Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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sah Alice die Ärztin an und dann den Chefarzt. »Ich weiß nicht, ob das viel Sinn hätte«, erwiderte sie mit leiser Stimme. Sie hatte darüber in der vergangenen Nacht nachgedacht. »Im Grunde genommen war es ja meine Schuld, dass ich aus dem Auto gefallen bin, weil ich ja selbst die Seitentür öffnete.«

      »Ja, möglich«, wandte die Ärztin ein, »aber das konnte nur deshalb geschehen, weil jener junge Mann von Ihnen …, hm …, weil Sie sich gegen seine kompakten Annäherungsversuche wehren mussten. So habe ich Ihre Worte jedenfalls verstanden.«

      »Das ist richtig«, räumte Alice ein. »Nur …, ja, wie soll ich das sagen? Dieser Gerhard hatte eben auf der Fete etwas zu viel getrunken, und da werden die Jungs dann meistens ein wenig frech. Das habe ich schon einige Male erlebt.« Sinnend sah sie Dr. Lindau an. »Er hat mir ja nichts weiter getan, und ich möchte ihm mit einer Anzeige nicht sein Studium verpfuschen.«

      »Nichts getan?«, ergriff Dr. Lindau wieder das Wort. »Das ist ja ein wenig untertrieben«, meinte er lächelnd. »Sie waren immerhin an der Grenze eines Exitus, Fräulein Mangold …«

      »Aber Sie haben mich gerettet, Herr Doktor, und ich lebe«, fiel Alice dem Chefarzt ins Wort. »Das allein zählt doch. Oder?«

      »Gewiss«, bestätigte Dr. Lindau. »Allerdings muss ich meiner Kollegin recht geben«, fuhr er fort. »Die beiden Jünglinge hätten eine Lektion verdient. Nicht nur für den handgreiflichen Annäherungsversuch, der dann Ihren Sturz aus dem Wagen zur Folge hatte, sondern wegen der unterlassenen Hilfeleistung. Die beiden sind Ihren Worten nach einfach weitergefahren und haben Sie hilflos neben der Straße liegen lassen. Das ist ein ziemlich schwerwiegender Delikt und ist strafbar.«

      »Ja, ich weiß«, murmelte Alice. »Aber ich weiß nicht, ob es sich lohnt, daraus nun eine große Affäre zu machen. Es sind doch Kommilitonen, Studenten, so wie ich eine Studentin bin, und wir wollen doch …« Sie brach mitten im Satz ab.

      Dr. Lindau sah Alice Mangold ernst an. Ihn imponierte ihre Einstellung. Eine Art Korpsgeist, wie er in früheren Zeiten unter Studenten fast eine Selbstverständlichkeit war, schien in ihr zu sein. »Es ist Ihre Entscheidung, Fräulein Mangold«, sagte er.

      »Auf jeden Fall haben Sie meine volle Unterstützung – ich meine, was entsprechende Atteste anbelangt oder Ähnliches – falls Sie doch Anzeige erstatten wollen.«

      »Danke, Herr Doktor«, flüsterte Alice. »Sie sind sehr lieb zu mir. Ich werde nachdenken.«

      »Tun Sie das.« Dr. Lindau reichte der Patientin die Hand. »Wir sehen uns später noch.«

      »Ach, Herr Doktor …«

      »Ja?« Dr. Lindau, schon im Gehen, wandte sich um.

      »Muss ich denn ständig im Bett bleiben?«, fragte Alice.

      Dr. Lindau wechselte einen Blick mit der schon an der geöffneten Tür stehenden Anja Westphal. »Hm, ich verstehe«, beantwortete er die Frage der Patientin. »Im Bett ist es auf die Dauer langweilig, und Sie möchten sicher gern das Zimmer dann und wann verlassen.« Bruchteile von Sekunden überlegte er. »Also gut«, ergriff er dann wieder das Wort. »Wenn Sie es schaffen, aufzustehen – ich habe keine Einwände. Allerdings möchte ich wegen der relativ frischen Operation nicht, dass Sie das ohne Hilfe tun. Wenn Sie also Lust verspüren, ein Weilchen aus dem Zimmer zu kommen, vielleicht in die Kantine oder hinunter in die Halle möchten, dann läuten Sie, und eine Schwester wird Sie dahin bringen, wohin Sie mögen, und Sie dann wieder auf Ihr Zimmer geleiten. Zufrieden, kleines Fräulein?«

      »Danke, vielen Dank«, stieß Alice freudig hervor. »Sie sind der beste Arzt, den ich kenne.«

      Dr. Lindau winkte verlegen ab. »Übertreiben Sie nicht«, sagte er lächelnd, »obwohl ich mich über solch ein Lob natürlich auch freue.« Er wandte sich an seine Kollegin und bat sie, entsprechende Weisungen wegen der eben besprochenen Hausausflüge der Patientin an das Pflegepersonal weiterzugeben.

      »Das erledigte ich«, versicherte die Ärztin.

      »Frau Doktor«, meldete sich Alice noch einmal zu Wort, »kann ich vielleicht gleich anschließend …?« Ihr war plötzlich der Gedanke gekommen, ihre Mutter anzurufen.

      »Ist gut«, erwiderte die Ärztin. »Ich schicke Ihnen in fünf Minuten eine Schwester her, die sich um Sie kümmern wird.«

      Hinter ihr und Dr. Lindau schloss sich die Tür, und Alice blieb allein. Aber nicht sehr lange. Tatsächlich erschien schon nach wenigen Minuten eine der Schwesternschülerinnen, um sie bei einem Spaziergang durch die Klinik zu betreuen.

      Als Alice wenig später am Arm der Schwester auf den Gang trat, konnte sie gerade noch den Chefarzt den Aufzug betreten sehen, der ins Erdgeschoss hinunterfuhr.

      Das war in etwa der gleichen Minute, in der ein gut aussehender junger Mann mit etwas gelocktem Haar die Klinik betrat, sich zur Pförtnerloge wandte und fragte, wo er den Chefarzt Dr. Lindau finden konnte.

      »Dr. Lindau? Tja, der ist wohl jetzt noch bei der … Nein, dort kommt er gerade.« Der Pförtner deutete zum Aufzug hin, den der Chefarzt eben verließ.

      »Danke.« Rolf Sternau, er war dieser junge Mann, griff nach seiner über der Schulter hängenden Kamera und ging dem vom Pförtner bezeichneten Arzt entgegen. Er hatte nicht die Absicht, ein langes Gespräch zu führen. Nur ein Foto wollte er von dem Mann, der nach Katharinas Andeutungen anscheinend seine Position als Arzt missbrauchte.

      »Verzeihung – Herr Dr. Lindau?«

      »Ja.« Fragend sah Dr. Lindau den jungen Mann in dem Lederblouson an.

      Auf die Kamera, die dieser Mann in der Hand hielt, achtete er zunächst gar nicht. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er.

      »Nicht viel, Herr Doktor«, erwiderte Rolf Sternau. »Nur ein Foto möchte ich von Ihnen.«

      Dann ging alles blitzschnell. Ehe Dr. Lindau noch reagieren und etwas erwidern konnte, hatte Rolf Sternau schon die Kamera hochgehoben. Ein Blitzlicht flammte auf, und die Aufnahme war gemacht.

      »Was soll das, junger Mann?«, entrüstete sich Dr. Lindau. »Wer sind Sie, und wozu fotografieren Sie mich?« Ärgerlich funkelte er den Fotoreporter an.

      »Nichts für ungut, Herr Doktor – ich brauche nur Ihr Foto für eine …, eine Reportage über Kliniken, Ärzte und Chefärzte und so weiter«, erwiderte Rolf Sternau und zog sich langsam zurück.

      »Darüber hätten Sie aber vorher mit mir sprechen müssen«, wurde Dr. Lindau ungehalten.

      »Wir werden bestimmt noch miteinander sprechen«, gab Rolf Sternau süffisant lächelnd zurück und drehte sich um. Was er wollte, hatte er jetzt. Nur einen entsprechenden Text musste er noch finden.

      Dr. Lindau wollte noch etwas sagen, aber da war der junge Mann, von dem er gar nicht wusste, wer er war, schon außer Hörweite. Aufdringliches Volk, diese Zeitungsleute, dachte er, zuckte mit den Schultern und setzte seinen Weg zu seinem Büro fort.

      Dieser aufdringliche Zeitungsmann Rolf Sternau drehte sich am Klinikausgang noch einmal um. Er sah den eben fotografierten Chefarzt gerade hinter einer breiten verglasten Flügeltür verschwinden. Er wollte nun die Klinik wieder verlassen. In diesem Augenblick aber bemerkte er noch etwas, das ihn stutzen ließ. Er sah an der Seite einer Krankenschwester eine junge Frau – ihrer Bekleidung nach eine Patientin – kommen und die Halle betreten.

      »Das ist doch nicht möglich«, stieß er leise hervor. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, so hätte er jetzt geglaubt, seine Katharina zu sehen. Diese frappante Ähnlichkeit mit ihr irritierte ihn. Diese junge Frau, die da aus dem Aufzug gekommen war und von der Schwester nun zu einer der gepolsterten Sitzbänke geführt wurde, war eine verjüngte Ausgabe Katharinas.

      Herrgott, ja natürlich, dachte Rolf Sternau. Katharina hatte doch eine Tochter. Das wusste er. Zu Gesicht bekommen hatte er sie allerdings noch nie – weder persönlich noch auf einem Foto. Ob sie das dort war, die nun auf der Polsterbank Platz genommen hatte? Allein, ohne die sie begleitende Schwester.

      Natürlich,