Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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Mann – von ihm selbst wahrscheinlich noch gar nicht einmal bewusst erkannt – eine Wandlung abzuzeichnen. Unwillkürlich verglich er in Gedanken Katharina mit dem dort auf der Polsterbank sitzenden Mädchen. Obwohl er immer gewusst hatte, dass Katharina wesentlich älter war als er, hatte es ihn bisher jedenfalls nicht beeindruckt. Plötzlich aber, in diesen wenigen Sekunden, wurde ihm der Altersunterschied zwischen Katharina und ihm ziemlich deutlich bewusst und brachte ihn zum Nachdenken.

      Sogleich aber verdrängte er diese Überlegungen wieder und richtete sein Interesse erneut auf das Mädchen auf der Polsterbank, von dem er annahm, dass es Katharinas Tochter sei.

      »Das will ich jetzt wissen«, brummte er vor sich hin, straffte sich und schritt entschlossen zu der Polsterbank hin.

      *

      Interessiert beobachtete Alice das Hin und Her in der Halle – gehfähige Patientinnen, Schwestern und solche, die zu irgendwelchen ambulanten Behandlungen in die Klinik kamen. Eine halbe Stunde hatte sie mit der Schwester verabredet, von der sie dann wieder in ihr Zimmer geleitet werden sollte.

      Alices Blicke schweiften nach links und fielen auf einen jungen Mann mit dunklen gelockten Haaren. Er trug einen Lederblouson und hatte eine Kamera über der rechten Schulter hängen. Unerhört gut sieht er aus, dachte sie. Ob er hier jemanden besucht?

      Plötzlich stutzte Alice, als sie merkte, dass dieser junge Mann direkt auf sie zukam und Sekunden später vor ihr stehen blieb.

      »Fräulein Helbrecht?«

      Überrascht sah Alice den jungen Mann an. »Nein«, erwiderte sie leise. »Ich heiße Mangold, Alice Mangold. Aber wie kommen Sie darauf, dass ich Helbrecht heißen könnte?«, wurde sie neugierig. In ihren Augen zeigte sich Interesse, und plötzlich meldete sich eine leise Ahnung in ihr.

      »Weil Sie einer Dame ungeheuer ähnlich sehen, die mir nahesteht, und dem Äußeren nach ihre Tochter sein könnten«, kam die Antwort. »Übrigens – mein Name ist Rolf Sternau, und ich bin Fotoreporter.«

      Alices Ahnung nahm Formen an. »Hat denn Ihre Dame oder wenn ich so sagen darf, Ihre Freundin, eine Tochter?«, fragte sie.

      »Hat sie«, erwiderte Rolf Sternau. »Allerdings habe ich sie noch nie gesehen.«

      »Dann muss Ihre Freundin aber wesentlich älter sein als Sie«, meinte Alice und lächelte.

      »Ja, leider«, entfuhr es Rolf Sternau. »Aber sie ist eine ungeheuer attraktive Frau, für die ein Mann wohl schwärmen kann.«

      Alices Ahnung wurde in diesem Augenblick zur Gewissheit – dieser junge Mann war der Freund ihrer Mutter. Ganz kurz überlegte sie, ob sie zugeben sollte, Katharina Helbrechts Tochter zu sein, ließ es dann aber doch bleiben. Vorläufig wenigstens. Unauffällig musterte sie Rolf Sternau und gestand sich ein, dass er ihr gefiel. Sie konnte ihre Mutter verstehen, dass sie sich diesen jungen Mann zum Freund gewählt hatte. Konnte das aber bei dem bestehenden Altersunterschied gut gehen? Daran zweifelte sie.

      »Ja, denn …« Rolf Sternau ergriff wieder das Wort, obwohl er gar nicht richtig wusste, was er sagen sollte. Seine Vermutung war jedenfalls falsch gewesen. Er hätte sich jetzt eigentlich mit einer höflichen Entschuldigung zurückziehen müssen. Eigenartigerweise aber fiel ihm das gar nicht leicht. Diese junge Frau, die er auf höchstens zwanzig schätzte, beeindruckte ihn. Ihre Augen hatten einen wachen Ausdruck, sahen ihn neugierig und interessiert an. In ihm wurde der Wunsch wach, mit diesem Mädchen mit dem wohlklingenden Namen Alice näher bekannt zu werden. Dieses bildhübsche Mädchen war doch etwas ganz anderes als die attraktive gereifte Katharina. Dieses Mädchen strahlte Frische und Natürlichkeit aus. Das hieß natürlich nicht, dass er Katharinas Qualitäten – und die besaß sie ohne Zweifel – herabsetzen wollte. Aber in diesen Sekunden musste er wieder an die trennenden Jahre denken und unwillkürlich rechnete er blitzschnell nach. Wenn er noch in den ersten und damit für einen Mann besten Lebensjahre war, hatte Katharina die ihren schon überschritten. Das machte ihn nachdenklich.

      »Was wollten Sie eben sagen?«, fragte Alice in Rolf Sternaus Überlegungen hinein. Ihr Interesse an diesem jungen Mann nahm zu, je länger sie ihn ansah. Er gefiel ihr wirklich, und sie hätte sich gut vorstellen können, näher mit ihm bekannt zu werden. Aber, ging es ihr durch den Sinn, er ist der Freund meiner Mutter, den ich ihr nicht abspenstig machen kann. Anscheinend liebte er die Mutter wirklich, denn sonst würde er sich mit seinen jungen Jahren und seinem wirklich guten Aussehen doch nicht mit ihr liieren. Oder war es Mutters Vermögen, das ihn reizte? Sofort aber schob sie diesen Gedanken beiseite. Nein, sagte sie sich, danach sieht er nicht aus. Verwundert registrierte sie dabei, dass sie im Begriff war, sich für Rolf Sternau zu engagieren. Was ist los mit mir, habe ich etwa gar schon Feuer gefangen? Die Antwort auf diese Frage ersparte sie sich. Sie wusste sie auch gar nicht. Ehrlich aber gestand sie sich ein, dass sie ein wenig bedauerte, dass Rolf Sternau der Freund ihrer Mutter war.

      »Was ich sagen wollte?«, ging Rolf Steiner auf Alices vorherige Frage ein. »Hm, die Antwort ist nicht leicht für mich. Es ist schade, dass Sie nicht das sind, was ich angenommen hatte.«

      »Sie meinen, die Tochter Ihrer Freundin …«, warf Alice ein. »Und weshalb ist das schade?«, wollte sie wissen.

      »Weil ich dann …« Rolf Sternau zögerte etwas und fuhr dann aber fort: »Nun ja, Sie wären dann eben keine Fremde für mich, und ich könnte dann öfter mit Ihnen ein wenig plaudern.«

      »Möchten Sie das denn gern?«, fragte Alice leise.

      »Ja, sehr gern sogar«, erwiderte Rolf ohne zu überlegen. In seinen Augen war in diesem Augenblick etwas Warmes.

      Alice merkte es, und es löste in ihrem Innern eine fast freudige Empfindung aus. »Das können Sie doch«, sagte sie. »Auch wenn Sie Ihre Freundin lieben.«

      Rolf Sternau verzog das Gesicht. »Dessen bin ich mir jetzt gar nicht mehr so sicher«, erklärte er leise. »Zugegeben – ich mag Katharina – so heißt die Dame – aber ob ich sie wirklich richtig liebe …?« Fest und tief sah er dem jüngeren Ebenbild Katharinas in die Augen. »Seit ich Sie jetzt gesehen habe, zweifle ich daran«, bekannte er. Das war schon ziemlich direkt.

      So empfand es auch Alice, aber es missfiel ihr nicht. Im Gegenteil – so etwas wie wohlige Erregung fühlte sie plötzlich. »Sie werden lachen, Herr Sternau«, sagte sie verhalten, »ich würde mich auch gern noch länger und öfter mit Ihnen unterhalten und mehr von Ihnen wissen wollen.«

      In den Augen des jungen Mannes leuchtete es auf. »Wirklich?«, kam es leise über seine Lippen. »Dann dürfte ich Sie auch hier in der Klinik besuchen kommen?«

      »Ich würde mich darüber freuen«, bekannte Alice. »Zimmer einundzwanzig in der ersten Etage«, fügte sie hinzu. »Jetzt aber muss ich mich verabschieden.« Sie sah die Schwester auf sich zukommen. »Also …?«

      »Ich komme morgen Nachmittag«, versprach Rolf Sternau und ergriff die ihm hingestreckte Hand des Mädchens. »Auf Wiedersehen …«

      »Tschüss, bis morgen.« Alice ließ sich von der Schwester wegführen.

      Rolf Sternau blickte den beiden nach, bis sie im Aufzug verschwunden waren. Dann erst verließ er in beschwingter Stimmung die Klinik. Als er in seinen Wagen stieg, fiel ihm ein, dass er Alice Mangold nicht einmal gefragt hatte, weshalb sie in der Klinik lag. »Morgen werde ich sie fragen«, murmelte er.

      Aber noch etwas fiel ihm plötzlich ein – nämlich der Anlass, der ihn überhaupt in die Klinik am See geführt hatte. Das hieß, dass er jetzt gleich in die Redaktion musste, damit das Foto Dr. Lindaus samt einem dazugehörigen kurzen Text noch in die morgige Ausgabe kommen konnte.

      Plötzlich aber musste er an Katharina denken, zu der er eigentlich am Abend hinfahren wollte. Sonderbar aber empfand er es, dass er mit einem Mal gar kein so großes Verlangen danach verspürte. Nachdenklich startete er sein Fahrzeug und fuhr Sekunden später davon.

      Mit ein paar Scherzworten auf den Lippen verließ der Postbote das Vorzimmer des Chefarztbüros. Wie jeden Tag hatte er Marga Stäuber die Post übergeben, Briefe und auch Zeitungen.

      Marga Stäuber