Название | Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Britta Winckler |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Klinik am See Staffel |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740912307 |
Als erstes aber war Astrid an einem Telefonat mit ihrem Vater interessiert, denn sie brauchte Geld für den Heimflug. Es war kaum anzunehmen, daß man ihr das auf dem Konsulat gab.
*
Pünktlich wie immer war Dr. Lindau in der Klinik. Mit einem freundlichen Morgengruß begrüßte er Marga Stäuber. »Was Neues?« fragte er, bevor er sein eigenes Büro, sein Dienstzimmer also oder Sprechzimmer, wie er sein Allerheiligstes bezeichnete, betrat.
Die Sekretärin schüttelte den Kopf. »Keine besonderen Vorkommnisse in der vergangenen Nacht, soweit ich das feststellen konnte«, antwortete sie. »Das Rapportbuch liegt auf Ihrem Schreibtisch, Herr Doktor.«
»Danke. Ist Bettina schon hier?«
»Ja, sie ist im Untersuchungszimmer.«
»Wartezimmerpatienten?« fragte Dr. Lindau.
»Vier bis jetzt«, erwiderte Marga Stäuber. »Die Krankenakten liegen auf Ihrem Tisch. Es sind zwei Patientinnen aus Auefelden und zwei aus der weiteren Umgebung.«
»Tja, dann wollen wir mal«, meinte der Chefarzt der Klinik am See und betrat sein Zimmer. Als er sich an seinen Schreibtisch setzte, kam Bettina Sieber aus dem angrenzenden Untersuchungsraum.
»Guten Morgen, Herr Doktor«, grüßte sie, legte ein paar Papierblätter vor den Chefarzt hin und sagte: »Das sind die Untersuchungsergebnisse der Gewebeproben von Frau Hauser.«
Dr. Lindau gab den Gruß zurück. »Danke, auf die habe ich schon gewartet«, fügte er hinzu. »Ich sehe sie mir dann gleich an. Zuerst nehme ich mir den Rapport vor.« Er griff nach dem Rapportbuch und blätterte es durch, während seine Assistentin sich ins Untersuchungszimmer zurückzog, um dort einiges für eventuelle Untersuchungen dieser oder jener im Wartezimmer sitzenden Patientinnen vorzubereiten.
Dr. Lindau brauchte nicht lange, um das Rapportbuch durchzublättern und dann abzuzeichnen. Minutenlang beschäftigte er sich dann mit dem Ergebnis der Gewebeproben und machte sich einige Notizen. »Das muß ich nachher mit der Westphal besprechen«, murmelte er und griff nach der ersten Krankenkarte.
»Bettina«, rief er seiner Assistentin zu, »wir beginnen mit der Sprechstunde. Lassen sie Frau Schien herein!«
Damit begann Dr. Lindaus Alltag. Mit freundlicher Miene hörte er sich die Probleme seiner weiblichen Patienten an. Gezielt stellte er seine Fragen, um sich ein Bild über die vorgetragenen Leiden machen zu können. Nicht immer war eine gynäkologische Untersuchung erforderlich, denn die geschilderten Symptome reichten oft schon zu einer Diagnose aus. Es war für Dr. Lindau dann auch nicht schwierig, die notwendige Behandlung zu bestimmen, die nicht unbedingt einen Klinikaufenthalt voraussetzte. In vielen Fällen konnten die Patientinnen mit einem von ihm ausgeschriebenen Rezept gleich wieder nach Hause gehen.
Die folgenden beiden Patientinnen waren dann auch sehr rasch abgefertigt, weil deren geschilderte Leiden mit ein paar guten Ratschlägen und je einem Rezept für Selbstbehandlung keine Probleme darstellten.
Dr. Lindau sah auf die Uhr. Es wurde langsam Zeit für die Hauptvisite. Doch da war noch eine Frau im Wartezimmer. Irmgard Ehlers hieß sie laut Marga Stäubers Eintragung auf der Krankenkarte. »Ehlers?« murmelte Dr. Lindau. Der Name kam ihm bekannt vor. Überlegend starrte er auf die Karte. Plötzlich erinnerte er sich. Irmgard Ehlers hieß doch auch die junge Frau, die vor etwa einem dreiviertel Jahr nach Auefelden gekommen war, weil sie dort das Haus ihres damals verstorbenen Onkels geerbt hatte, das von ihr zu einer Art Atelier ausgebaut worden war. Seither betätigte sie sich dort als Malerin von Bildern moderner Kunstrichtung. Persönlich hatte Dr. Lindau diese Frau noch nie gesehen. Seine Erinnerung an sie basierte eigentlich mehr auf dem Gerede, das vor Monaten um sie entstanden war und wochenlang die Gemüter etlicher moralbewußter Auefelder erregt hatte. Die junge Frau lebte nämlich in diesem Haus zusammen mit einem Mann, von dem man wußte, daß er mit einer anderen Frau in der Nähe von München verheiratet war. Irmgard Ehlers war damals ziemlich hart von verschiedenen Leuten von Auefelden wegen ihres unmoralischen Verhältnisses attackiert worden. Inzwischen aber hatten sich die moralischen Wogen wieder geglättet.
Dr. Lindau erinnerte sich in diesen Sekunden auch daran, daß die Kunstmalerin sich sehr energisch gewehrt hatte und trotz mehr oder minder offener Diskriminierung ihrer Person nicht bereit gewesen war, entweder dieses sogenannte »sündige« Verhältnis zu beenden oder aber wegzuziehen – wie es ihr von verschiedenen Seiten nahegelegt worden war. Diese Standhaftigkeit aber hatte Dr. Lindau irgendwie imponiert.
Sekunden später stand die Kunstmalerin vor ihm. Sie war nicht sehr groß, wirkte aber mit ihrem schwarzen nackenlangen Haar und den dunklen Augen sehr attraktiv. Wenn man sie so betrachtete, konnte man sich schwer vorstellen, daß sie energisch sein könnte. Sie machte eher einen etwas verschüchterten und scheuen Eindruck.
»Bitte nehmen Sie Platz, Frau Ehlers!« Dr. Lindau deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Sie dürfen mich gern Fräulein nennen, Herr Doktor«, entgegnete die Malerin und nahm Platz. »Die anderen tun es ja auch, obwohl ich erst fünfundzwanzig und nicht verheiratet bin.«
»Aber Sie sind doch nicht unbemannt, wie ich weiß«, gab Dr. Lindau locker zurück.
Irmgard Ehlers verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Ich lebe mit einem verheirateten Mann zusammen, mit meinem Geliebten, wie es die Leute in Auefelden nennen«, entgegnete sie. »Ich führe mit Norbert Wichner, meinem Freund also, nach Ansicht einiger Moralapostel ein sündiges Leben.«
Dr. Lindau winkte lächelnd ab. »Um das Gerede der Leute sollten Sie sich nicht allzusehr kümmern, Frau Ehlers«, sagte er. »Für mich jedenfalls sind Sie jetzt eine Patientin, die mich, den Arzt, konsultiert. Dabei ist es mir völlig gleichgültig, wie Sie Ihr Leben gestalten.«
»Danke, Herr Doktor, für diese Worte«, murmelte die junge Frau.
»Kommen wir zu Ihrem Anliegen«, wurde Dr. Lindau sachlich. »Wo fehlt es denn?«
Irmgard Ehlers zögerte mit der Antwort. Verlegene Röte überzog ihr Gesicht. Sie suchte nach den richtigen Worten.
Dr. Lindau war es nicht neu, daß Frauen oft gehemmt waren, wenn sie einem Arzt, einem Mann also, von irgendwelchen Beschwerden im Intimbereich berichten sollten. Das schien nun auch bei Irmgard Ehlers der Fall zu sein. »Frau Ehlers, ich nehme an, daß es Ihnen peinlich ist, mir von Ihren Beschwerden zu erzählen – weil ich ein Mann bin«, redete er beruhigen auf die junge Frau ein. »Ich verstehe das, aber denken Sie jetzt nur daran, daß ich der Arzt bin, zu dem Sie Vertrauen haben sollten.«
Irmgard Ehlers straffte sich ein wenig. »Ich gebe zu, daß ich natürlich lieber mit einer Ärztin gesprochen hätte«, erklärte sie mit leiser Stimme, »aber wenn es nicht…« Das Schrillen des Telefons auf dem Schreibtisch hinderte sie am Weitersprechen.
Dr. Lindau meldete sich. Am anderen Ende der Leitung war Dr. Hoff. »Ja, was gibt es, Herr Kollege?« fragte der Chefarzt.
»Ich glaube, wir müssen bei der Patientin Herning sofort einen Kaiserschnitt vornehmen«, kam die Antwort. Es folgten einige kurze Begründungen.
Dr. Lindaus Miene wurde ernst. »Wenn das so ist, Herr Hoff, dann lassen Sie sofort alles vorbereiten«, wies er den Gynäkologen an. »Ich bin in ein paar Minuten oben.« Er legte auf und wandte sich an Irmgard Ehlers. »Tut mir leid, aber ich muß schnellstens zu einem Eingriff. Eine Kaiserschnittgeburt kann man nicht aufschieben.«
»Soll… soll… ich warten, Herr Doktor?« fragte die junge Frau.
»Wenn Sie möchten – bitte«, erwiderte Dr. Lindau, berichtigte sich aber schon in der nächsten Sekunde und sagte: »Nein, wir machen es anders. Meine Stellvertreterin, Frau Dr. Westphal, kann sich Ihrer annehmen. Ihr gegenüber werden Sie wahrscheinlich auch offener und weniger gehemmt sein können.«
Irmgard Ehlers atmete erleichtert auf. »Ja«, sagte sie.
Dr. Lindau rief die genannte Ärztin an. Mit wenigen Worten bat er sie, eine Patientin zu übernehmen. »Ich schicke sie Ihnen mit Bettina hinauf,