Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät. Pseudonymous Bosch

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Название Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät
Автор произведения Pseudonymous Bosch
Жанр Учебная литература
Серия Das geheime Buch-Reihe
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401800349



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grauenhaften Gören zerrten an den Tennisschuhzungenohren des Sockenmonsters und jede wollte es der anderen aus der Hand reißen.

      »Hey, lasst uns – ich meine sie – ich meine es – in Ruhe«, rief Max-Ernest, der ungewöhnlich tapfer und entschlossen klang, wenn auch ein bisschen verwirrt.

      »Na, habt ihr Spaß, Kinder?«, fragte eine Stimme, die so klirrend war wie Eis und die alle Leser meines ersten Buchs unter Tausenden wiedererkennen würden, die jedoch, wie ich annehme, auch alle anderen, die das Pech haben, sie zu hören, Mark und Bein erstarren lassen.

      Sogar den beiden Zwillingsschwestern schien das ähnlich zu gehen, denn sie überließen Kass und Max-Ernest wieder sich selbst und ließen auch das Sockenmonster auf Deck zurück.

      Ja, ich fürchte, die Stimme gehörte Madame Mauvais.

      Im Gegensatz zu den lauten, lärmenden Schwestern kam sie mit einer fast übernatürlichen Ruhe auf Kass und Max-Ernest zu.

      Obwohl sie ganz in seemännisches Weiß gekleidet war, umgab Madame Mauvais eine seltsame Düsternis. Sie mochte die Sonne nicht, deshalb bot sie kaum ein Fleckchen ihrer Haut Wind und Wetter dar. Um ihr Gesicht vor der Sonne zu schützen, trug sie einen Hut, dessen Krempe so breit war, dass es aussah, als habe er Flügel. Um die Augen zu schützen, trug sie eine verspiegelte Sonnenbrille, die so groß war, dass ihr Kopf an einen Außerirdischen oder eine gigantische Riesenfliege denken ließ. Und um ihre alten, krallenartigen Hände zu schützen, an die sich Kass und Max-Ernest noch mit Entsetzen erinnerten, trug sie lange weiße Handschuhe, weshalb ihre Arme wie die Glieder einer Albino-Gottesanbeterin aussahen.

      Von Madame Mauvais war eigentlich nur der Mund zu sehen – zugegeben, er war außerordentlich hübsch und ewig jung –, aber sogar den hatte sie mit einem eisweißen Lippenstift bemalt, der unnatürlich leuchtete.

      »Ah, Max-Ernest, mein Liebling! Und meine liebe Kassandra«, rief sie aus, wobei sie ihre Gefangenen umkreiste, damit sie sie von allen Seiten in Augenschein nehmen konnte. »Auf das glückliche Wiedersehen!« Sie erhob ihr Cocktailglas, in dem das Eis wie ihre Stimme klirrte.

      So würde ich das nicht gerade nennen, dachte Kass grimmig.

      »Wie ich sehe, habt ihr Romi und Montana Skelton bereits kennengelernt.«

      Das also waren die berühmten Skelton-Schwestern? Kass staunte. Was für ein schlechter Scherz! Max-Ernest hatte recht gehabt, als er die beiden vor ein paar Monaten versehentlich als die Skelett-Schwestern bezeichnet hatte. Wäre Kass nicht auf einem feindlichen Schiff gefesselt gewesen, weit draußen auf hoher See, und wäre sie nicht sicher gewesen, jeden Augenblick zu sterben, sie hätte wahrscheinlich gelacht.

      »Na, haben sie dir schon verraten, wo er ist?«, fragte Dr. L., der gerade wieder unter Deck hervorkam – natürlich war er es und nicht Pietro gewesen, der sie an Bord des Schiffs willkommen geheißen hatte.

      »Noch nicht, Liebling. Ich wollte gerade auf diesen Punkt zu sprechen kommen«, erwiderte Madame Mauvais.

      Wie hatte sie nur auf diesen schrecklichen Kunststoffmenschen hereinfallen und ihn für Pietro halten können?, wunderte sich Kass.

      Zugegeben, er und Pietro waren Zwillingsbrüder. Aber wie Kass und Max-Ernest ganz genau wussten, hatte Dr. L. alles Mögliche unternommen, war selbst vor Mord nicht zurückgeschreckt, um so jung und gut aussehend zu bleiben. Selbst wenn er nicht der bärtige Magier aus ihrer Fantasie war, hätte Pietro inzwischen viel älter aussehen müssen. Älter und weiser. Älter und freundlicher.

      Und wenn man schon darüber nachdenkt: Hätte ein Schiff der Mieheg-Gesellschaft wohl so blitzend und glänzend ausgesehen wie dieses? Ein Schiff der Mieheg-Gesellschaft, da war sich Kass mit einem Mal sicher, wäre kleiner und schäbiger gewesen, hätte sich besser für geheime Aufträge und gefährliche Abenteuer geeignet. Mit dem Schiff der Mitternachtssonne hingegen konnte man Vergnügungsreisen unternehmen.

      Oder einen Werbefilm fürs Fernsehen drehen.

      Kass hatte sich so sehr gewünscht, in die MIEHEG-Gesellschaft aufgenommen zu werden, dass man ihr jeden Bären hätte aufbinden können.

      Madame Mauvais wandte sich wieder an Kass und Max-Ernest. »Nun?«

      »Nun w-w-was?«, stotterte Max-Ernest.

      »Wo. Ist. Er?«, fragte Madame Mauvais mit versteinerter Miene.

      »Wer soll wo sein?«, fragte Kass verwirrt. »Pietro?«

      »Der Homunculus, du törichtes Kind!«

      »Der Hom… – was?«, fragte Max-Ernest.

      »DER HOMUNCULUS! Ich warne euch, haltet mich nicht zum Narren.«

      »Glauben Sie mir, wir würden Sie niemals zum Narren halten«, versicherte Kass.

      »Wir wissen nicht einmal, was ein Homunculus ist«, sagte Max-Ernest. »Na ja, zumindest ich weiß es nicht. Und wenn ich es nicht weiß, dann, glaube ich, weiß sie es auch nicht. Nicht dass sie nicht manchmal etwas wüsste, was ich nicht weiß, aber diese Art von –«

      »Ruhe!«

      Madame Mauvais hob Kassandras arg geschundenes Sockenmonster auf und ließ es wie eine tote Maus vor ihren Nasen baumeln. »Und was, bitte schön, ist das?«

      »Mein Sockenmonster – ich habe es selbst gemacht.«

      »Verstehe. Und wer hat dafür Modell gestanden? Sag’s mir!«

      »Niemand. Es ist einfach aus einem alten Socken gemacht.« Kass würde Madame Mauvais ganz bestimmt nicht verraten, dass eine Gestalt aus dem Traum das Modell für ihr Sockenmonster war.

      »Du meinst, ich glaube dir, dass dieses Ding kein Homunculus sein soll? Du scheinst mich für ausgesprochen dumm zu halten.«

      »Hey, gib uns das!« »Ja, gib es uns!«, riefen Romi und Montana, die plötzlich wieder auftauchten, kaum dass von dem Sockenmonster die Rede war.

      Madame Mauvais sah sie ärgerlich an. »Habt ihr euch nicht auf ein Konzert vorzubereiten oder so?«

      Sie warf ihnen das Sockenmonster zu und die beiden balgten sich darum wie zwei tollpatschige Welpen um einen Ball. Kass sah traurig zu – jetzt würde sie ihr Sockenmonster bestimmt nicht wieder bekommen.

      »Ihr braucht euch nicht zu verstellen«, sagte Dr. L. »Wir wissen, dass ihr jetzt Mitglieder der Mieheg-Gesellschaft seid. Oder habt ihr vergessen, wie wir euch hierhergelockt haben?«

      »Wir verstellen uns ja gar nicht!«, schrie Kass.

      »Wenn ihr uns verratet, wo der Homunculus ist, geben wir euch eine Schwimmweste, wenn wir euch über Bord werfen, und dann habt ihr eine Chance – eine winzige Chance –, dass irgendjemand euch rettet. Andernfalls …«

      Sie zeigte auf drei Matrosen, die sich mit einem riesigen Thunfisch abmühten. Er zappelte und schlug wie wild um sich, bis einer von ihnen dem Fisch mit dem Messer den Bauch aufschlitzte. Die Eingeweide quollen auf das Deck heraus.

      »Wir waren auf der Suche nach dem richtigen Köder«, sagte Dr. L., »und wenn ihr nicht mit der Sprache herausrückt, dann werden wir dafür sorgen, dass ihr beide vor Blut trieft, ehe wir euch ins Meer werfen.«

      Kass und Max-Ernest fassten sich gegenseitig an den Händen.

      »Wusstet ihr, dass Haie Blut mehr als eine Meile weit riechen können?«, fuhr Dr. L. fort. »Das ist einmalig in der Geschichte der Evolution.«

      »Sie