Die Hegerkinder in der Lobau. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder in der Lobau
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570074



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wenn ihr mir fleissig kommt und sich’s keiner, aber gar keiner mehr einfallen lässt, schulzustürzen, führ’ ich euch alle am 21. Mai, das ist am Gedenktag der Schlacht bei Aspern, in die Lobau und auf den Enzersdorfer Turm, der ist viel höher als der Asperner und ist mit bequemeren Stiegen ausgestattet, dass ein jedes Kind hinaufkommen kann, ohne Gefahr, sich das Genick zu brechen.“ Damit war die Klasse zufrieden.

      Der Wildschütz.

      Auf die milderen Tage der ersten Märzwoche folgte rauhes stürmisches Wetter mit Regenschauern, das

      den

      Kindern den Schulweg s auer machte. Eines

      Morgens

      aber war die Au verschneit; da gab es unverhoffte Winterfreuden. Bertel, Liesel, Sepperl und Hiasel vergnügten sich schon unterwegs mit Schneeballwerfen; Franzel aber ging abseits vom Wege, an Schilf- und Buschrändern dahin, wo im weichen Neuschnee mancherlei Spuren eingeprägt waren. Da gab es grössere und kleinere, fast parallele Abdrücke langer, schmaler Sohlen der Hinterläufe von Hasen und Kaninchen, immer abwechselnd mit den kurzen hintereinanderstehenden Tupfen der Vorderläufe, dann die tiefeingedrückten, paarig beisammenstehenden Dreieckspuren der Schalen von Rehen, deren Afterhufe sich dahinter seicht abgedrückt hatten. „Aha, die Hasen und Rehe äsen schon wieder Rinden vom Gezweig!“ dachte Franzel. Nahe am Wasser entdeckte er das Geläufe von Fasanen, immer drei lange auseinanderstehende Zehenabdrücke und dahinter einen kurzen stummeligen Abdruck der Hinterzehe. — „Hm, da suchen die Fasane nach Schnecken im seichten Wasser.“ Kleine, nahe beisammen geprägte rundliche Spuren mit deutlichen Abdrücken kurzer Krallen sprach Franzel als Marderspuren an und die ihnen ähnlichen, aber winzigen Spuren, von denen meist drei beisammenstanden, als Wieselspuren. — Also trieben sich die kleine Räuber hier an den Äsungsorten des Wildes herum.

      Als Franzel neben dem Ufergebüsch der Alten Naufahrt eine kurzzehige Spur mit starker Ballenprägung fand, rief er Bertel an: „Bertel, euer Huscherl geht fischen.“ Der aber verteidigte seine Hauskatze: „Das ist keine Katzenspur, die wär kleiner. Siehst du nit die Spuren der Schwimmhäut? — Ein Fischotter war’s.“

      Solche Entdeckungen regten den Sohn des Wilderes nicht wenig auf. Er wusste, dass der Haarwechsel noch nicht begonnen hatte, und hoffte, dass der Oheim ihn am Erlegen und Fangen von Raubzeug nicht hindern werde. Er wollte durch Verkaufen der erbeuteten Felle Geld verdienen und sparen; zum Schiessen brauchte er Pulver, Schrot und Kugeln; dazu brauchte er Geld. — Einstweilen blieb ihm nichts übrig, als vom Pflegevater Gewehr und Schiessbedarf zu leihen. Er wollte sich mit ihm auf guten Fuss stellen. Die Unterrichtsstunden wurden ihm lang. Und er hatte es eilig, heimzukommen. Er suchte sich beim Heger einzuschmeicheln. Er half ihm bei der Herstellung von Kastenfallen, putzte ihm ungeschafft die Stiefel und leistete Handlangerdienste, wo er nur konnte.

      Als er ihm aber das Gewehrputzen abnehmen wollte, erfuhr er eine entschiedene Zurückweisung: „Hand von der Butten, ’s san Weinbeerl drin!“ Auf eine Anspielung, dass er „Küniglhasen“ und Raubzeug schiessen wollte, bekam er die Antwort: „Das is nix für Kinder. Und ’s Raubzeug ganz ausrotten mag i nit. Es is nit nur schädlich, es hat auch seine Aufgabe in der Natur. Es putzt alles Kränkliche, Schwächliche, Absterbende weg. Was überlebt, gibt bessern Nachwuchs.“ Statt sich aufs Bitten zu verlegen, entschloss sich der Wilderersohn, heimlich zu tun, was er vorhatte. Inden Anschauungen seines Vaters aufgewachsen, hielt er das Wildern für kein Unrecht. Es gab Halbtage, an denen „die Luft rein“ war, weil der Heger dienstlich einen weiteren Gang zu machen hatte. Nun wollte Franzel Bertels Gunst gewinnen. Eifriger als bisher war er in der schulfreien Zeit sein Gehilfe bei den Hausarbeiten: beim Stallausmisten, beim Holzhacken oder Sägen.

      Die täglich sich wiederholenden Begegnungen mit Rehwild, Fasanen, Hasen und Kaninchen versetzten den schussgierigen Franzel in fieberhafte Aufregung; aber mit Bertel war nichts anzufangen. Der war ein richtiger Hegerbub. Er warnte Franzel eines Tages: „Dass du dir’s ja nit einfallen lasst, etwa vom Vater eine Büchsflinten anzurühren, sonst gibt’s Wichs, aber nit wenig! Der Vater ist gach!“ Von diesem Tage an sann Franzel darauf, sich ein anderes Schiessgerät anzufertigen, eines, das keinen Lärm machte.

      Er dachte zurück an die Gaminger Zeit, wo er mit anderen Buben sich im Schiessen mit Pfeil und Bogen geübt hatte. Und er wusste, dass ein gewöhnlicher Rutenbogen den Pfeil nicht weit schnellte. Er hatte von den Indianern gelesen, die mit ihren langen Bogen den Pfeil dem hochschwebenden Adler in die Brust sandten. Von Bertel wusste er, dass die Kaninchen keinen Schutz genossen, da sie durch ihr Wühlen die Dämme gefährdeten. Er wollte sich einen grossen Indianerbogen schnitzeln und damit Jagd machen auf das vogelfreie Wild und aufs Raubzeug. Er versuchte es mit Dirndel-1 und Ahornstäben. Da riet ihm Bertel, der von der Bastelei Franzels angesteckt war, zu starken Eschenschösslingen. Und jeder der Buben brachte einen Eschenbogen zustande, der in der Mitte über daumendick, gegen die Enden zu dünner geschnitzt wurde, wie es auf Abbildungen von jagenden Indianern zu sehen war. Und ein solcher Bogen hatte eine wunderbare Schnellkraft. Als Pfeile benützten sie anfangs starke Schilfrohrhalme, deren hinteres Ende sie gabelig zuschnitten, so dass es gut auf der Schnur sass. Als diese Pfeile zu wenig Wucht hatten und darum unsicher flogen, besteckten sie dieselben vorne mit dicken, kurzen, ausgehöhlten Hollunderstäben und in diese keilten sie spitze Quarzsplitter, die sie durch Zerschlagen von Donaukieseln erhalten hatten. Auch Hiasel und Sepperl wurden angelernt, sich mit Pfeil und Bogen zu versehen. Sie übten sich im Zielschiessen und spielten Indianer. Der Heger sah es gerne, dass sein Bertel sích jetzt mit den Kameraden austollte, und schenkte der Pfeilschiesserei keine besondere Beachtung. Franzel aber war mit den Erfolgen des Zielschiessens nicht zufrieden. Er mochte noch so sorgfältig zielen und die sanft gekrümmte Fluglinie des Pfeiles mit einschätzen, er war nie des Treffens sicher. An den Halmknoten waren die Schilfhalme uneben, das gab dem Pfeil Stösse, während er über den Bogen holperte. Franzel brauchte eine verlässliche Waffe. Da suchte er nach geraden Stäben. Er fand glatte, rotrindige Hartriegelschösslinge, die senkrecht vom Boden aufstrebten; aber sie warfen sich beim Trocknen. Waren sie noch so sanft gebogen, so waren sie schon als Pfeile unbrauchbar; das Verbiegen musste er verhindern. Da kam er auf den Einfall, die frisch geschnittenen Hartriegelruten erst zu entrinden, dann im Dachboden aufzuhängen und jeden durch einen am unteren Ende befestigten Stein zu spannen. So zwang er sie, beim Trocknen schnurgerade zu bleiben.

      Die grösste Sorgfalt verwendete er auf die Anschäftung spitz geschlagener Steinsplitter, die er in Holderröhrchen einpichte.

      Die neuen Pfeile benützte Franzel heimlich zum Probeschiessen. Beim ersten Schuss traf er wohl einen Baum auf fünfzehn Schritt Entfernung und der Pfeil drang in die weiche Borke ein. Als aber der glückliche Erfinder einen entfernteren Baum treffen wollte und seinen Bogen allzu stark spannte, sprang das vom Abschnitzen am Ende geschwächte Holz den Fasern nach. Da war leicht zu helfen. Franzel schnitzte aus einem stärkeren Eschenstab einen neuen Bogen, der vom Erdboden bis zu seiner Schulter reichte, umwickelte ihn aber, soweit er durch Abschnitzeln an seinen Enden verdünnt war, dicht mit Spagatschnüren. Um die Festigkeit durch Versteifen der Wickelung zu erhöhen, bestrich er den Spagat mit heissem Leimwasser. Dann aber musste der neue Bogen einige Zeit Nuh haben, damit der Leim erhärtete.

      Der Schnee in der Au zerging, zwei milde Tage kamen, dann gab es wieder Neuschnee. Die Buben trieben ihr Indianerspiel weiter, so oft sie zusammenkommen konnten. Franzel benützte beim Spiele einen gewöhnlichen Rutenbogen und Rohrpfeile. Die neuen Pfeile hielt er geheim. Ihm lag nichts an der Bewunderung der Kameraden, nur auf den Erfolg kam es ihm an. Und heimlich ging er’s an, wie sein Vater. Beim Heustadl, in dessen unmittelbarer Nähe ein Holzstoss lag, hatte er im Neuschnee die winzigen Spürchen von Mäusen, aber auch grössere Spuren entdeckt, die er als Marderspuren ansprach. Hier schlich er sich an, so oft er unbemerkt abkommen konnte, und dreimal lauerte er vergeblich, bis ihn in die Finger und Zehen fror. Beim viertenmal aber wurde er des Raubtieres ansichtig; es war braun und hatte einen lichten Kehlfleck. Ein Hausmarder. Er sah ihn huschend unterm Holzstoss verschwinden. Dann wartete er vergebens auf sein Herauskommen.

      Als er das fünftemal kam, nahm er hinter einer dicken Pappel dem Holzstoss gegenüber Deckung, lehnte sich fest an den Baum, legte den Pfeil auf die Sehne und bewachte den Einschlupf. Nach einer ihm endlos scheinenden Geduldprobe, als es ihm vom angestrengten