Название | Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät |
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Автор произведения | Pseudonymous Bosch |
Жанр | Учебная литература |
Серия | Das geheime Buch-Reihe |
Издательство | Учебная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783401800349 |
»Wie ein Stück von einem tropischen Riff? Ja, das könnte sein«, sagte Max-Ernest. »Man kann sich vorstellen, wie Hunderte winzige Fische durch diese winzigen Löcher hinein- und hinausgeschwommen sind.«
Kass hielt den Ball ans Ohr und drehte ihn hin und her. Und tatsächlich hörte sie mit einem Mal alle möglichen Geräusche: Max-Ernests Atem dicht neben ihr. Die Wellen, die an den Schiffsrumpf klatschten. Sogar den Gesang eines Wals weit draußen im Meer.
Es war, als würde man am Senderwahlknopf eines Radios drehen und einen Sender nach dem anderen einstellen.
War dieser Ball wirklich ein Abhörgerät? Er sah viel zu schön aus, um irgendwelchen kriminellen Zwecken zu dienen.
»Hör dir das mal an …« Sie hielt den Ball Max-Ernest ans Ohr.
»Was? Sag bloß, es klingt nach Ozean? Das tun doch sonst nur Muscheln. Das liegt nämlich an der Art und Weise, wie die Luft in sie hineinströmt und – oh, wow!«
»Ich werde das Ding mitnehmen«, sagte Kass und nahm ihm den Ball aus der Hand.
»Aber das ist Diebstahl!«
»Na und? Sie haben uns entführt. Sie sind Mörder. Gut möglich, dass wir sogar ein Menschenleben retten, wenn wir das Ding mitnehmen.«
»Hm, ich weiß nicht, ob das alles einen Sinn ergibt«, sagte Max-Ernest, aber er tat nichts, um sie davon abzuhalten.
Auf Zehenspitzen schlichen sie aus dem Frachtraum und weiter nach oben bis zum Kabinendeck. Dort gingen sie einen langen, schmalen Gang entlang, dessen Boden mit einem dicken weißen Teppich ausgelegt war; an den Mahagoniwänden brannten kleine Lämpchen, die ein gelbliches Licht warfen.
Als sie an einer Reihe verschlossener Türen vorbeikamen, hielt Kass den Ball ans Ohr und hörte die Mannschaft schnarchen. Ganz leise gab sie Max-Ernest zu verstehen, dass alles in Ordnung sei.
Der Gang führte zu einem verschwenderisch ausgestatteten Salon, der ganz in Weiß möbliert war, abgerundete Wände und einen glänzenden schwarzen Fußboden hatte.
Als sie ihr eigenes Spiegelbild auf dem Boden erblickte, fiel ihr einen schrecklichen Augenblick lang wieder das Spa der Mitternachtssonne ein. Dort hatte sie sich auch gerade im Spiegel betrachtet, als Madame Mauvais angeschlichen kam und scheußliche Bemerkungen über ihre Ohren gemacht hatte (sie hatte nämlich ganz richtig vermutet, dass Kassandras Mutter viel hübschere Ohren hatte als sie).
Von wem, fragte sich Kass flüchtig, hatte sie dann ihre Ohren? Von ihrem Vater vielleicht, den sie gar nicht kannte?
Max-Ernest packte sie am Arm und riss sie aus ihren Träumereien. Zu ihren Füßen leuchtete kurz eine große Qualle auf, die mit weichen, pulsierenden Bewegungen unter dem Schiffsrumpf schwamm. Der Fußboden war aus Glas.
Ein lautes Gurgeln schreckte sie auf. War das die Qualle?
»Nein, da ist jemand aufs Klo gegangen«, flüsterte Kass und hörte in dem Ball, wie die Toilettenspülung lief.
Angespannt warteten sie einen Moment. Schritte waren zu hören – aber sie entfernten sich wieder. Niemand ließ sich blicken.
Immer noch auf Zehenspitzen huschten sie zur Wendeltreppe, die aufs Deck hinaufführte.
Es war eine sternenklare Nacht. Das Schiff lag vor Anker und schaukelte sanft.
Sie suchten den Horizont ab – nirgendwo Land, kein einziges anderes Schiff. Kass drehte den Ball in ihrer Hand hin und her, aber er fing keine Geräusche ein außer das Schreien der Seemöwen und das Klatschen der Wellen.
»Mein Rucksack schwimmt und er ist wasserdicht«, flüsterte Kass, als sie den Ball vorsichtig darin verstaute. »Glaubst du, wir könnten dort draußen so lange überleben, bis Hilfe kommt? Ich habe ein bisschen Studentenfutter dabei.«
»Du willst, dass ich ins Wasser gehe? Hast du vergessen, dass ich nicht schwimmen kann? Außerdem, hast du an Dehydrierung gedacht? Und an Hypothermie? Und an diese Qualle?«
»Okay, und was machen wir dann, Houdini?«
»Meinst du nicht, dass es hier ein Rettungsboot oder so was Ähnliches gibt?«
So leise sie konnten, suchten sie die ganze Schiffslänge nach einem Rettungsboot ab. Auf der Brücke blieben sie stehen, wie von Geisterhand drehte sich dort ein Steuerrad im Rhythmus des schwankenden Schiffes hin und her.
Hinter ihnen ging ein Licht an …
Die schemenhaften Umrisse von Madame Mauvais wurden sichtbar. »Wer ist da? Romi? Montana?«
Kass und Max-Ernest drückten sich in den Schatten und rührten sich nicht vom Fleck. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, aber in Wirklichkeit dauerte es kaum eine Minute, dann erlosch das Licht wieder.
Was erleichtertes Aufatmen unserer beiden Freunde zur Folge hatte.
Dann krochen sie auf der anderen Seite des Schiffs wieder zurück, fanden jedoch auch hier kein Rettungsboot – nicht einmal einen Rettungsring.
»Siehst du das?«, flüsterte Max-Ernest.
Kass schaute in die Richtung, in die auch Max-Ernest blickte – und schauderte.
Zwei große Hände klammerten sich an die Bordwand des Schiffs – genau wie in ihrem Traum. Konnte es sein …?
Während sie das Schauspiel ängstlich und gebannt verfolgten, zog sich ein triefend nasser Mann über die Reling und kletterte an Deck.
»Mr Needleman«, schrie Kass auf.
Er nickte und lächelte verschmitzt unter seinem nassen Bart. »Ihr beiden haltet die ganze Klasse auf.«
»Aber wie sind Sie hierhergekommen?«
Mr Needleman legte den Finger auf die Lippen. »Später. Jetzt möchte ich erst einmal, dass ihr euch bereit macht, um ins Wasser zu springen.«
»Werden wir großen Ärger bekommen?«, fragte Max-Ernest besorgt.
»Springt!«, befahl Mr Needleman und deutete über Bord. »Oder wollt ihr warten, bis euch jemand sieht?«
Sie schauten über die Reling. Das Meer lag schwarz und unheilvoll unter ihnen – und zwar fürchterlich tief unter ihnen. Ein paar Meter entfernt schaukelte ein einsames Schnellboot auf den Wellen.
»Jetzt!«
Mr Needleman packte die beiden am Handgelenk, und noch ehe Max-Ernest ihm erklären konnte, dass er Höhenangst hatte und dass er vom Springen immer Nasenbluten bekam, ganz zu schweigen davon, dass er überhaupt nicht schwimmen konnte, sprangen sie los.
Mit den Füßen voran mitten in der Nacht in ein kaltes finsteres Meer zu springen, ist etwas ganz anderes als am helllichten Tag in einen warmen Swimmingpool zu hüpfen.
Ich sage das nur, falls du vielleicht gedacht hast, es wäre so ähnlich.
Max-Ernest hatte natürlich keines von beiden vorher probiert. Er war noch nie unter Wasser gewesen.
Kein Wunder, dass er glaubte, er sei tot.
Er glaubte nicht, dass er sterben würde. Oder ertrinken. Nein, er glaubte, er sei tot.
Warum sonst wusste er nicht, wo oben oder unten war? Warum sonst fühlte er einen solchen Druck auf seiner Brust und in seinen Ohren? In welch anderem Zustand hätte er wohl so entsetzlich am ganzen Körper frieren können?
Es spielte dabei keine Rolle, dass ihn Mr Needleman die ganze Zeit über fest im Griff hatte.
»Ich lebe noch!«, schrie er daher, als er endlich wieder auftauchte. »Ich lebe!!!«
»Pst!«, zischte Kass und schnappte prustend auf der anderen Seite von Mr Needleman nach Luft. »Willst du, dass sie uns hören?«
Als sie an Bord kletterten, kenterte das kleine Boot beinahe. Es war nicht dafür gebaut, Passagiere aufzunehmen.
»Danke, Leute«, sagte Mr Needleman,