Die Hegerkinder in der Lobau. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder in der Lobau
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570074



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von meim Juchazer

      ’s Echo verklingt.

      Und wann i furt muass bleibn.

      Packt mi fest ’s Hoamweh an,

      Halt mi mit aller G’walt,

      Möcht’ glei davon!

      Die vier letzten Zeilen hatten sich die Brüder eigenmächtig angepasst, wie sie’s jetzt fühlten. Anders hatten sie’s in der Schule gelernt; jetzt waren sie fort aus der Heimat; aber dem Heimweh waren sie nicht entgangen. Immer wieder war es Franzel, der von Gaming zu reden anfing wie von einer schöneren Welt.

      Bertel beschlich ein Gefühl der Beschämung, wenn er Franzel die Herrlichkeiten seines Gamsgebirgs so rühmen und die geliebte Lobau schmähen hörte. Und er suchte sein Prahlen zu übertrumpfen.

      Aber soviel er ihm auch von den rotgoldig und kupferig befiederten Fasanen erzählte oder gar von den Königsfasanen mit meterlangen Stossfedern, von den Rudeln der Rehe in den Stadlauer Auen, von den vielen Hirschen auf der grossen Insel Lobau, von den Kolonien der Fischreiher, der Krähen und Kormorane hoch oben in den alten Silberpappeln des Rohrwörth1 , er vermochte das Heimweh des Gebirglers nicht zu bannen, weil ihn der noch durchnässte Boden daran hinderte, den Franzel dorthin zu führen, wo das Wild seine Wohngebietehatte. Da zeigte er zunächst dem unzufriedenen Vetter in der Dammböschung die vielen mit Steinen verkeilten Kaninchenlöcher, aus denen der Vater mit Hilfe der zahmen Frettchen oft die „Künigl“ herausgetrieben hatte, und machte ihm Hoffnung auf die Teilnahme an der Jagd auf dieses Kleinwild, von dem der Heger unverrechnet abschiessen durfte, soviel er wollte. Dann zeigte er ihm von der Dammhöhe aus die Türme des Schlosses Kaiser-Ebersdorf, von dem aus Napoleon im Neunerjahr die Schiffsbrücke über die grosse Donau nach der Lobau-Insel geschlagen hatte, jene Schiffsbrücke, auf der das Franzosenheer vom rechten aufs linke Donau-Ufer hinübermarschiert war. Er erzählte ihm, dass die Österreicher die Brücke in Brand gesetzt hätten, und zwar durch brennende Schiffsmühlen, die sie stromabwärts treiben liessen. Aber, nachdem Napoleon sie hätte wiederherstellen lassen, wär’ die Donau arg angeschwollen und hätte die Brücke durch schwimmende Eismassen vernichtet.

      Eines Tags gingen die Knaben stromaufwärts, immer auf der Dammhöhe, von der aus der Blick frei war über die grosse Wasserfläche. Noch war das Inundationsgebiet1 überflutet und einzelne Weidensträucher, die auf dem Schotterland wuchsen, wippten im ziehenden Wasser. Franzel, der zwar schon den ruhigen Erlaf-See, aber noch nie so viel strömende Flut gesehen hatte, machte grosse Augen.

      Seine Blicke wanderten über die splitterige Wasserfläche hinüber nach dem ungeheuren Häusermeer der Wienerstadt mit dem Stephansturm und der Rotunde. Und als er den Leopolds-, den Kahlenberg und den Bisamberg erspähte, da rief er aus: Jöi, da san ja aa Berg!“ Er liess einen Jodler steigen, der weithin hallte über Wässer und Auen. Der Jauchzer des Bergbuben war auch im Buschwirtshaus des Roten Hiasels vernommen worden. Da kam Hiasel, der Bub des Wirtes, auf den Damm. Der Hegerbertel winkte ihn herbei. Hiasel und Franzel gefielen einander. Hiasel zeigte dem Neuen den Holzschuppen beim Haus, dessen Bretter von einer alten Schiffsmühle herrührten, die in der Franzosenzeit am Wasser gestanden war. Dann übernahm er die Führung ins noch feuchte Auland.

      So rückten die drei Jungen nordwärts vor, bis sie zu dem vom Hochwasser zerstörten und erst am Vortage wiederhergestellten Stege kamen, der über die Alte Naufahrt auf den Grossen Biberhaufen führte. Auf dem Stege standen sie stille. Hiasel erspähte einen armlangen Hecht, der regungslos im seichten Wasser der Strömung entgegenstand, auf die kleineren Fische lauernd, die sich ahnungslos vor ihm herumtrieben, weil er einem im Wasser schwebenden Holzknüttel glich, der graugrün war von Schlamm und Algen. Hiasel winkte den beiden Kameraden, sie sollten stille sein, streifte seine Schuhe und Strümpfe ab und schob die Beinkleider bis über die Knie hinauf. Er stieg leise hinter dem Hecht ins Wasser. Dass es noch kalt war, kümmerte ihn nicht. Behutsam bewegte er sich vorwärts, um ja nicht durch eine Welle des Hechtes Aufmerksamkeit von den belauerten Fischen abzulenken. So unmerklich setzte er Fuss vor Fuss, dass die Jungfische ahnungslos um seine nackten Beine herumschwammen; er zuckte auch nicht, wenn sie neugierig an seine Haut stiessen. Als er so nahe hinter dem Hechte stand, dass er die von der wedelnden Schwanzflosse erzeugten Wellen an seinen Schienbeinen spürte, senkte er leise seine Hände ins Wasser, als wollte er den Hecht beim Schwanze packen. Mit angehaltenem Atem folgten Bertels und Franzels Augen den schleichenden Bewegungen Hiasels. Jetzt hing der Erfolg vom glücklichen Griffe ab. Hiasel hatte Geduld und Selbstbeherrschung. Langsam, ganz langsam rückten seine Hände zu beiden Seiten des Fisches vor, ihn beinahe, aber doch gar nicht berührend. Erst als er seine Daumen neben den Kiemendeckeln des Fisches sah, die sich beim Atmen bewegten, griff er herzhaft zu. Beide Daumen bohrte er ihm unter die Kiemendeckel und schloss die Finger um die Kehle. Mit jähem Ruck hob er den zappelnden Fisch aus dem Wasser, drückte ihn mit der Linken gegen einen Stein, hob mit der Rechten einen Kiesel auf und tötete den Hecht durch einen Schlag auf den Kopf.

      Da standen die beiden Kameraden neben ihm. Durch einen seitlichen Druck auf die Kinnladenwinkel zwang Hiasel den toten Hecht, das tiefgeschlitzte Maul zu öffnen, das von aussen einem Entenschnabel glich, im Innern aber ein vielzähniges Raubfischgebiss aufwies. Gaumen und Zunge waren mit einer Menge kleiner nach hinten gebogener Hechelzähne besetzt, der Unterkiefer aber hatte nebst einer Reihe kleiner nadelspitzer Zähnchen eine Anzahl langer, zweischneidiger Fangzähne. „Wann der di bissen hätt’!“ sagte Bertel mit Schaudern. Hiasel lachte auf. „Er beisst nur vorn!“ Franzel aber, der bei solchem Fischfang an Wilddieberei dachte, raunte dem Hiasel zu: „Wann di aber aner g’sehn hätt’?“ — „Das Fischwasser hat ja mein Vater gepachtet,“ entgegnete Hiasel nicht ohne Selbstgefühl. Dann zog er dem Fisch eine Weidenrute quer durch die Kiemen und drehte sie zu einem Ring zusammen, an dem er den Fisch tragen konnte.

      Weiterschlendernd bogen die drei Buben vom Biberweg nach links ab. „Im Schierlingsgrund steht um die Zeit ein Rudel Reh,“ flüsterte der Führer. Vorsichtig vorwärtsschreitend, dass nicht das Knistern eines getretenen Zweiges ihr Nahen verrate, drangen die Schaugierigen vor neben dem Uferröhricht der Alten Naufahrt. Aber von der Überschwemmung her lagen im Grase angeschwemmte Schneckenhäuser. Von denen waren nur die langen, spitzen der Teichschnecke auf dem Rasen sichtbar, während die kreisrunden der Sumpftellerschnecke bis zum Boden gerollt und zwischen den Halmen verborgen waren. Auf ein solch leeres Schneckengehäuse trat Bertel, dass es knisternd barst. Damit scheuchte er einen Fasan auf, der mit lautem „Frr!“ neben ihnen aufflog, dass sie erschrocken zusammenfuhren. Der kupferig schillernde Hahn stieg steil auf, bäumte aber nicht, sondern strich ab, in der Richtung auf das Randgehölz eines Weidenwaldes zu, der eine Bodenwelle bedeckte. Es war ein schöner Anblick, wie der schimmernde Vogel mit breitem Flügelschlag hinschwebte, den schmalen keilförmigen Stoss als langes Steuer wagrecht ausgestreckt. Seinem Warnruf „Kock, kock“ antwortete aus dem Buschwerk das „Tschih, tschih“ einer Henne, die offenbar auf Eiern sass.

      Um aus der Nähe des Brutplatzes der Fasane zu kommen, drängte Bertel den Hiasel auf den nahen Holzweg, der westwärts führte. So gelangten sie zu einer vorjährigen Rodung im Schierlingsgrund. Sie hielten sich hinter zwei alten Bruderbäumenin Deckung und spähten die Lichtung ab. Zwei Kaninchen humpelten äsend von Grasbusch zu Grasbusch. Die schlanken Randschösslinge der im Boden gebliebenen Baumstrünke waren fast alle in Kniehöhe benagt. Bertel lenkte die Blicke der Kameraden darauf: „So hoch ist der Schnee gelegen,“ erklärte er. „Die Hasen und die Künigel haben nit zum Gras können; da haben s’ halt Rinden g’ fressen.“ „Und das da?“ fragte Hiasel. Er zeigte auf ein nahes Eschenstämmchen, das in Schulterhöhe so geschunden war, dass Rinde und Bast1 in Fetzen von der Wunde hingen. „Das hat ein Rehbock auf dem Gewissen, der hat im Vorjahr sein Geweih daran gefegt,2 weil’s ihn gejuckt hat, wie der Bast3 abgestorben ist.“

      Das Auffliegen des Fasans hatte zur Folge, dass eine Schar Eichelhäher im gegenüberliegenden Pappelbestand ein rauhes Geschrei erhob und nach allen Seiten auseinanderstob. Rechtzeitig drückten sich die Knaben in die Deckung der Bäume; denn schon trat ein stattlicher Rehbock mit noch behaartem Geweih aus dem Gehölz, um zu sichern. Als er die Lichtung leer fand, wendete er sich wieder gegen den Busch1 , aus dem er gekommen war, streckte den „Windfang“2 dem von dorther wehenden Lufthauch entgegen und stellte