Die Hegerkinder in der Lobau. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder in der Lobau
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570074



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der bereits trockene Biberweg nach Aspern gangbar geworden war, konnten die Hegerkinder nun wieder zur Schule.

      Franzel und Sepperl waren wenig erfreut darüber, dass der Oberlehrer Wagner, ein grosser hagerer Mann mit ernstem Geschau, sie in die eigene, nämlich in die Oberklasse aufnahm. Sein bis auf den Schnurrbart glattrasiertes Gesicht machte auf sie den Eindruck grosser Strenge; und die Stille, die in der Klasse schon vor Unterrichtsbeginn herrschte, wirkte auf sie unheimlich. In Gaming war es anders gewesen. Bertel machte die Brüder auf das neunjährige blasse Söhnchen des Oberlehrers aufmerksam, auf den Hansi. Er erzählte ihnen, dass der Bub schon ein richtiger Organist war. Bei der Schulmesse musste Hansi die Orgel spielen, wenn ihn auch in den Fingern fror und in den Füssen, mit denen er die Pedale nur erreichen konnte, wenn er ganz am vorderen Rand der Orgelbank sass. Da half kein Weinen. Der Vater war streng, sehr streng. Bewunderung und Mitleid waren es, wodurch sich die stämmigen Gebirgler zu dem so ganz anders gearteten Musikerkinde hingezogen fühlten. Sie selbst erweckten durch ihre fremdartige Tracht und durch ihr Gebaren Hansis Aufmerksamkeit. Dazu kam, dass durch Hiasels Erzählung die unglaubliche Kletterleistung Franzels und durch Liesels Prahlen auch Sepperls Geschicklichkeit im Strumpfstricken bald bekannt wurde. So zeichneten sich in Hansis Augen die beiden Neuen als Besondere aus und die Bekanntschaft war schnell gemacht.

      Die Asperner Schuljugend war ein Völklein für sich. Sie hatte nun zwei Fremde in ihren Kreis aufgenommen und mit sicherem Gefühl Eigenheiten an ihnen herausgefunden. Aber diesmal war es kein äusseres Kennzeichen, wie bei Hiasel die Haarfarbe, es waren die Tätigkeiten, die zur Namensgebung führten. Der ältere der Gaminger Gschaider hiess bald nur mehr der „Steiger-Franzel“, der jüngere „Stricker-Sepperl“. So waren die drei Gschaider-Buben wohl voneinander unterschieden. Als der Oberlehrer Wagner, der sich auf Namensdeutung verstand, von den neuen Namen erfuhr, benützte er die Gelegenheit, die Entstehung ihres Familiennamens zu erklären. Danach hiessen die Hegerkinder nicht etwa darum Gschaider, weil sie gescheiter waren als alle anderen; das sollten sie sich ja nicht einbilden; sondern sie stammten alle von einem Gebirgsbauer ab, der sein Haus auf einer Wasserscheide gebaut hatte, auf einem Bergsattel, an dem die Quellwässer sich teilten. Ein Bach floss links, der andere rechts hinab zu zwei durch den Höhenzug getrennten, vom Sattel vereinten Tälern: Gschaid, Gescheide. „Gschaider ist ebenso ein Geländename wie etwa Lehner oder Lechner oder Lahner, das ist einer, der auf einer Lehne (Lahn) haust.“ Da meldete sich ein Knabe: „Bitt’, der könnt’ ja auch Leitner heissen; statt Lehne kann man auch Leiten sagen. Ich kenn’ einen Eisenbahner, der heisst Bachleitner.“ — „Richtig, und der könnt’ wieder Achleitner heissen; weil Ach soviel als Bach oder Wasser bedeutet. Wer weiss noch andre Geländenamen?“ Da kamen die Beiträge von allen Seiten: Berger, Schönberger, Unterberger, Puchberger, Weinberger und Wimberger. Nun fragte ein Mädchen dazwischen: „Wim? was soll denn Wim heissen?“ — „Nichts andres als Wein; ist doch heute noch das alte Wort ,Wimmat’ gebräuchlich für Weinernte; und der Name Wimmer für Weinbauer.“ Der Oberlehrer fuhr fort: „Wie haben die Leute früher statt „Hügel‘ gesagt?“ — „Bühel, Biegl oder Pichel.“ — „Daher?“: „Bühler, Pichler, Schönbichler, Biegler.“ Die Förstergretel meldete sich von der Fensterreihe her: „Bitt’, ich kenn’ einen Greissler in der Brigittenau, der heisst Goldbiegler.“ Der Oberlehrer nickte ihr zu: „Und in Perchtoldsdorf gibt es dazu den Goldbieglberg. Wüssten die Perchtoldsdorfer, dass Biegl ohnehin schon Hügel oder kleiner Berg bedeutet, so würden sie sich den Zusatz — ,berg‘ wohl ersparen.“ — Der Feitsinger Franzl brachte noch die Beiträge Riegler, Steinriegler, Reiner und Reininger.

      Wieder einmal zur Namensforschung angeregt, zappelten die Kinder vor Ungeduld und einzelne schwenkten die hochgehobene Hand, um ihren Beitrag anzubringen; noch verweilten sie bei den Geländenamen: „Auer, Schönauer, Fischauer, Ecker, Rosegger, Landegger, Brucker, Neubrucker, Bruckner, Thaler, Freuntaler, Apfeltaler.“ Dann rückten sie mit den bekannten Standesnamen an: „Bauer, Schneider, Müller, Beck, Jäger, Schmidt, Schmiedl, Koch, Meier.“ Und Bertel, der den Namen Meier zu erklären bekam, wusste richtig zu sagen, dass der eigentlich vom lateinischen maior, der grössere oder ältere, also der für eine Hauswirtschaft Verantwortliche, abstammte; das hatte er sich seit dem Vorjahre gemerkt. Da warf der Oberlehrer die Frage ein, wer noch wüsste, was der Name Schulz ursprünglich bedeutet hätte. Aber kein Kind, ausser Hansi, dem Söhnchen des Oberlehrers, wusste mehr die vor Monaten gegebene Erklärung. Er ging zur Tafel und schrieb an: Scultheizo. „So haben die alten Deutschen erst den Schuldeneintreiber, den Richter, genannt, weil er die anderen die Schuld zahlen geheissen hat. Erst später hiessen die Bauermeister, die Dorfrichter, so und die Bürgermeister in den Städten.“

      Nach der Aufzählung und Erklärung von allerlei Namen, die von persönlichen Eigenheiten herrührten, wie Langbein, Kurz, Trampler, wagten sich einzelne Kinder mit Fragen hervor über Namen, die ihnen als rätselhaft aufgefallen waren. Da hatte einer über einem Taschnerladen in der Leopoldstadt den Namen Rinőssl und gleich daneben überm Schuhmacherladen Hasenöhrl gelesen. „Nun, Össl und Öhrl ist vielleicht eins und dasselbe, der eine mochte ein krankes, rinnendes Ohr gehabt haben, der andre lange, schmale, verdrückte Ohren, in denen ein Witzbold eine Ähnlichkeit mit Hasenohren gesehen hatte. Es kommt ja im Deutschen öfter vor, dass ein R durch ein S ersetzt wird oder umgekehrt. Denkt nur an unser Lied vom Scheiden. Darin heisst es: „So dir geschenkt ein Knösplein was . . .“ Da habt ihr noch die alte Mitvergangenheit „was“ vom Zeitwort „wesen“, das heisst „sein“; heute sagt man wohl für „das Sein“ noch „das Wesen“, aber statt „er was“ sagen wir „er war“ — “ Die Kinder nickten und von mehreren Seiten liess sich ein leises „Aha!“ vernehmen. Auch der Name Ansorge machte keine Schwierigkeiten. „Ane“ hiess im alten Deutsch soviel als „ohne“ — also war der Herr Ansorge ein sorgloser Mensch gewesen, ein lustiger Bruder. Über den Namen „Anweiler“ waren die Ansichten geteilt: Die einen meinten, den Namen hätte einer bekommen, weil er an einem Weiler, d. i. an einem Landgut oder einer kleinen Ortschaft gewohnt hätte, andere aber erklärten den Namen ähnlich wie An-Sorge: Anweile mochte Anes-Weile, d. h. ohne freie Zeit, ohne Musse, bedeutet haben; und Anweiler mochte einer genannt worden sein, der sich immer Arbeit wusste und darum nie müssig war.

      Als die Beiträge spärlicher wurden, rückte der Sohn des Buschenwirtes mit zwei Namen heraus, die er sich von Gästen gemerkt hatte: „Zahradnik“ und „Kominik“. Damit erreichte er, dass die Klasse zu kichern begann. Der Oberlehrer aber fragte ruhig: „Wisst ihr auch, warum ihr lacht? — Weil euch die nichtdeutschen Wörter sinnlos vorkommen. Aber wir können sicher sein, dass auch Namen, die wir nicht verstehen, ihre Bedeutung haben.“ Und schon meldete sich die kleine Ludmilla, das Töchterlein des Schneidermeisters Zaplatil: „Kominik“ heisst Kaminfeger, Rauchfangkehrer. Und „Zahradnik“ bedeutet „Gärtner“, „Zahrada“ ist der „Garten“. Der Oberlehrer schrieb die Namen nebeneinander an die Tafel. Er unterstrich Komin und Kamin.

      Unter Za-hrad-nik schrieb er:

      Hrad=Grad=Burg,

      Graz=Gradec=Hradec=Burgstadt,

      Grätzel=Bürglein,

      König-Grätz=Königsburg,

      Bel-grad=Weissen-burg,

      Garde1 =Wache,

      Garde1 -robe-Kasten=Kleiderschrank,

      Zahrada=Gart-en, lateinisch hort-us

      Hort

      Hirt

      Hürde.

      hűten=hiarten (Dialekt)

      Hut

      Hütte

      Er wartete, bis die Kinder mit dem Nachschreiben fertig waren; dann fragte er: „Was sagt ihr dazu?“ — Der Feitsinger Franzel meldete sich: „Komin und Kamin ist ja dasselbe Wort!“ — Dann aber blieb es stille, bis der Oberlehrer dreinhalf: „Versucht zunächst, die angeschriebenen Wörter in Sätzen anzuwenden. Vielleicht glückt es euch, die meisten mit einem gemeinsamen Zeitwort in Verbindung zu bringen.“ Jetzt kam Leben in die Klasse:

      „Die Garde-Soldaten bewachen die Burg.“ — „Im Garderobe-Kasten werden die Kleider aufbewahrt.“ — „Wenn der