Die Hegerkinder in der Lobau. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder in der Lobau
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570074



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Ringplatz von Eggenburg ist eine freistehende Häusergruppe, wie eine kleine Burg; die heisst ,Grätzel“ — ,Im Hort werden die Kinder vor schlechter Gesellschaft bewahrt,“ — „Der Hirt bewacht die Herde; er bewahrt sie in der Hürde, damit sie nicht auseinanderlaufen.“ Der Hut bewahrt den Kopf vor dem Regen. Die Hütte bewahrt die Leute vor Kälte. —

      Und wieder schwiegen die Kinder. Da gab ihnen der Oberlehrer einen Wink: — „Ihr müsst doch etwas herausspüren, das in jedem der ähnlichen Wörter steckt. Wenn auch das H durch G ersetzt wird, oder das d sich verwandelt in t oder tz oder c, wenn auch zwei Laute den Platz wechseln und die Selbstlaute sich wunderlich ändern, es ist doch immer etwas Gemeinsames im Wort; das muss doch überall denselben Sinn tragen; ob das Wort nun gart heisst oder gard, grad, gratz, hrad, hort, hirt oder hürd.“ Von drei Seiten auf einmal kam die Antwort: ,,bewahren, behüten“. Da fiel des Oberlehrers Blick auf die zarte Martha Opferkuh, die still vor sich hinweinte. Seine guten Augen fragten das Kind: ,,Martha, warum weinst du?“ Die Kleine brachte unter stossweisem Schluchzen die Frage her vor: „Warum muss ich Opferkuh heissen?“ — „Wein’ doch nicht! bei uns heissest du ja nur Martha. Den dummen Namen hat offenbar der Feldwebel erfunden, der bei der Volkszählung vor mehr als hundert Jahren deinen Ur-Urgrossvater in die Liste der Steuerpflichtigen einschrieb. Weil die Juden zuviel gleiche Namen hatten, mussten ihnen zur Unterscheidung besondere Namen gegeben werden. Wer dem Listenschreiber viel Geld gab, der durfte sich einen Namen aussuchen, wie er ihm gefiel. Zum Beispiel: Mandelblüh, Rosenduft, Stern, Gold oder Diamant. Wer nicht genug oder nichts zahlte, musste den Namen annehmen, den man ihm mit mehr oder weniger Witz gab. Dass dein Ur-Urgrossvater kein reicher Mann war, und dass auch dein Vater nicht reich ist, darauf solltest du stolz sein.“ Über das Gesicht der kleinen Martha glitt ein verständnisvolles Lächeln. Sie setzte sich und trocknete sich die Augen. Der Oberlehrer sprach nun zur Klasse: „Was wir jetzt durchgesprochen haben, aus dem habt ihr bis heut acht Tag’ eine Aufgabe: Ein jeder sucht einige Namen, die bis heut bei uns nicht besprochen worden sind, und erklärt sie, so gut er kann. Ob er sie von Schildern herabliest oder von Grabsteinen, ob er sie von Erwachsenen erfragt, ist alles eins: Wer ein besserer Forscher ist, der wird mehr zustand bringen und besser deuten.“

      Bald nahm auch der Oberlehrer von den Kindern die Gewohnheit an, die drei Pflegebrüder mit den Namen aufzurufen, die ihnen das kleine Volk beigelegt hatte. Heger-Bertel, Steiger-Franzel, Stricker-Sepperl.

      Franzel wusste sich’s in einigen Tagen beim Hansi durchzusetzen, dass er ihm beim Orgelspielen helfen durfte als zweiterBlasbalgtreter; als erster behauptete Poldi seinen Platz, der flachsköpfige sommersprossige Bub des Mesners.

      War ein Requiem auf halb 7 Uhr früh angesetzt, so marschierte Franzel schon um halb 6 allein aus, denn er durfte zum Blasbalgtreten nicht zu spät kommen. Hansi musste sich aufseine Pünktlichkeit verlassen können. Daneben suchte der Steiger-Franzel Gelegenheit, sich mit dem Kirchturm näher bekannt zu machen, in dem er emporsteigen wollte bis unter die Blechhaube, die kleine Guckfenster hatte und das Turmkreuz trug. Von dort musste es einen weiten Ausblick geben. Und der Mesnerbub hatte nichts dagegen, dass Bertel ihm beim Ziehen der Glockenstränge half, wenn er nach der Vormittagsschule Mittag läutete oder an Sonntagen das Läuten vor dem Gottesdienst besorgte.

      An einem hellen Mittag überliess es Franzel dem Mesnerbuben, allein den Glockenstrang zu ziehen, und stieg die steile Treppe empor. Das Brettergehäuse, in dem die Glockenstränge hingen und die steinernen Uhrgewichte, nahm das Innerste des dickmäuerigen und darum schmalen Turmschachtes ein, der durch Zwischenböden in mehrere Stockwerke geteilt war. Da blieb nur wenig Raum für die Treppe. Die war so schmal, dass der Steigende mit dem linken Ellbogen die Mauer, mit dem rechten das Seilgehäuse streifte. Die Glocken dröhnten und ihr Schwingen machte alles Gebälk und die Treppe zittern. Aber Franzel stieg beherzt empor und stiess mit dem Kopf die Falltüren auf, die ein Stockwerk vom andern trennten. Er musste auf dem handbreiten Rande zwischen dem Seilkasten und dem gähnenden Falltürloch sich hinübertasten zum nächsten Treppenansatz. Nur nicht zurückschauen, sonst stürzte er rücklings in den Schacht. So gelangte er zum Uhrwerk, das in einem mächtigen Kasten untergebracht war, der ein Glasfenster hatte zur Beobachtung des kleinen inneren Zifferblattes. Franzel hob den Deckel des Kastens, beguckte die drei Walzen des Gehwerks, des Viertel- und des Stundenschlagwerks, die tellergrossen und die kleineren Zahnräder und hastete weiter. Als er an die schwingende Glocke kam, hielt er sich beide Ohren mit den Fingern zu und bestaunte die Einrichtung: Am Ende eines Hebels hing das Zugseil. Inmitten des Hebels war an eiserner Querachse die fassgrosse Glocke befestigt, die hin und her schwang. Bei jedem Schwunge schien es, als wollte sie bei der Schall-Luke hingusfliegen. Und als die Glocke zur Ruhe kam, hörte Franzel ihr dröhnendes Klingen noch eine Weile fort. Ihm war ganz dumm im Kopfe.

      Der Turm wurde bedeutend enger. Eine lange eiserne Leiter, die nahe an der Mauer befestigt war, führte bis zum Ziegelgewölbe, das den gemauerten Turm unter der Blechhaube abschloss. — Da stand er nun und konnte nicht weiter. Wohl sah er im Gewölbe ein ausgebrochenes Loch und durch dasselbe das dicke Holzgebälk des Dachstuhles, auch eine der Blechtüren, die ein Guckloch verschloss, aber da war keine Leiter, die hinaufgeführt hätte. Vorsichtig streckte er sich von der vorletzten Sprosse der eisernen Leiter auf, bis er das Gewölbe mit den Fingern berührte, ertastete den Rand des Deckenloches und rüttelte an der nur einen Ziegel dicken Wölbung, ob sie fest genug wäre, ihn zu tragen. Dann umgriff er mit beiden Händen einen Randziegel, zog sich zum Beugehang auf, und seine Füsse lösten sich von der Leiter. Ohne einen Blick hinter sich zu werfen, wie tief der Abgrund sei, in den er fallen müsste, wenn er losliesse oder wenn der Ziegel nachgäbe, spannte er die Armmuskel an und ging vom Beugehang in den Stütz über. Dann zog er das rechte Knie hoch, beugte den Oberkörper vor, kniete zunächst rechts, dann links auf und stand im nächsten Augenblick mitten auf dem Kreuzgebälk, das der Wölbung auflag. Helligkeit umfing ihn, die Sonne schien durch die offene Südluke in das winzige Turmgemach, dessen Raum zum grossen Teil von den ineinander verbissenen, sehr dicken Dachstuhlbalken erfüllt wurde. Im Blechdach war ein Knistern vom Winde, der daran rüttelte. Der Blick aus dem Fensterchen brachte dem kühnen Steiger eine arge Enttäuschung. Tief unter ihm der Heldenplatz von Aspern mit dem steinernen Löwen, dann die Schule und andere Häuser, dann Felder und Wiesen und endlich die geschlossene Masse der hohen Aubäume, durch die nicht einmal der Spiegel des Mühlarms und der Alten Naufahrt blinkte. Er hatte gehofft, den Donaustrom, die Arme der Alten Donau, die Inseln und Inselchen und die ganze Wienerstadt überblicken zu können wie ein Falke, der hoch in der Luft darüberschwebt; und jetzt, nach der gefahrvollen Steigerei, sah er kein Wasser blinken; und die Auen verdeckten die Wienerstadt, über der noch dazu ein dicker Kaab1 lag, dass kaum die Kuppel der Rotunde zu erkennen war. Die Blechtürchen der anderen drei Guckfenster waren verriegelt, die Riegel eingerostet. Da entschloss er sich, wieder hinabzusteigen. Aber als er durchs Loch der Wölbung hinunterschaute in den Turmschacht, kam ihm die Überlegung, es könnte doch ein Ziegel losbrechen, wenn er, an ihm hangend, die Beine schwingen liess, um mit der Leiter Fühlung zu bekommen. Da rief er durch das Loch hinunter: „Poldi! Poldi!“ Keine Antwort, nur das langsame heisere Ticken der Turmuhr. Zum Guckloch zurückgekehrt, erspähte er zunächst in einem Fenster des Schulgebäudes den Kopf des Oberlehrers, dann aber ganz nahe am Löwen von Aspern den Mesnerbuben, der mit dem Orgel-Hansi beisammenstand und spielend den Turmschlüssel um den Finger wirbeln liess. Franzel wiederholte seinen Ruf. Poldi schien nicht zu hören; der Wind mochte den Schall vertragen. Da hob Franzel einen Mörtelbrocken vom Boden ab, band ihn in sein Sacktuch und warf ihn hinunter, dass er vor den Füssen der beiden Kameraden aufklatschte. Jetzt schauten sie zu ihm empor, schwenkten die Hüte und setzten sich in Trab. Bald vernahm er das Tappen ihrer Schritte auf den Treppenstufen. Da rief er ihnen durch die vorgehaltenen Hände zu: „Bringts a Later, i kann nit abi!“ Und richtig kamen sie mit einer kleinen Leiter angestiegen. Als Poldi das dünnholmige Ding mit dem schmäleren Ende durch das Deckenloch steckte und das breitere Ende über einer Sprosse der Eisenleiter verspreizte, rief er Franzel an: ,,Blinder Hess2, hast es denn nit lahner g’segn beim Uhrkasten?“ Franzel überhörte den neuen Namen und war froh, als er die beiden zu sich emporklettern sah.

      Erst half er dem Poldi, dann dem zaghaft nachfolgenden Hansi beim gefährlichen Übersteigen von den obersten Sprossen auf das Kreuzgebälk. Im Nu waren alle drei beim offenen Guckloch. — Da hörten sie unter sich ein schweres Tappen auf der Treppe. Und Poldi