Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

Читать онлайн.
Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



Скачать книгу

keine Antwort. Sie bemühte sich, ihren Unmut und ihre Enttäuschung zu unterdrücken. Ein langer Tag in einem Klinikbett – vielleicht sogar noch eine ganze Nacht – lag vor ihr. Dieses Wissen brachte sie etwas durcheinander. Sie konnte jetzt nur hoffen, dass Hendrik nach seiner Rückkehr noch einmal in die Klinik kam.

      *

      Früher als gedacht war die Tagung in Nürnberg beendet gewesen. Dr. Lindau hielt sich daher auch nicht länger auf, sondern fuhr schon am Nachmittag wieder zurück nach Auefelden. Im Grunde genommen hätte er an dieser Tagung gar nicht teilzunehmen brauchen. Doch er war dazu eingeladen worden und hatte nicht absagen können.

      Ein verlorener Tag, dachte er. Etwas Umwälzendes, etwas Neues, war bei diesem Treffen im kleinen Kreis jedenfalls nicht herausgekommen.

      Der normale Dienst war schon beendet, als er in der Klinik eintraf und den diensthabenden Arzt – es war Dr. Bernau – aufsuchte.

      »Das ging aber schnell, Chef«, meinte Dr. Bernau. »Ich dachte, dass Sie erst am späteren Abend zurück sein würden. Es ist ja gerade erst fünf Uhr vorbei.«

      Dr. Lindau winkte lächelnd ab. »Die Tagung war früher beendet«, entgegnete er nur kurz und fragte sogleich nach Alice Mangold. »Wie sieht es aus? Ist sie den Schock los?«

      »Ich glaube ja«, antwortete Dr. Bernau. »Jedenfalls ließ die Kollegin Westphal heute Nachmittag etwas Derartiges verlauten. Ich war vor zehn Minuten bei der Patientin.«

      »Und?« Fragend blickte Dr. Lindau den jungen Kollegen an.

      Dr. Bernau zuckte mit den Schultern. »Sie schlief vorhin«, erwiderte er. »Wollen Sie zu ihr?«

      »Nein«, gab Dr. Lindau zurück. »Wenn sie schläft, dann wollen wir sie nicht stören. Sonst noch etwas? Neuzugänge?«, wollte er noch wissen.

      »Nichts Aufregendes«, antwortete Dr. Bernau und berichtete kurz. »Das heißt, Ihre Privatpatientin wurde gestern Abend vom Notarzt eingeliefert«, fügte er hinzu. »Herzgeschichte.«

      »Meine Privatpatientin?« Verwundert sah der Chefarzt Dr. Bernau an. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wer damit gemeint war. Doch schon in der nächsten Sekunde ahnte er etwas. An Privatpatientinnen hatte er in den vergangenen Wochen und Monaten eigentlich nur eine gehabt – die Konsulswitwe aus Rottach nämlich. »Sie meinen doch nicht etwa Frau Helbrecht?«, fragte er.

      »Genau die ist es«, bestätigte Dr. Bernau. »Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass die Dame so schnell wie möglich, also gleich nach Ihrer Rückkehr, mit Ihnen sprechen möchte. Frau Westphal hat mich gebeten, es Ihnen zu sagen, falls Sie in die Klinik kommen.«

      Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich über Dr. Lindaus Züge. »Sagten Sie Herzattacke?«, fragte er.

      »Verdacht auf Perikarditis, wie der Notarzt meinte«, antwortete Dr. Bernau.

      »Haben Sie keine Untersuchungen vorgenommen?«

      »Bei einer Privatpatientin des Chefarztes?«, gab Dr. Bernau fragend zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, denn es handelt sich um keinen Notfall«, erklärte er. »Außerdem wollte die Dame nur von Ihnen behandelt und untersucht werden. Das hat sie ausdrücklich gesagt. Sogar die Kollegin Westphal bekam das heute Vormittag zu hören.«

      Dr. Lindau sagte dazu nichts. Er überlegte kurz. »Wo liegt Frau Helbrecht?«, fragte er dann.

      »Zimmer sieben der Privatabteilung«, erwiderte Dr. Bernau.

      »Gut, dann werde ich zu ihr gehen und mich um sie kümmern«, murmelte der Chefarzt.

      »Soll ich mitkommen?«, fragte Dr. Bernau.

      Dr. Lindau winkte ab. »Nicht nötig«, gab er zurück. »Ich will nur hören, was sie mir zu sagen hat. Die medizinische Seite erledigen wir morgen.« Er nickte Dr. Bernau freundlich zu und entfernte sich.

      Sekundenlang zögerte er noch, als er vor dem Zimmer Nr. 7 stand, straffte sich dann aber, klopfte an und trat ein.

      Katharina Helbrecht, die aufgerichtet im Bett saß, bekam große glänzende Augen. Hastig legte sie den kleinen Handspiegel und ihren Lippenstift beiseite. In Erwartung des Erscheinens des geliebten Mannes hatte sie eben noch ein wenig Make-up aufgelegt und ihre Lippen nachgezogen. »Endlich«, rief sie lächelnd. »Seit gestern warte ich schon auf Sie, lieber Hendrik.« Mit einer schnellen Bewegung schwang sie ihre Beine aus dem Bett und saß dann, nur mit einem Nachthemd bekleidet, auf der Bettkante.

      Dr. Lindau verzog bei der vertraulichen Anrede etwas das Gesicht. »Gnädige Frau«, ergriff er das Wort, und seine Stimme klang ein wenig rau. »Sie sind jetzt Patientin in meiner Klinik, und ich bin Ihr behandelnder Arzt. Ich schlage vor, dass wir hier die Form wahren und alles Private und Persönliche so lange beiseite lassen.«

      Katharina zuckte unmerklich zusammen. In ihren Augen blitzte es kurz und ungehalten auf. Sogleich aber hatte sie sich wieder unter Kontrolle und lächelte. »Aber ich bin ja gar nicht Patientin«, erklärte sie mit leiser Stimme.

      »Nein?« Dr. Lindau war irritiert. »Weshalb sind Sie dann hier? Sie wurden doch meines Wissens vom Notarzt hergefahren.«

      Katharina stand auf und trat dicht vor den Chefarzt hin. Seinen Blick suchend, sagte sie: »Ich habe einen Herzanfall nur vorgetäuscht.«

      Dr. Lindau blieb fast die Luft weg. »Wozu das denn?«, fragte er.

      Katharina straffte sich. Jetzt oder nie, ging es ihr durch den Kopf. »Ist das denn so schwer zu erraten?«, fragte sie und bemühte sich, Dr. Lindau tief in die Augen zu sehen. »Ich wollte einfach in Ihrer Nähe sein, nachdem Sie sich seit Samstag nicht mehr gemeldet haben.« Sie trat noch einen Schritt näher, fast bis auf Körperfühlung. »Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten, Hendrik«, sprach sie mit leiser, aber eindringlicher Stimme weiter, »dann will ich es Ihnen jetzt und hier sagen – ich liebe Sie nämlich.« Während sie die letzten Worte sagte, legte sie blitzschnell ihre Arme um Dr. Lindaus Nacken.

      Dr. Lindau war von Katharinas Worten und ihrem Überfall – anders konnte man ihr augenblickliches Verhalten kaum bezeichnen – so überrascht, dass er sekundenlang an gar keine Abwehrbewegung denken konnte. Erst als er ihren Mund ganz nahe vor seinem Gesicht sah, schüttelte er seine Erstarrung ab. Er versuchte, die um seinen Hals liegenden Hände der Frau zu entfernen. Das aber gelang ihm nicht auf Anhieb, denn Katharina klammerte sich mit aller Kraft an ihn.

      »Frau Helbrecht, was ist in Sie gefahren?«, entfuhr es Hendrik Lindau. »Das ist doch Irrsinn, was Sie da tun. Lassen Sie mich sofort los!«, wurde er energisch und unmissverständlich scharf.

      »Aber ich liebe dich doch, Hendrik«, stieß Katharina erregt hervor und versuchte erneut, einen Kuss anzubringen. »Du magst mich doch auch. Ich weiß es. Du willst es dir nur nicht einge…«

      »Schluss jetzt!«, unterbrach Dr. Lindau sie hart. Fast brutal griff er nach Katharinas Armen und löste sie mit einem Ruck von seinem Nacken. Mit einem zweiten Ruck stieß er Katharina von sich. Dieser Stoß war so stark – von ihm sicher ungewollt – dass Katharina mit einem leisen spitzen Schrei rücklings auf das Bett fiel. Dr. Lindau war so erregt, dass er nicht auf seine Worte achtete, als er hervorstieß. »Sie haben die Beherrschung verloren, Frau Helbrecht. Aber für diese Art von Leiden bin ich nicht zuständig.« In der gleichen Sekunde wurde ihm aber bewusst, dass er sich jetzt doch ein wenig im Ton vergriffen hatte. »Entschuldigen Sie bitte«, kam es heiser über seine Lippen, »aber unter diesen Umständen halte ich es für besser, dass Sie sich einen anderen Arzt und eine andere Klinik suchen. Tut mir leid.« Abrupt drehte er sich um und verließ grußlos das Zimmer. Mit finsterer Miene strebte er wenig später dem Ausgang der Klinik zu. Jetzt wollte er nur noch nach Hause. Das eben Erlebte hatte sein Inneres aufgewühlt.

      Verwundert blickte Dr. Bernau dem Chefarzt nach, der an ihm vorbeigestürmt war, ohne seinen Gruß zu erwidern.

      Fünfzehn Minuten später sollte er sich abermals wundern, als nämlich die am Vortag vom Notarzt eingelieferte Patientin, diese Frau Helbrecht, voll angekleidet an ihm vorbeilief – ebenfalls dem Ausgang der Klinik zu und auf seine erstaunte Frage überhaupt