Название | Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät |
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Автор произведения | Pseudonymous Bosch |
Жанр | Учебная литература |
Серия | Das geheime Buch-Reihe |
Издательство | Учебная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783401800349 |
»Sehr gut«, erwiderte Dr. L., aber er sah nicht so aus, als meinte er es auch so. »Sieh also zu, dass es nicht spritzt, wenn du auf dem Wasser aufschlägst.«
»Leider haben wir keine Zeit, um eine Unterrichtsstunde in Meeresbiologie zu halten«, fuhr Madame Mauvais dazwischen. »Die Mitternachtssonne hat fünfhundert Jahre darauf gewartet, dass der Homunculus auftaucht. Jetzt werden wir nicht länger Zeit verlieren.«
Sie winkte einen der Matrosen herbei, der den Thunfisch zerlegte. »Du da – nimm diese Kinder mit nach unten!«
Dann wandte sie sich an Kass und Max-Ernest. »Ihr habt unser Leben schon einmal zerstört«, sagte sie mit einer Stimme so kalt und rauchig wie Trockeneis. »Aber mit eurer Hilfe werden wir jetzt ewig leben.«
Der Matrose packte Kass und Max-Ernest bei den Ohren – er machte sich nicht einmal die Mühe, die Fischinnereien von den Händen abzuwischen – und schleppte sie fort, vorbei an den Skelton-Schwestern, die sich auf Deck in ihren Liegestühlen sonnten, zwischen sich Kassandras Sockenmonster.
* Ich glaube, Madame Mauvais’ Bemerkung bezog sich darauf, dass Kass einmal behauptet hatte, eine der Skelton-Schwestern zu sein, um sich den Zutritt zum Wellness-Hotel der Mitternachtssonne zu erschleichen. Ein ziemlich gemeiner Witz, wenn ihr mich fragt.
* Es überrascht mich gar nicht, dass der Küchenchef von Madame Mauvais Haifischflossensuppe machen wollte; es ist eine Suppe für herzlose Menschen. Um sie zuzubereiten, reißt man einem lebenden Haifisch eine Flosse ab – dann wirft man ihn wieder zurück ins Wasser. Weil er jetzt nicht mehr schwimmen kann, ertrinkt der Haifisch – oder wird die Beute von anderen Fischen.
Es juckt
Max-Ernest juckte es. Unter seinem Zeh. Um genau zu sein, unter dem zweiten Zeh seines linken Fußes, wenn man von außen zählt. Und Max-Ernest nahm alles immer sehr genau.
Nein, warte, das stimmt ja gar nicht.
Es juckte unter seiner mittleren Zehe. Ja, die mittlere Zehe. Die war es.
Max-Ernest versuchte, mit der Zehe zu wackeln, ohne die anderen zu bewegen. Aber noch ehe er sie richtig bewegt hatte, war der Juckreiz schon – oh nein! – unter seine vierte Zehe gewandert …
Nein, verflixt noch mal. Der Juckreiz war schon wieder weitergewandert. Diesmal nach oben. An die große Zehe. Nein, an die ganze Fußspitze. Es war, gestand Max-Ernest sich ein, ein wandernder Juckreiz.
Die allerschlimmste Art von Juckreiz überhaupt.
Sein Gehirn befahl seiner Hand, den Fuß zu kratzen – aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht bewegen. Seine Hand steckte hinter seinem Rücken fest und kam nicht los.
Er schlug die Augen auf. Es war dunkel in dem Raum, trotzdem wusste er sofort, dass er in keinem seiner zwei Schlafzimmer war. Es roch hier anders.
Irgendwie muffig und staubig. Aber auch salzig. Wie das Meer.
Wo war er bloß?
»Max-Ernest«, flüsterte Kass. »Bist du wach?«
Oh, dachte er erleichtert. Wie es aussah, hatte er wohl bei Kass übernachtet. Aber weshalb kam es ihm dann so vor, als ob ihr Zimmer – schaukelte?
»Wie spät ist es?«, fragte er zurück. »Mich juckt es fürchterlich. So als würde irgendein Ungeziefer an meinem Bein hochkrabbeln. Vielleicht habe ich auch Ausschlag. Oder ein Ekzem. Aber normalerweise bekomme ich keine Ekzeme an den Füßen, also –«
»Psst! Vergiss das mit dem Ekzem. Weißt du nicht mehr, dass wir auf einem Schiff mitten auf dem Meer festsitzen und sie uns den Fischen zum Fraß –«
»Hey, wir sind ja gefesselt!«
»Endlich hat er’s kapiert! Hör auf, dich zu bewegen, das tut meinen Händen weh!«
»Tut mir leid.« Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel Max-Ernest auf, dass auch ihm die Hände wehtaten. Genau genommen tat ihm alles weh. Er war sich gar nicht mehr sicher, was schlimmer war: der Schmerz oder der Juckreiz.
»Was, denkst du, sollen wir machen?«, fragte Kass.
»Wieso fragst du ausgerechnet mich? Du bist doch diejenige, die für Fluchtpläne zuständig ist.«
»Ja, aber jetzt habe ich keinen. Und mein Rucksack liegt dort drüben in der Ecke. Ich komme nicht an meine Utensilien ran.«
»Also werden wir einfach sterben?«
Kass gab darauf keine Antwort. Das brauchte sie auch nicht.
Einen Moment lang saßen sie in ängstlicher Stille da.
Dann hatte Max-Ernest eine Idee.
»Ich habe dir doch gesagt, hör auf, dich zu bewegen!«, fauchte Kass.
»Ich weiß – ich prüfe gerade, ob das Seil irgendwo locker ist. Ich habe das Buch von Houdini gelesen und –«
»Houdini?«
»Ja, Harry Houdini, der Entfesselungskünstler. Der berühmteste Magier aller Zeiten.« »Ich weiß, wer das ist!«
»Er behauptet, der Fehler, den alle machen, wenn sie jemanden fesseln, ist, dass sie zu viel Seil verwenden. Dann gibt es immer eine lockere Stelle. Siehst du …«
Max-Ernest zog an dem Seil, um es ihr zu beweisen.
»Und jetzt zieh deine Schuhe aus.«
»Was? Wie?«
»Du musst sie einfach mit den Füßen abstreifen. Dann kann man sich leichter von dem Seil befreien. Houdini hat seine Schuhe immer ausgezogen, ehe er seine Entfesselungs-Nummer begann.«
»Ich fasse es einfach nicht, dass du jetzt eine Houdini-Nummer ausprobieren willst«, murmelte Kass, aber sie streifte die Schuhe ab, wie er es gesagt hatte. Sie war ein bisschen, aber auch wirklich nur ein bisschen von ihm beeindruckt.
Max-Ernest erklärte ihr, dass Houdini in seinen Entfesselungsnummern niemals mit Zaubertricks oder Sinnestäuschungen gearbeitet hatte; er verließ sich nur auf seine Kraft – und ein paar Tricks. Zum Beispiel konnte er seinen Brustkorb in einer ganz besonderen Weise dehnen. In der Regel brauchte Houdini weniger Zeit, um sich zu befreien, als es Zeit brauchte, ihn zu fesseln.
Max-Ernest brauchte viel länger als Houdini, nämlich siebenundzwanzig Minuten. Zum einen lag das daran, dass er als Entfesselungskünstler nicht geübt war. Zum anderen kam ihm Kass ständig in die Quere, weil sie dauernd herumzappelte. Bis er ihr schließlich sagte, sie solle doch endlich stillhalten.
Gerade als das Seil sich etwas lockerte, hörten sie Schritte.
Schnell fesselten sie sich wieder fester und taten so, als schliefen sie.
Vom Eingang aus leuchtete sie ein Matrose mit einer Taschenlampe an – dann ging er zum Glück wieder weg.
Max-Ernest machte weiter und schließlich fiel das Seil ganz zu Boden. Keuchend und zittrig kamen sie auf die Beine.
»Geschafft. Wie findest du das?«, flüsterte Max-Ernest.
»Du hast es geschafft. Wie findest du das? Schätze, die ganzen Bücher über Zauberei waren doch keine so große Zeitverschwendung.« Sie lächelte im Dunklen.
Max-Ernest lächelte zurück. Es kam nicht oft vor, dass Kass zugab, sich geirrt zu haben.
Kass hob ihren Rucksack auf und begann, ihre Überlebensutensilien, die auf dem Boden verstreut lagen, wieder einzusammeln.
Als