz stieg aus der Bindung und schulterte die Skier. Er ging an den Skilehrern vorbei.

      »Vermisst? Seit wann?«, fragte jemand.

      »Seit gestern Nachmittag«, murmelte Björn.

      Den Nachmittag verbrachte Kauz mit Max auf der Hundeloipe. Max hatte bald begriffen, dass er ihm nicht in die Quere kommen durfte. Der schwarze Hund tollte in angemessenem Abstand zur Spur durch den Schnee, preschte übermütig voraus und kam wieder zurückgerannt. Kauz versuchte indessen hartnäckig, Niks Anweisungen umzusetzen: Abstoßen!, hatte der gesagt, nicht die Füße vorwärtsschieben! In die Knie! Und wieder hoch! Oberkörper nach vorne! Aber das war einfacher gesagt als getan.

      In regelmäßigen Abständen blieb er stehen und warf einen Schneeball, sodass Max etwas zu schnappen hatte. Der duckte sich jedes Mal sprungbereit und kläffte, bis der Schneeball flog, dann stob er hinterher und überschlug sich im Schnee, wenn er den zerberstenden Ball zu fassen kriegte.

      Gegen Ende des Nachmittags waren beide ziemlich erschöpft. Da Kauz, wenn er Max dabeihatte, die normale Loipe meiden musste, nahm er mit ihm den Zug nach Münster. Vom Bahnhof ging er durchs Dorf, Richtung Lange Gasse.

      »Kaffemili« – Kaffeemühle –, so war ein kleines Lokal angeschrieben, das Kauz bisher noch nie gesehen hatte. Das Café befand sich in einem alten Holzhaus, mitten im Dorf, nicht weit von der Margarethenkapelle. Ein Café in Münster, das ist ja was Neues!, staunte Kauz. Das hat bisher gefehlt. Gepflegt dinieren konnte man in der Auberge – Relais et Auberge du Sauvage lautete der volle Name des noblen Hauses –, und selbstverständlich wurde dort nach dem Essen Kaffee und Kuchen serviert. Aber wer bloß eine Tasse Kaffee trinken wollte, der suchte den Gommereggä, eine andere Dorfbeiz oder eines der Hotels am Dorfrand auf. Dort musste er sich wohl oder übel mit den Biertrinkern abfinden. Kaffee und Kuchen, das war in Münster ein bisher unbekanntes Angebot. Kauz wollte gerade das Lokal betreten, da tippte ihn jemand auf die Schulter.

       »Bischäs dü, Chüzz?«

      Er wandte sich um. Ria Ritz stand in voller Polizeimontur da, das Haar unter der Uniformmütze wie gewohnt zum Pferdeschwanz gebunden. Sie lachte ihn breit an.

      »Du bist also wieder hier. Und treibst Sport?«, spöttelte sie. »Wusste ich gar nicht.«

      Sie begrüßten sich herzlich. Die Art, wie sie im Sommer beim Mordfall Imfang zusammengearbeitet hatten, war der Beginn einer echten Freundschaft gewesen.

      »Und du?«, fragte Kauz. »Dienstlich hier?«

      »Richtig«, bestätigte sie, »ich muss einer Vermisstmeldung nachgehen.«

      »Die Skilehrerin? Fabienne, oder? Die wird wohl seit gestern Nachmittag vermisst …«

      »Woher weißt du das?«, fragte Ria.

      »Ich habe da was aufgeschnappt. Ich mache nämlich einen Langlaufkurs.«

      »Bei Carlo Steffen?«

      »Genau.«

      »Ach so. Na gut, wenn du es schon weißt: Ja, Fabienne Bacher wird vermisst. Seit gestern Abend spurlos verschwunden. Ihr Mann …«

      »Björn?«

      »Donnerwetter, Chüzz. Ja, Björn hat sie gestern Nacht als vermisst gemeldet. Zuerst dachte er, sie sei ins Unterland gefahren. Dachten wir auch, es war das Naheliegendste. Das Paar hatte einen Streit. Aber das behältst du für dich, klar?«

      »Klar.«

      »Dort war sie aber nicht. Auch bei ihren Eltern, bei Freunden und Bekannten nicht. Also haben wir noch in der Nacht eine Rettungskolonne losgeschickt – ohne genau zu wissen, wo suchen. Wir fürchten das Schlimmste: dass sie vielleicht verunfallt ist und irgendwo im Schnee liegt …«

      »Dann wäre sie erfroren. Es war sehr kalt in der letzten Nacht.«

      »Eben«, sagte Ria mit besorgtem Gesicht. »Jetzt muss ich noch mal mit diesem Björn reden. – Aber wir sehen uns, nicht wahr? Wie lang bleibst du im Goms?«

      »Bis Ende Jahr.«

      »Wunderbar! Da liegt mehr als ein Treffen drin.«

      »Grüß mir Thomas.«

      »Klar. Er wird sich freuen.«

      »Und die kleine Emma.«

      Kauz war im Sommer bei der Familie Ritz-Abgottspon ein und aus gegangen.

      »Tschau«, sagte Ria herzlich und ging.

      Kauz betrat die Kaffemili. Es war erst vier Uhr nachmittags, zu früh für ein Feierabendbier, gerade richtig für Kaffee und Kuchen. Kaffemili, das klang nach frisch gebrühtem Filterkaffee. Er