Die Hegerkinder in der Lobau. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder in der Lobau
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570074



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wie der Bock. Dann trippelten zwei Kitze aus dem Jungholz, deren rötliche Decke noch die weissen Tupfen des Jugendkleides trug. Der ganze fünfgliedrige „Sprung“ begann sorglos zu äsen.

      Nur die Ricke hob von Zeit zu Zeit den Kopf, mit den braunen Lichtern1 ringsum äugend. Immer näher kam das schöne schlankgebaute Rehwild den beobachtenden Knaben. Franzel, der Wildererssohn, zitterte vor Aufregung. Er bückte sich und hob einen Knüttel auf, ohne dass Bertel und Hiasel es bemerkten. Da huschte ein grosses braunes Wiesel hinter einem Holzstrunk hervor, dem sich eines der äsenden Kaninchen genähert hatte. Blitzschnell sprang das kleine Raubtier den viel grösseren Nager an und verbiss sich in seinem Nacken. Mit einem Angstpfiff schnellte der meuchlings Überfallene in die Höhe und setzte sich in Bewegung. Nach links und rechts Haken schlagend, versuchte das wehrlose Kaninchen den blutsaugenden Reiter abzuschütteln, das Wiesel aber liess sich von ihm tragen. Franzel hob den Arm mit dem Knüttel. Da fasste ihn Bertel am Handgelenk. „Das gibt’s nit! Schmeissen darfst nit; das tät der Vater nit dulden. — San eh z’viel Künigl da.“ — Den Tod im Nacken, lief das Häschen auf ein Brombeergebüsch zu, unter dem es verschwand. Bertels Ruf aber hatte die Rehe scheu gemacht; sie setzen sich in langen bogenförmigen Sprüngen in Bewegung, dass ihre weissen Spiegel1 auf und ab hüpften. Bock voran und Ricke zuletzt, bargen sie sich im Walde, aus dem sie gekommen waren.

      Franzel wollte ihnen nach, Bertel aber mahnte zur Umkehr: „Hast g’nug g’sehen für heut.“ Im Gehen fragte er ihn: „Na, was sagst jetzt, is’s bei uns in der Lobau nit aa so schön wie bei enk im Gamsgebirg?“ — „No lang nit,“ gab Franzel zur Antwort. „Da geht ma’ und geht, allweil in der Eben. Bei uns aber kannst steigen! Und von der Höh’ kannst weit ausschauen, dass dir die Augen übergengen.“ — „Steigen kannst bei uns aa, ’s gibt g’nug alte Bam, die’s d’ nit dersteigen magst.“ — „Hast mi leicht scho’ steigen g’sehn?“ fragte Franzel dagegen. — „Habts ja meist Feichten im Gebirg, hast du mir g’sagt; da steigst gar leicht von ein’m Quirl zum andern, wie auf einer Leiter von einer Sprossen zur andern. Aber unsre Pappeln da san keine Feichten. Auf ein’ jungen Felberbam,2 auf eine junge Pappel, Ruster oder Eichen kummst nauf; aber auf ein’ alten Pappelbaum kummst ohne Seil und Steigeisen nit.“ So Bertel. — „Den Bam möcht’ i sehn, auf den i nit nauf käm’,“ verteidigte sich Franzel. Und er liess seine braunen Augen in die Runde gehen.

      Da kamen sie zu einer uralten Silberpappel, deren Stamm weit über Mannshöhe astlos war und dabei so dick, dass auch zwei Männer sie nicht umklammert hätten. Und ringsum fehlte die Borke bis auf geringe Reste. „Das haben die Bamschabel3 g’macht, das dumme G’sindel,“ ereiferte sich der Hegerbub. „Was dir nit einfallt,“ berichtigte ihn Hiasel. „Der Bam hat im Jahr 1830 das grosse Hochwasser mitg’macht, bei dem der Eisgang den Leuten im Marchfeld die Häuser zerdruckt hat; den Bam da haben die Eisschollen g’schunden.“ Zum Franzel gewendet, fragte er ihn herausfordernd: „Was sagst zu dem Bam? — Zwingst den? han?“ Da sprang der Gebirgler das Baumungetüm an, fasste eine der kropfigen Knorren, die den Stamm verunzierten, zog sich im Beugehang auf, bis er mit seinen genagelten Schuhen an einer tiefer sitzenden Knorre Halt fand, hielt sich mit der Linken, holte mit der Rechten weit aus, langte mit der Linken nach, zog wieder den Körper nach, fasste wieder Fuss, und im nächsten Augenblick stand er schon auf dem ersten Ast. So klomm er von Knorre zu Knorre, von Ritze zu Ritze, von Aststummel zu Aststummel, immer höher und höher, dass den beiden Zuschauern unten schwindelte. Und als er hoch oben in einer Wipfelgabelung stand, hielt er sich mit der Linken fest, schwang mit der Rechten sein spitzes Lodenhütel und sandte einen langgezogenen Juchezer weithin über die Wipfel der jüngeren Aubäume, die tief unter ihm standen. Dann deutete er nordwärts. „I siach an Turm! — Der g’hört aa mein.“

      Schneller als er aufgestiegen war, glitt und rutschte er am Stamme hinab, dass sich Stücke der abgestorbenen Rinde ablösten und das Wurmmehl den in die Höhe starrenden Kameraden in die Augen stäubte. — Als er unten stand, atmete er tief und heftig. Seine Knie waren blutig verschrammt. Die Finger beider Hände, unter deren Nägeln das Blut hervorsickerte, steckte er in den Mund und lachte Hiasel an. Der war sprachlos vor Staunen. Bertel aber sprach vor sich hin: „Dass’s so was gibt?“ Und jetzt fand auch Hiasel den Ausdruck für seine Anerkennung: „Bist halt ein Steiger, ja.“ Der Gebirgler war mit der Lobau ausgesöhnt.

      Als er und Bertel sich bei der Schenke von Hiasel verabschieden wollten, enteilte dieser ins Haus und rief ihnen von der Schwelle aus zu: „Wart’ts a wengerl.“ — Und im Nu war er wieder da. Den Hecht, den er bisher getragen hatte, reichte er dem neuen Freund: „Da hast, Steiger, i gib dir’n; der Vater hat’s erlaubt.“ Da nahm der so Beschenkte einen der weichfilzigen Blumensterne, die er hinter der Hutschnur stecken hatte, und reichte ihn dem Hiasel: „Heb’ das Edelweiss gut auf, es is vom Hetscherlberg.“

      Auf dem Heimweg musterte Franzel an der Nordseite des Regulierungsdammes wieder die vielen Löcher, welche von den wilden Kaninchen darein gegraben worden waren. Voreilig versprach ihm Bertel, der Vater werde ihm, dem Franzel, erlauben, dass er sie abschiesse. Da leuchteten die Augen des Wildschützensohnes auf. Hatte ihm doch der Neunteufel auf der Herfahrt vorgefaselt, beim Hegeronkel dürft er schiessen, was er wollte: Hasen, Fasanen, Reh und Hirsche. Als die beiden daheim anlangten, kam ihnen Liesel freudestrahlend entgegen: „Der Sepperl hat das Strumpfstricken g’lernt. Er kann auch schon die verkehrten Maschen und ’s Abnehmen!“

      Als Bertel und Franzel ihren Fisch der Hegermutter in die Küche brachten, fanden sie Sepperl nicht etwa beim Strumpfstricken, sondern vor einer umgestülpten Kiste, die er für Liesels Puppen als schöne Stube herrichtete. Eine Feigenkaffee-Schachtel, in deren Ecken er vier Stäbchen eingenagelt und die er mit weissem Papier überklebt hatte, war der Tisch, ein Brettchen mit vier Füssen und hoher Lehne, von der ein rotes Tuchrestel über den Sitz wallte, war der Diwan.

      Da sassen die zwei Puppen beim Kaffee, der in grossen Eichelnäpfen aufgetragen war, und hatten einen Gugelhupf vor sich, so gross wie ein halber Apfel. Es war ein richtiger Gugelhupf, den die Liesel gebacken hatte. Und oben auf der Kiste, also über der Zimmerdecke, lag Huscherl, die graue Hauskatze; sie hatte ein himmelblaues Halsband um und schien mit Eifer jeder Handbewegung Sepperls zu folgen, der dabei war, aus einem alten Zigarrenkistchen eine Anricht — oder, wie Liesel sagte, — eine Kredenz herzustellen.

      Franzel und Bertel widmeten sich dem Putzen und Ausweiden des Hechtes. Als die zweiteilige Fischblase zum Vorschein kam, riss Franzel sie heraus, warf sie auf den Tisch und schlug mit der Faust darauf, dass sie mit lautem Krach zerbarst. Das klang wie ein Schuss. Die Katze sprang von der Kiste und verkroch sich unterm Wasserbankel, Liesel und Sepperl aber liessen vom Puppenspiel ab und wendeten ihre Aufmerksamkeit dem Fisch zu. Da zog Bertel zwei gelbliche Lappen aus dem Bauche des Hechtes, die aus vielen, vielen kleinwinzigen Kügelchen bestanden. „Mutter, da hast den Rogen für die Suppen.“ — Die Hegerin aber fragte die Kinder: „Welches von euch kann mir sagen, was der Rogen eigentlich ist?“ — „Eigentlich?“ — Keines wusste eine Antwort. „Denkt an die Henn’,“ half die Mutter darein. „Sollte der Rogen der Eierstock sein?“ fragte Liesel. „Es is nit anders. Jedes gelbe Kugerl ein Ei.“ „Wann die Hechtin am Leben blieben wär’ und aus jedem Eierl wär’ ein Hecht gewachsen,“ warf Bertel ein, „da hätt’s ja von lauter Hechten in der Naufahrt gewurlt. Die hätten aufgeräumt unter den anderen Fischen und schliesslich hätten s’ verhungern müssen oder eins das andre auffressen!“ — „Es wär’ nit so arg worden,“ beruhigte ihn die Mutter, „die meisten jungen Hechterln wären ja gefressen worden von der ältern Verwandtschaft. Glaubst, so ein hungriger Hecht macht einen Unterschied zwischen gewöhnlichen Spennadlern1 und jungen Hechten?“ — Da meldete sich Liesel: „ Mutter, darf ich ein Ei nehmen, ich möcht’ den Fisch panieren.“ Die Mutter nickte. Kochenspielen ging der Liesel über alles. Flink wusch sie den Fisch, salzte ihn und zerteilte ihn in sechs gleich grosse Schnitzel, die sie mit Mehl bestäubte. Dann zerschlug sie ein Ei, tat Dotter und Eiweiss in einen Teller und verrührte sie mit einer Gabel. In die klebrige Flüssigkeit tauchte sie die Schnitzel, damit die Semmelbrösel gut daran hafteten. Aus prasselndem Schweineschmalz knusperig gebacken, duftete der Fisch, dass allen „das Wasser im Munde zusammenlief“. Wenn auch Liesels Schnitzel nur als zarte Leckerbissen das Abendmahl vervollständigten, sie war glücklich, dass allen schmeckte,